- Berlin
- Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser
Pflegenotstand wegsammeln
Über 40 000 Unterschriften für Volksbegehren abgegeben - doppelt so viele wie nötig
Vier Tage vor Fristende sind schon 40 242 Unterschriften für den »Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser« eingegangen. Die für die erste Stufe des Volksbegehrens nötigen 20 000 Unterschriften hatte das Bündnis schon nach knapp drei Monaten zusammen, trotzdem entschied man sich, bis zum Stichtag am 11. Juni weiterzusammeln. »Damit wollen wir den Druck auf die Politik weiter erhöhen«, sagte Steffen Hagemann, ehemals Krankenpfleger und Vertrauensperson des Volksbegehrens. Vom Endspurt erhofft er sich noch mehr Unterschriften: »Wir gehen davon aus, dass sich das noch steigern wird«, sagte er dem »nd«. Aber auch jetzt sei man schon »ganz zufrieden«.
Das Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus, in dem sich Krankenhausbeschäftigte, Patient*innen und politisch Interessierte zusammengeschlossen haben, hatte das Volksbegehren im Januar 2018 begonnen, um dem akuten Pflegenotstand entgegenzuwirken. Laut Gewerkschaft ver.di, die das Vorhaben unterstützt, fehlen in den Krankenhäusern etwa 3000 Pflegekräfte. Das führt einerseits zu einer dauerhaften Überlastung des Personals und andererseits zu einer Unterversorgung der Patient*innen. Die schlechten Arbeitsbedingungen haben zudem zur Folge, dass immer mehr Pflegekräfte in Teilzeit gehen oder den Beruf ganz aufgeben. Auch Nachwuchs fehlt.
- Mit dem Volksbegehren soll die Versorgungsqualität in Berliner Krankenhäusern erhöht werden.
- Wichtigste Forderung ist eine Aufstockung des Personals anhand fester Personal-Patienten-Schlüssel. Dieser soll nicht nur für Pflege-, sondern auch für Reinigungsfachkräfte gelten.
- Das Land Berlin soll eine Mindestquote von Investitionen in Personal, Ausbildung und bauliche Maßnahmen übernehmen. Die errechnete Quote laut Rürup-Kommission liegt für Berlin bei etwa 300 Millionen Euro.
- Die Einhaltung von Qualitätsanforderungen und Personalvorgaben muss transparent sein. Werden die Vorgaben nicht erreicht, müssen entsprechende Kosequenzen für die Krankenhäuser festgelegt werden. mjo
»Wegen des Personalmangels werden die Patient*innen vernachlässigt. Wir haben keine Zeit mehr für Gespräche, und unsere Arbeit schaffen wir nicht«, sagte Gabi Heise bei einer Pressekonferenz Ende April. Sie ist Krankenpflegerin bei Vivantes und dort Mitglied im Betriebsrat. Die Sorgen ihrer Kolleg*innen kennt Heise genau: »Wir arbeiten wie im Hamsterrad und gehen am Ende immer mit dem Gefühl nach Hause, unsere Arbeit nicht richtig gemacht zu haben. Das macht uns krank.«
Das Bündnis will dem Stellenabbau mit einem verpflichtenden Personal-Patienten-Schlüssel entgegenwirken. Dieser soll nicht nur für die Pflege-, sondern auch für die Reinigungskräfte gelten. Denn auch die hygienischen Zustände sind in vielen Kliniken schlecht.
Gesundheitliche Verschlechterungen werden zu spät bemerkt, manche Patienten versuchen, selbst Aufgaben zu übernehmen, für die eigentlich das Pflegepersonal zuständig wäre. Um die Versorgungsqualität in den Krankenhäusern zu verbessern, hat das Bündnis mit seinem Gesetzesentwurf ein Forderungspaket geschnürt, mit dem auch Kosten für das Land Berlin verbunden sind. Neben der Personalaufstockung soll Berlin auch zu einer Mindestquote von Investitionen verpflichtet werden. Laut eines Expertengremiums der Bundesregierung liegt diese bei etwa 300 Millionen Euro. Die amtliche Kostenschätzung des Senats hat ergeben, dass die Umsetzung des Volksbegehrens rund 385 Millionen Euro pro Jahr kosten würde. Darin enthalten sind unter anderem Personalausgaben von 90 Millionen Euro allein für die Mindestvorgaben für Charité und Vivantes plus rund 135 Millionen Euro für die anderen Krankenhäuser. Die vorgesehene Investitionsquote würde laut Senat 160 Millionen Euro kosten.
Am 19. Juni will das Bündnis die Unterschriften mit einer »kreativen Aktion« an den Senat übergeben, der die Unterschriften auf ihre Gültigkeit überprüfen wird. Dass 20 000 gültige Signaturen gesammelt wurden, ist angesichts der mehr als 40 000 Unterschriften sehr wahrscheinlich, normalerweise sind zehn Prozent der Unterschriften ungültig. Im Anschluss müsste sich das Abgeordnetenhaus mit dem Volksbegehren beschäftigen und entscheiden, wie es mit dem Gesetzesentwurf umgehen will.
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