Weiterbildung weiter gedacht

Forscher und Gewerkschafter fordern angesichts der Digitalisierung umfassendere Qualifizierungen

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt kommt der kontinuierlichen Weiterbildung von Arbeitnehmern eine wachsende Bedeutung zu. In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD vereinbart, in der laufenden Legislaturperiode eine »nationale Weiterbildungsstrategie« zu entwickeln. Und vor einigen Tagen kündigte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine »Qualifizierungsoffensive« an. So sollen Lohn- und Kurskosten vor allem für Beschäftigte in kleinen- und mittleren Betrieben von der Bundesagentur weitgehend übernommen werden und Arbeitslose, die sich qualifizieren, einen längeren Anspruch auf Arbeitslosengeld erhalten.

Bislang gebe es »wenig mehr als Lippenbekenntnisse der Bundesregierung und vor allem keine Aussage zu Finanzierung«, drängte Gerhard Bosch, Leiter des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen, bei einer Tagung von Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Berlin auf eine schnelle Umsetzung dieser Postulate. Der Arbeitsmarkforscher rechnet mit einem »dramatischen Strukturwandel«.

Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit (IAB) geht davon aus, dass bis 2035 rund 1,4 Millionen Arbeitsplätze in ihrer bisherigen Form durch neue Technologien, Digitalisierung und neue Arbeitsorganisation wegfallen werden. Das betrifft viele Arbeitsbereiche, von der Lager- und Transport-Logistik über klassische Bürotätigkeiten bis hin zu industriellen Kernsektoren wie der Automobilindustrie, wo durch die Umstellung von Verbrennungs- auf Elektroantriebe ganze Produktionsbereiche verschwinden werden. Dem steht laut IAB aber ein Arbeitskräftebedarf in vergleichbarer Höhe gegenüber, der ohne flächendeckende Weiterbildung nicht einmal ansatzweise gedeckt werden könnte.

Viel zu lange ist Weiterbildung als Fast-Food-Qualifizierung für langzeitarbeitslose Geringqualifizierte praktiziert worden, die dann zwischen Bewerbungstraining und Computerkursen hin- und hergeschoben wurden, ohne dass sich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt signifikant verbesserten. Durch die Hartz-Gesetze sei zudem das Prinzip des »Vermittlungsvorrangs« zur Leitlinie der Arbeitsagenturen geworden, erläuterte Bosch. Fortbildungen wurden verweigert, wenn ein Arbeitsplatz angeboten werden konnte, auch wenn dieser prekär und mit hohem Risiko erneuter Arbeitslosigkeit verbunden war. Damit müsse »endgültig Schluss sein«.

Bosch fordert daher eine »investive Arbeitsmarktpolitik«, die sowohl für Erwerbslose als auch für Beschäftigte »abschlussorientierte« Weiterbildungen in den Mittelpunkt stellt, also anerkannte Bildungs- und Berufsqualifikationen. Zur Finanzierung gehöre dabei auch die Sicherung eines angemessenen Lebensunterhalts in der Weiterbildungsphase. Dies beinhalte sowohl ein »Erwachsenen-BAföG« für das Nachholen von Schul- und Berufsabschlüssen, als auch höhere Grundsicherungsleistungen für Hartz-IV-Bezieher, die an derartigen Programmen teilnehmen. Ein bislang vollkommen vernachlässigter Aspekt sei auch die Einbeziehung von Minijobbern, Leiharbeitern und SoloSelbstständigen in die geförderte Fortbildung. Bei der Finanzierung müssten auch die Unternehmen in die Pflicht genommen werden, beispielsweise durch Branchenfonds.

Nach Auffassung des DGB sind in erster Linie die Unternehmen für die Weiterbildung ihrer Beschäftigten zuständig. Er tritt für einen Rechtsanspruch auf berufliche Weiterbildung ein. Entsprechende Angebote dürften nicht an die unmittelbaren Interessen eines Unternehmens geknüpft sein, sondern müssten die individuellen Bedürfnisse der Arbeitnehmer berücksichtigen und eine über die Anwendbarkeit in einem bestimmten Betrieb hinausgehende Qualifikation beinhalten, verlangte Johannes Jakob, Abteilungsleiter Arbeitsmarkt beim DGB-Bundesvorstand. Dazu gehöre auch eine flächendeckende, unabhängige Beratung bei den Arbeitsagenturen, und »dafür müssen wir auch Geld in die Hand nehmen«.

Vertreter verschiedener DGB-Gewerkschaften betonten zwar, dass sie es auch als Aufgabe sehen, Qualifizierungstarifverträge durchzusetzen, »aber die bekommen wir in den einzelnen Betrieben dann oftmals nicht zum fliegen«, wie Stefanie Janczik von der IG Metall einräumte. So bewertete das auch Mechthild Bayer, die bei ver.di den Bereich Weiterbildung leitet. Nötig sei eine gesetzlich geregelte, staatliche Qualifizierungspolitik, mit der »Individualisierung, Privatisierung und Kommerzialisierung in diesem Sektor zurückgedrängt« werden kann.

Doch dem steht eine sehr spezifisch deutsche Hürde im Weg, wie die frühere Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) anmerkte. Problematisch sei es nämlich, »dass Arbeitsmarktpolitik in die Bundeskompetenz fällt, Bildungspolitik aber den Ländern obliegt«. Daher werde es schwierig, die für Weiterbildung eine sinnvolle Verzahnung entsprechender Angebote mit Berufs- und Berufsfachschulen bundesweit und flächendeckend umzusetzen. Der Weg zu einer wirklich effektiven Weiterbildungslandschaft im Sinne der Beschäftigten ist also noch äußerst lang und steinig.

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