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Ohne Rente sehen alle ziemlich alt aus
Bei kaum einem Thema ist so viel Ideologie im Spiel wie bei der Alterssicherung. Es ist daher schon fraglich, ob die neue Rentenkommission überhaupt eine gemeinsame Sicht dazu findet, wo die Probleme eigentlich liegen
Was ist das Problem mit der gesetzlichen Rente?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn schon bei der Problembeschreibung fängt der politische Kampf an. Klar ist: Seit 1995 ist die Zahl der Rentner um fast sechs Millionen auf heute 21 Millionen gestiegen. Die Ausgaben für Alters- und Hinterbliebenenrenten haben sich von 1992 bis 2017 auf 355,1 Milliarden Euro im Jahr 2017 mehr als verdoppelt. Und demnächst verabschiedet sich die geburtenstarke Generation der »Babyboomer« in den Ruhestand. Zugleich werden die Menschen älter, bekommen also länger Rente. Deren Rente muss dann von weniger Beschäftigten finanziert werden. Bleibt alles wie bisher, gibt es ein Finanzierungsproblem. Einige Szenarien prognostizieren, dass der Staat im Jahr 2035 schon 80 Milliarden Euro zuschießen müsste, um das bisherige Niveau zu halten und schlussfolgern: unbezahlbar. Aber das ist schon eine Schreckensvision der Seite, die private Altersvorsorge für unausweichlich erklärt.
Was ist also dann das Problem?
Der Fokus auf Demografie und Ausgaben ist fragwürdig: Denn linke Ökonomen verweisen darauf, dass es auch bei der Gestaltung des Rentensystems um eine gesellschaftliche Verteilungsfrage geht. Letztlich sei die Produktivität entscheidend: Der Anteil der Rentenausgaben, so sehr diese auch gestiegen sind, ist nämlich gemessen an der Wirtschaftskraft seit Beginn der 90er Jahre nahezu konstant geblieben, räumt das Bundessozialministerium ein. 1992 waren es 10,1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, 2017 kaum mehr, nämlich 11 Prozent. Deshalb mag es zwar so sein, dass heute drei Erwerbstätige einen Rentner versorgen und im Jahr 2040 nur noch zwei Erwerbstätige denselben Betrag aufbringen müssen. Wenn diese beiden dann aber in gleicher Zeit mehr produzieren als drei Erwerbstätige heute, können Einkommen und Rente steigen, argumentiert etwa ver.di.
Gibt es aus Sicht der Gewerkschaften also gar kein Problem?
Doch: Denn immer mehr Menschen werden im Alter arm sein, bleiben die Weichen so gestellt wie bisher: Das Renteneintrittsalter steigt über einen längeren Zeitraum auf 67, zugleich sinkt das Rentenniveau in großen Schritten - von knapp 53 Prozent im Jahr 2000 auf derzeit 48 Prozent. Bis 2030 könnte es noch weiter bergab gehen, auf 43 Prozent, so hat es die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2004 beschlossen. Bislang wurden diese Vorgabe nicht gekippt, sondern das Absinken der Rente nur verlangsamt. So plant die Große Koalition lediglich, das bisherige Rentenniveau bis zum Jahr 2025 zu stabilisieren. Der DGB rechnet vor: Selbst für eine magere Rente von 800 Euro muss man mit einem mittleren Bruttolohn von 2200 Euro im Monat heute rund 38 Jahre arbeiten. Und die viel gepriesene private Altersvorsorge können sich viele Menschen nicht leisten.
Warum gibt es nun eine Rentenkommission?
Die Kommission wurde eingesetzt, weil sich die Regierungspartner nicht einigen konnten. Bislang verabredet haben SPD und Union nur eine kurzfristige Haltelinie: Demnach soll das Rentenniveau bis zum Jahr 2025 bei 48 Prozent eines Durchschnittslohns gehalten werden und der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen. Vor dem Sommer will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dieses erste Rentenpaket vorlegen. Absehbar ist, dass die Rentenversicherung damit einen höheren Steuerzuschuss braucht. Ein Zukunftskonzept ist das noch nicht. Deshalb soll die Kommission bis zum Jahr 2020 Vorschläge machen, wie das gesetzliche Rentensystem nach 2025 gesichert werden kann. Heil verspricht, die Ergebnisse noch in dieser Legislaturperiode in Gesetze zu gießen.
Wer arbeit mit in der Kommission?
