Soziales, unsolidarisches Sammelsurium

Die neue italienische Regierung steckt für Paola Giaculli voller Widersprüche - ideologisch, personell und perspektivisch

  • Paola Giaculli
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Italien betritt Neuland. Das für viele nicht vorstellbare ist nach spektakulären Wendungen eingetreten: Die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) regiert mit der Lega. Die beiden Parteien verfügen über eine solide Mehrheit und sorgen für eine merkwürdige Einheit zwischen Norden und Süden des Landes. Am Mittelmeer triumphierte die M5S, die erst vor zehn Jahren im Kampf gegen die korrupte politische »Casta« und für direkte Demokratie und Umweltschutz entstand. Die fremdenfeindliche Lega ist seit fast 30 Jahren als Regierungskraft im Norden (und dreimal als Juniorpartner von Berlusconi in der Zentralregierung) im politischen System verankert und nun auch national eine Macht.

Widersprüchlich scheinen nicht nur die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit der beiden, sie lassen sich auch im Koalitionsvertrag und im Personal der »Regierung des Wandels« finden. Nicht zuletzt wurde bei der schweren Geburt die institutionelle Praxis ziemlich strapaziert. Der von der M5S für das Ministerpräsidentenamt vorgeschlagene Giuseppe Conte, ein eher unbekannter Jurist, wurde zweimal in acht Tagen von Staatspräsident Sergio Mattarella als Premier designiert, zwischendurch auch einmal der Technokrat Carlo Cottarelli.

Paola Giaculli
Paola Giaculli, Diplomdolmetscherin, ist seit 2007 Europakoordinatorin der Linksfraktion im Bundestag. Bis 1991 war sie Mitglied der KPI, von 1992 bis 2006 tätig im internationalen Bereich der Rifondazione comunista, von 1994 bis 2001 Mitarbeiterin der Linksfraktion im Europäischen Parlament.

Der neue Regierungschef gibt sich nun selbstbewusst: Ideologie spiele keine Rolle mehr, so Conte. Beweis dafür sei die Politik der letzten Regierungen. Sie lasse sich kaum in traditionelle politische Kategorien einordnen. »Gute Arbeit!«, meint der Lega-Chef und jetzige Innenminister Matteo Salvini zur strengen Migrationspolitik der letzten von Sozialdemokraten geführten Regierung. Gleichzeitig empfindet der frühere Chef der Partito Democratico (PD), Matteo Renzi, seine Partei als links.

Was ideologisch nicht zusammengehört, kommt nun zusammen: Unsolidarisches und Soziales – Steuersenkungen, Bürgereinkommen und kostenlose Kitas – aber nur für italienische Staatsangehörige – , das Recht auf Bewaffnung und ein Rüstungsexportverbot in Konfliktgebiete, Massenabschiebungen und die Bekämpfung der Korruption, direkte Demokratie, Mindestrente, Umweltpolitik, öffentliche Wasserversorgung und ein Ministerium für Menschen mit Handicaps.

Doch wohin steuert Italien mit dieser Melange? Das Forschungsinstitut Cattaneo hat untersucht, wer sich im Koalitionsvertrag durchsetzen konnte. Das Ergebnis: Bei den sozialen Themen ist M5S bestimmend, das Nachsehen hätten sie aber bei den Bürgerrechten. Die Eurokritik (M5S) obsiegte allerdings über die Euroskepsis der Lega. Die Einschätzung einiger Beobachter, die neue Regierung sei die rechteste der Geschichte der Italienischen Republik, sei nicht korrekt. Laut der Studie war dies die Regierung Silvio Berlusconi (2001 bis 2008).

Eher die Natur der Parteien der neuen Koalition sei das Außergewöhnliche, nicht deren ideologisch-programmatische Plattform. Mag sein. Aber mangels eines konsequent solidarischen Gesellschaftsprojekts sind auch wohlklingende Maßnahmen nur Teile eines unwahrscheinlichen – wenn auch populären – Sammelsuriums, die zur Entsolidarisierung führen können beziehungsweise zu einem Sozialstaat als exklusivem Privileg für Menschen mit italienischem Pass. Frohes Schaffen dem Verfassungsgerichtshof!

Eine Neuausrichtung in der EU-Politik und in der Außenpolitik lässt sich durch die Stellung von EU-kritischen Ministern an wichtigen Posten trotz ihres Establishment-Hintergrunds und ihrer Mitte- bis Mitte-rechts-Orientierung erhoffen. Es ist zu vermuten, dass insbesondere Außenminister Moavero Milanesi durch seine langjährige Erfahrung in der italienischen und Brüsseler Diplomatie versuchen wird, das Interesse Italiens für eine geopolitische Hauptrolle zum Beispiel in Richtung Russland und Iran wiederzubeleben. Hier stehen nicht zuletzt enorme Wirtschaftsinteressen auf dem Spiel. Über die neue Konstellation dürfte sich besonders Frankreichs Präsident Emmanuel Macron freuen, der Conte als Erster gratulierte.

Innenminister Salvini meisterte die Lage souverän und ist der gefühlte Regierungschef, obwohl die M5S bei der Wahl fast doppelt so stark abgeschnitten hatte wie die Lega. Überfordert wirkt dagegen der M5S-Chef und Arbeits- und Wirtschaftsminister Luigi Di Maio. Jetzt muss er sich im Kampf gegen prekäre Beschäftigung und Arbeitslosigkeit bewähren.

Die PD schickte sich derweil ins Aus. Trotz wiederholter Versuche einer Minderheit, mit der M5S zu sondieren, blockierte Renzi jegliche Annäherung. Auch wenn er längst nicht mehr Parteichef ist, hat er die Abgeordneten fest im Griff. Jetzt wettern sie gegen die »Regierung der neuen Barbaren«, doch gegen die Verrohung der Gesellschaft hat die PD nichts unternommen, eher noch dazu beigetragen.

Die Linke ihrerseits scheint kaum in der Lage, sich aus ihrer langjährigen Dauerkrise zu befreien. Auch weil der neoliberale Zeitgeist Spaltungen eher befördert als kollektives Engagement. So verschwinden Parteistrukturen, Massenbewegungen klingen ab, es herrscht eine Atomisierung. Linke M5S-Wähler*innen halten erst einmal den Atem an und warten ab.

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