- Berlin
- Leerstand in Berlin
Mit dem Feldstecher im Gebüsch
Leerstand gerichtsfest nachzuweisen ist ein Riesenakt für zuständige Behörden
Mittwochmittag müssen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zum Rapport antreten. Wie sie es mit dem Wohnungsleerstand halten, will der Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen von ihnen wissen. Beantragt hatten das die rot-rot-grünnen Koalitionsfraktionen. Gekommen sind Jörg Franzen, Vorstandschef der GESOBAU, Ingo Malter, Geschäftsführer der Stadt und Land. »Wir sind daran interessiert, Wohnungen möglichst schnell zur Verfügung zu stellen«, sagt Franzen. Das klappe jedoch nicht immer sofort. Hindernisse seien unter anderem diverse Sanierungen, aber auch die Prüfungen für die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins. Auch frisch fertiggestellten Neubauten könnten nicht innerhalb von vier Wochen komplett vermietet werden.
»Spekulativer Leerstand macht für kommunale Vermieter keinen Sinn«, bekräftigt auch Ingo Malter. Die Besetzung des seit drei Jahren leerstehenden Hauses Bornsdorfer Straße 37b in Neukölln durch das Bündnis besetzen am Pfingstwochenende ist der Anlass für den Termin. Zunächst habe es Statikprobleme mit dem Haus gegeben, das als Teil eines ganzen Portofolios gekauft wurde, immerhin stürzte eine Cessna 2001 beim Landeanflug auf den ehemaligen Flughafen Tempelhof in das Gebäude. Dann sei auch noch Hausschwamm festgestellt worden. Zwischenzeitlich gab es Überlegungen, das Haus zur Flüchtlingsunterbringung zu nutzen, allerdings sprang der Betreiber wieder ab, so Malter. Nun sollen echte Wohnungen in dem ehemaligen Schwesternwohnheim entstehen, im Erdgeschoss der einst dort residierende Kindergarten wieder einziehen, allerdings zu aktuellen Sicherheitsstandards, wie einem zweiten Fluchtweg. »Darüber sind leider drei Jahre ins Land gegangen«, sagt Malter. Mit dem Bau solle aber dieses Jahr begonnen werden.
Etwas über 300 000 Wohnungen sind im Bestand der sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Zum 30. April 2018 standen davon 5337 (2 Prozent) leer, die Hälfte wegen Sanierungen.
Die Quoten unterscheiden sich zwischen den einzelnen Gesellschaften. Bei der degewo stehen 1,2 Prozent leer (sanierungsbedingt: 0,8 Prozent); GESOBAU: 2,7 Prozent (1,7 Prozent); Gewobag: 2,1 Prozent (1,4 Prozent); HOWOGE: 1,1 Prozent (0 Prozent); Stadt und Land: 2,6 Prozent (0,9 Prozent); WBM: 1,6 Prozent (0,5 Prozent).
Bei allen sechs Gesellschaften zusammen stehen wegen Sanierung oder Abriss und Neubau nur fünf komplette Häuser leer.
Die Leerstandsquote bei den Berliner Wohnungsbaugenossenschaften liegt bei 0,9 Prozent. nic
Auch Eckhard Sagitza, Gruppenleiter Zweckentfremdung im Wohnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg, kann aus seiner Praxis nur von echtem Leerstand bei Privateigentümern berichten. Für 135 Wohnungen konnte so eine illegale Zweckentfremdung nachgewiesen werden. »Da müssen sie schon mit dem Feldstecher im Gebüsch lauern, um die Leerstände nachzuweisen«, erklärt er. Inzwischen sei es ein Beruf, Mieter zu sein. Wenn Eigentümer Nachweise über die Vermietung vorlegen müssten, seien im Amt die Namen der vorgeblichen Mieter schon bekannt. »Wir haben einen Akteur mit großem Wohnungsbestand, der ist pleite gegangen bei der Finanzkrise. Aber leider nicht ganz«, berichtet Sagitza. Vom novellierten Zweckentfremdungsgesetz erwartet er deutliche Verbesserungen bei der Zusammenarbeit mit anderen Behörden, auch den Finanzämtern.
Auch die geplanten Fertigstellungszahlen bei den Landeseigenen sind Thema im Ausschuss. Laut Bericht der Stadtentwicklungsverwaltung werden bis Ende 2021 nach aktuellem Stand 26 541 Wohnungen fertiggestellt, knapp 3500 weniger als im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Schaffung von Planungsrecht, aber auch die Kapazitäten der Bauindustrie seien die größten Hemmnisse, berichtet Senatorin Katrin Lompscher (LINKE). In dem Bericht seien außerdem nicht die zu bauenden Wohnungen für Studierende und Geflüchtete enthalten. »Da das auch Wohnungen in öffentlicher Hand sind, werden wir diese in künftigem Berichten integrieren«, kündigt Lompscher an.
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