Ziel: Abschiebungen verhindern

Johann Wiede erklärt im Interview, was es mit der neu gegründeten Initiative »Bürger*innen-Asyl Berlin« auf sich hat

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.
Johann Wiede
Johann Wiede

Bürger*innen-Asyl, was ist das? Mehr als Soli-Zimmer, die beispielsweise Wohngemeinschaften kostenlos zur Verfügung stellen, um Geflüchtete dort wohnen zu lassen?

Bei uns geht es nicht um Schlaf-, sondern um Schutzräume. Es gibt viele Initiativen in Berlin, die Geflüchtete unterstützen. Das Bürger*innen-Asyl greift als letzte Chance, wenn ein Mensch abgeschoben werden soll. Wir wollen Abschiebungen verhindern.

Das heißt, Sie verstecken die Betroffenen in Privatwohnungen?

Wir wollen es den Behörden schwer machen, sie aufzufinden. Letztlich geht es darum, Zeit zu gewinnen. Nach Dublin-Verordnung können Menschen nur innerhalb der ersten sechs Monate, die sie sich in Deutschland aufhalten, in ein anderes EU-Land - das, in dem sie als erstes registriert wurden, - abgeschoben werden. Wenn sie nicht als untergetaucht gelten. Anschließend muss der Asylantrag von Deutschland übernommen werden. Dabei wollen wir helfen.

Am Dienstagabend planen Sie dazu eine Podiumsdiskussion und Informationsveranstaltung. Wäre es nicht besser, die Menschen heimlich zu verstecken?

Geheime Bürger*innen-Asyle hat es schon immer gegeben und wird es auch weiterhin geben. Jetzt nehmen aber die Abschiebungen zu. Gleichzeitig werden sie immer mehr als Normalität angesehen. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, in den öffentlichen Diskurs einzugreifen und klar Haltung zu zeigen. Wir sehen es aber auch als unsere Aufgabe an, auf die derzeitige rechtlich umstrittene Situation hinzuweisen.

Das heißt?

Der Schutzstatus von Flüchtlingen wird zuerst politisch in Frage gestellt, anschließend gesellschaftlich und wird dann in rechtliche Form gegossen. Dennoch gibt es dabei viele rechtlich umstrittene Fragen. Wenn ein Bundesland wie Berlin nicht nach Afghanistan abschiebt, weil Afghanistan nicht sicher ist, dann aber im Rahmen der Dublin-Verordnung nach Schweden abschiebt, obwohl bekannt ist, dass Schweden Abschiebungen nach Afghanistan zulässt, ist das unter Umständen nicht rechtmäßig.

Kann man sich das Bürger*innen-Asyl vorstellen wie ein Kirchenasyl?

Wir verstehen uns als parallele Struktur zum Kirchenasyl, aber ohne den dort garantierten Schutz durch die Übereinkunft mit staatlichen Akteuren. Auch wir bieten Schutz, Wohnraum und wollen Abschiebungen rechtlich verhindern. Tatsache ist, dass die Betroffenen den Behörden eine Adresse mitteilen müssen. Wir suchen Menschen, die für solche Fälle ihre Adresse angeben.

Gibt es bereits Bürger*innen-Asyle in Berlin?

Geheime ja, öffentliche im Rahmen unserer Initiative nicht. Wir sehen uns als Teil einer Bewegung von solidarischen Städten in ganz Deutschland. In Göttingen, Hanau, Freiburg und Stuttgart gibt es bereits öffentliche Kampagnen für ein Bürger*innen-Asyl, und in etwa zehn weiteren Städten bilden sich gerade Initiativen. Wir hoffen, in Berlin in zwei Wochen starten zu können. Dafür brauchen wir aber erst einmal mehr Menschen, die die Idee unterstützen. Die wollen wir am Dienstag bei unserer Veranstaltung in der Kontakt- und Beratungsstelle KuB erreichen.

Um eine Adresse zur Verfügung zu stellen?

Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung: Wir brauchen ein großes Netzwerk an Adressen, die Betroffene bei Behörden angeben können, wir brauchen Schlafplätze. Wir brauchen Menschen, die öffentlich sagen, dass sie Bürger*innen-Asyle anbieten, und wir brauchen Geld, um Mieten zu finanzieren oder Anwälte zu bezahlen. Es geht auch darum, diejenigen, die bereits geheime Bürger*innen-Asyle anbieten, zu unterstützen: sich gegenseitig zu vernetzen und zu zeigen, dass man nicht alleine dasteht.

Und falls es tatsächlich einmal zu einer Klage gegen die Initiative kommt oder gegen Menschen, die ein Zimmer anbieten, dann bietet ein großes Netzwerk von Menschen, die dahinter stehen, auch Schutz - und eine größere Basis, um einerseits eine politische Diskussion anzuschieben und um Geld und Unterstützung für eventuell notwendige Gerichtskosten zusammenzubekommen.

Heißt das, man kann an die Initiative spenden?

Noch ist Geld kein wichtiges Thema, bis jetzt haben wir nur Flyerkosten. Aber das wird natürlich noch wichtig werden - sobald wir die ersten Zimmer haben, die bezahlt werden müssen. Spenden im klassischen Sinne können wir nicht annehmen, wir sind kein Verein. Wir denken eher an Soli-Partys und an eine Art Mikrofinanzierung, also Geld für die Miete im Bekanntenkreis einsammeln. Wenn ein Zimmer 300 Euro kostet, dann müssen nur 30 Leute je 10 Euro zahlen. Sechs Monate sind ja auch ein absehbarer Zeitraum.

Stichwort Rechtsanwälte: Welche rechtlichen Konsequenzen haben Menschen zu befürchten, die Betroffene verstecken?

Auch da ist die Rechtslage nicht eindeutig. Es gibt aber noch niemanden, der deswegen in Deutschland verklagt wurde. Wir lassen uns von Anwälten beraten, und einer wird auch am Dienstag bei der Veranstaltung dabei sein.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.