- Politik
- Migranten in der Gewerkschaft
Vielfalt leben, nicht nur drüber reden
Der ver.di-Referent Romin Khan über mangelnden Einfluss migrantischer Mitglieder und Mittel gegen rechts
Sie sind Referent für Migration im ver.di-Bundesvorstand. Wie sieht Ihre Aufgabe konkret aus?
Es geht darum, die Perspektive der Migrant_innen in der Arbeitswelt sichtbar zu machen und zu stärken. Das in den 1970er Jahren novellierte Betriebsverfassungsgesetz enthält eindeutige Klauseln gegen die Diskriminierung am Arbeitsplatz. Es schuf die Grundlage, dass deutsche und nichtdeutsche Beschäftigte gemeinsam an Betriebsratswahlen teilnehmen. Damit wurden am Arbeitsplatz Partizipationsmöglichkeiten für Migrant_innen geschaffen, die im politischen Rahmen nicht existieren. Noch immer dürfen Menschen ohne deutschen Pass weder an den Bundestagswahlen, noch an kommunalen Volksentscheiden teilnehmen. Das betrifft eine wachsende Gruppe von Beschäftigten in Deutschland, mittlerweile etwa acht bis zehn Millionen Menschen.
Erfüllt das Betriebsverfassungsgesetz seine integrierende Funktion noch angesichts einer seit den Siebzigern komplett veränderten Arbeitswelt?
Aktuell gibt es eine starke Arbeitsmigration aus Osteuropa, beispielsweise bei den Logistiker_innen oder im Sorgebereich. Eine gute Gewerkschaftsarbeit und engagierte Interessensvertretung in diesen Sektoren sind das beste Mittel gegen Ausbeutung und für die Integration von Menschen aus unterschiedlichen Ländern.
Beim DGB-Kongress vor einigen Wochen hatten nur sehr wenige Delegierte einen Migrationshintergrund. Wäre es nicht ein gutes Zeichen, wenn beim nächsten Bundeskongress von ver.di Kolleg_innen mit Einwanderungsgeschichte in die Gremien gewählt würden?
Es muss selbstverständlich werden, dass die Vielfalt in der Gesellschaft und in der Mitgliedschaft sich auch in den gewerkschaftlichen Strukturen abbildet. Die Streiks der letzten Monate, ob im öffentlichen Dienst oder in der Industrie, aber auch empirische Untersuchungen, die es bisher nur bei der IG Metall gibt, haben eines deutlich gezeigt: Viele migrantische Kolleginnen und Kollegen übernehmen Verantwortung in den betrieblichen Interessensvertretungen, sie sind ein wichtiger Teil aktiver Belegschaften und gewinnen neue Mitglieder. Hier steckt viel Potenzial für die Zukunft der Gewerkschaften.
Was müsste ver.di tun, damit Migrant_innen in den eigenen Strukturen besser repräsentiert werden?
Die Migrationsausschüsse in ver.di fordern einen Plan zur Öffnung der Strukturen, um den Einfluss der engagierten migrantischen Kolleg_innen zu stärken und ihre Erfahrungen einzubringen. Dazu braucht es ähnliche Instrumente wie in der Gleichstellungspolitik, etwa Gleichstellungspläne oder Quotierungen. Für dieses Ziel erhoffe ich mir mehr Unterstützung von linken und feministischen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern.
Waren Sie in Ihrer gewerkschaftlichen Arbeit direkt mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert?
Natürlich schwappen die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auch in die Betriebe, nicht zuletzt, weil die politische Bildung vieler Beschäftigter in den sozialen Medien stattfindet. So ist es nicht verwunderlich, dass wir auch auf gewerkschaftlichen Seminaren mit rechten Haltungen konfrontiert sind.
Wie soll die Gewerkschaft damit umgehen?
Klare Kante, aber auch offene Tür. Kann man Menschen, die der Logik »Wir gegen die« der Rechten folgen, noch mit Argumenten erreichen? Dann sollte man sich mit den Äußerungen inhaltlich auseinandersetzen und sie widerlegen. Gegenüber Menschen mit einem verfestigten rechten Weltbild muss allerdings ein klarer Trennungsstrich gezogen werden. Um an die Strukturfrage anzuknüpfen: Noch viel wichtiger als die Frage der Aufklärung über rechte Ideologie ist es meiner Meinung nach, dass unsere Gegenerzählung der Solidarität zwischen verschiedenen lohnabhängigen Menschen sehr viel stärker als bisher auch durch die Auswahl der Personen und Gesichter untermauert wird, die für die Gewerkschaft stehen. Wir leben Vielfalt und reden nicht nur drüber ist ein Ansatz, um den irrigen Gedanken ethnisch homogener Gruppen und Nationen das Wasser abzugraben.
Sie arbeiten auch im Vorstand des antirassistischen Gewerkschaftsvereins »Mach’ meinen Kumpel nicht an!« mit, der am Wochenende seine Jahrestagung hat. Welche Bedeutung hat der Verein über 30 Jahre nach seiner Gründung in der heuten Gewerkschaftsarbeit?
Der Verein war vor ein paar Jahren ein bisschen in Vergessenheit geraten, aber ist heute wieder sehr aktiv. Wir organisieren Bildungsarbeit in den Betrieben und bereiten aktuelle Themen für die Arbeitswelt auf. Bei der Jahrestagung geht es beispielsweise um die rassistisch motivierte Instrumentalisierung von Frauenrechten. Mit unserer Präsenz auf Gewerkschaftstagen und Veranstaltungen erinnern wir daran, dass zur DNA der Gewerkschaften immer auch antirassistische und antifaschistische Haltungen gehören. Auf dieser Basis ist der Verein ein starkes Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Gewerkschaften. Mehr als tausend Betriebs- und Personalräte, Hauptamtliche bis hin zu den Vorsitzenden sind Fördermitglieder.
Vor den Betriebsratswahlen in diesem Jahr gab es große Befürchtungen, dass rechte Kandidaten auch in den Betrieben neue Erfolge feiern könnten. Das ist nun nicht der Fall. Grund zur Beruhigung?
In einigen Betrieben, wo sie eine starke Öffentlichkeitsarbeit gemacht haben, gewannen die Rechten einige Mandate. Ansonsten sind sie erfolglos geblieben. Jetzt haben wir einen realistischeren Blick darauf, dass rechte Betriebskandidaturen kein Selbstläufer sind. Das ist für engagierte Gewerkschafter_innen aber kein Grund, sich zurückzulehnen. Schließlich können die Rechten bei den nächsten Betriebsratswahlen aus den Erfahrungen lernen.
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