Geleitet wird das Gremium von der ehemaligen parlamentarischen Arbeitsstaatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) und von Karl Schiewerling (CDU), ehemals Sozialexperte der Unionsfraktion. Neben weiteren Vertretern aus den Reihen der Regierungsparteien gehören die Bremer Soziologieprofessorin Simone Scherger und der Ökonom Gert Wagner der Rentenkommission an. Wagner hat viele Jahre die Längsschnittstudie Sozio-Oekonomisches Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung geleitet. Die Gewerkschaften sind durch Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand vertreten, die Arbeitgeberverbände durch Alexander Gunkel. Mit dem Wirtschaftswissenschaftler Axel Börsch-Supan wurde zudem ein erklärter Gegner des gesetzlichen Rentensystems und Freund der privaten Altersvorsorge zur Mitarbeit eingeladen. Sozialverbände und Oppositionsparteien sind außen vor. Sie dürfen nur Stellungnahmen einreichen.
Welche Ansätze zur Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung gibt es?
Vertreter der Arbeitgeberseite, Teile von CDU/CSU und nahestehende Wirtschaftswissenschaftler wollen den Rentenbeginn noch weiter nach hinten schieben und begründen das mit der längeren Lebenserwartung (und den Finanzierungsproblemen). Am weitesten gingen bislang die sogenannten Wirtschaftsweisen, die die Rente mit 71 befürworteten. Dadurch wirkt die andere Altersgrenze - 69 Jahre - , die gern genannt wird, gleich nicht mehr so unsozial. Da das Rentenniveau zugleich weiter sinken soll, gehört zu diesem Modell auch der Appell zu mehr privater Vorsorge.
Gibt es auch Modelle, die die Beschäftigten und Rentner weniger belasten?
Man kann auch die Einnahmeseite der Rentenkassen verbessern. Dafür gibt es viele Hebel. Höhere Rentenbeiträge sind einer und wären bei steigenden Realeinkommen durchaus verkraftbar. Zudem könnte der Kreis der Beitragszahler erweitert werden, indem alle Berufstätigen in die Gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. So müssten auch Beamte, Selbstständige und Politiker ihren Beitrag leisten. Nicht zuletzt ist die Beitragsbemessungsgrenze, die festlegt, ab wann ein Einkommen beitragsfrei ist, eine Stellschraube. Derzeit liegt diese Grenze im Westen bei einem Monatseinkommen von 6500 Euro, im Osten bei 5800 Euro. Ihre Anhebung oder gar Aufhebung würde einige Millionen Euro mehr in die Gesetzliche Rentenversicherung spülen. Gewerkschaften fordern aber auch Steuerzuschüsse ein, denn derzeit werden die Rentenkassen durch zahlreiche zusätzliche Leistungen wie die Mütterrente belastet, die immerhin rund 6,5 Milliarden Euro jährlich ausmacht. Solche gesamtgesellschaftlich begründeten Ausgaben sollten nicht von den Beitragszahlern, sondern von der gesamten Gesellschaft getragen werden, so die Begründung. Mit einem Mix aus all diesen Maßnahmen könnten die Renten wieder steigen.
Wie könnte das Rentensystem der Zukunft dann finanziell dastehen?
Nach Berechnungen des DGB wären im Jahr 2045 für 50 Prozent des Bruttolohns ein Beitragssatz von 25 Prozent und ein zusätzlicher Bundeszuschuss von 32 Milliarden Euro notwendig. Nach anderen Modellen sind auch 53 Prozent und einen Rentenbeginn mit 65 Jahren finanzierbar.
Und die sozialpolitische Seite?
Die Zukunft der Rente ließe sich auch mit einer veränderten Arbeitsmarktpolitik beeinflussen. Vor allem Frauen, Ältere und Migranten sind derzeit unterbeschäftigt, hinzu kommen Millionen Erwerbslose. Wären sie voll berufstätig in sozialversicherungspflichtigen Jobs, seien größere Umbauten des Rentensystem trotz des demografischen Wandels gar nicht nötig, argumentierten gewerkschaftsnahe Forschungsinstitute.
Was ist von der Kommission zu erwarten?
Wenig. Schon nach ihrer Zusammensetzung ist es zweifelhaft, dass die neoliberale Kehrtwende in der Rentenpolitik grundsätzlich infrage gestellt werden soll. Der Paritätische Wohlfahrtsverband fürchtet jedenfalls, dass die Kommission keine Lösungen bringen wird, »die den Menschen wirklich helfen«. Der Auftrag an die Kommission sei zu eng gefasst und der politisch vorgegebene finanzielle Spielraum viel zu gering.
Was sagt der zuständige Minister selbst dazu?
Bei der Vorstellung der Kommissionsmitglieder Anfang Mai erklärte Hubertus Heil: »Mir geht es um eine Politik der neuen Balance.« Geprüft werden müsse, was für das Alterssicherungssystem nötig und was mit Rücksicht auf die Volkswirtschaft möglich sei.
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