Offenes Neukölln preisverdächtig

Brandenburgs Zivilgesellschaft lässt sich vom Verfassungsschutzbericht nicht irritieren

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

In Märkisch Buchholz landete immer wieder Material der NPD in den Briefkästen. Analog zu Aufklebern, mit denen signalisiert wird, dass generell keine Werbung eingeworfen werden soll, entwickelte und verteilte die Bürgerinitiative »Bob - Buchholz offen und bunt« einen speziell an die neofaschistische Partei gerichteten Aufkleber. Diese sollte ihr Propagandamaterial für sich behalten. Es hat aber nichts genutzt. Es fand sich trotzdem immer wieder Informationsmaterial in den Briefkästen. Darum verklagten einige der 15 Mitglieder der Bürgerinitiative die NPD auf Unterlassung und gewannen den Prozess.

Dieses Engagement wird nun mit 3000 Euro belohnt. Das ist das Preisgeld im Wettbewerb »Aktiv für Demokratie und Toleranz«. Die Aufkleberaktion von »Buchholz offen und bunt« gehört zu den bundesweit 77 Gewinnern. Die Preisverleihung an neun Berliner und zwei Brandenburger Projekte erfolgt an diesem Mittwoch um 14 Uhr im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Der Wettbewerb wird ausgerichtet durch das im Mai 2000 von den Bundesministerien des Innern und der Justiz gegründete »Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt«. Für die jüngste Ausgabe des Wettbewerbs wurde aus 381 Einsendungen ausgewählt.

1000 Euro Preisgeld erhält das Projekt »Wider das Vergessen«. 30 Zöglinge der von der Arbeiterwohlfahrt getragenen Berufsschule für Sozialwesen haben sich mit den faschistischen Krankenmorden, der Euthanasie, auseinandergesetzt. Basierend auf einer wahren Begebenheit haben sie im vergangenen Jahr bei einem Gedenken an den Holocaust in Lübbenau szenische Darstellungen und ein Schattentheater zu diesem Thema aufgeführt.

Ursprünglich sollte an diesem Mittwoch auch das Bündnis Neukölln aus dem gleichnamigen Berliner Bezirk ausgezeichnet werden. Es veranstaltet das Festival »Offenes Neukölln« mit Ausstellungen, Lesungen, Konzerten, Stadtrundgängen, Vorträgen, Garten- und Straßenfesten. »Mehr als 150 Veranstaltungen haben auch 2018 wieder gezeigt, dass Neukölln zusammensteht gegen Rassismus«, heißt es. 2019 soll es die dritte Auflage des Festivals geben, das sich Lob redlich verdient hat. Doch Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium stoppten die Auszahlung des Preisgelds - weil zu dem breit aufgestellten Bündnis neben den Parteien SPD, LINKE und Grüne, neben Gewerkschaften, Kirchen, der Galerie »Olga Benario« und vielen Einzelpersonen auch die vom Verfassungsschutz beobachtete Interventionistische Linke (IL) gehört. Es sei zu »gewährleisten, dass staatliche Förderung und Anerkennung nicht, auch nicht mittelbar, extremistischen Gruppierungen zukommt«, hieß es zur Begründung.

Das Bündnis Neukölln war fassungslos, dass dies ausreichte, von der Förderung ausgeschlossen zu werden, obwohl das Bundesjustizministerium anerkannt habe, dass »unser Engagement« für eine plurale, demokratische und antirassistische Gesellschaft »ohne Zweifel auszeichnungswürdig« sei.

Das Bündnis Neukölln bekommt nun aber an diesem Mittwoch doch einen Preis in Potsdam. Zwar nicht im Preußenmuseum am Neuen Markt und nicht den Preis im Wettbewerb »Aktiv für Demokratie und Toleranz«, aber ein paar Schritte weiter im Kultur- und Kreativhaus »Rechenzentrum« an der Dortustraße einen Preis für demokratisches Engagement. Diesen Preis verleiht um 12.30 Uhr demonstrativ das brandenburgische Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.

Die 2000 Euro Preisgeld - das ist ein schönes Beispiel für Solidarität - haben Vereine und Initiativen gestiftet, die in früheren Jahren bei dem bundesweiten Wettbewerb »Aktiv für Demokratie und Toleranz« Geld gewonnen hatten. Jetzt haben sie kleine Beträge zwischen 50 und 100 Euro abgegeben. Weil ziemlich viele Vereine und Initiativen diese Idee toll fanden, seien die 2000 Euro zusammengekommen, erläutert Anna Spangenberg, Geschäftsführerin des Aktionsbündnisses.

Mitgemacht hat beispielsweise der brandenburgische Verein »Opferperspektive«, der 2004 Preisträger war. Für Vereinsgeschäftsführerin Judith Porath ist das gar keine Frage. »Die Neuköllnerinnen und Neuköllner, die angesichts der Gewalt von rechts offen für Vielfalt und Demokratie eintreten, sind Vorbilder, die Unterstützung verdienen«, sagt sie.

Gezahlt hat auch die Bürgerinitiative »Zossen zeigt Gesicht«, die einer der Sieger im Wettbewerb des Jahres 2009 war. In der Nacht zum 23. Januar 2010 hatten jugendliche Neonazis den Sitz der Bürgerinitiative, das »Haus der Demokratie«, mit einem Brandanschlag zerstört. Das war nur der Höhepunkt eine Reihe von Vorfällen. Bereits im Juli 2009 war das Wohnhaus von Jörg Wanke, Sprecher von »Zossen zeigt Gesicht«, mit den Worten »Linke Sau« und »Volksverräter« beschmiert worden, und im August 2009 fanden sich dort die Drohungen »Zossen bleibt braun« und »Jörg Warnke stirbt bald«.

Jörg Wanke bekennt nun: »Ich weiß, wie es ist, wenn Neonazis dich mit dem Tod bedrohen und dein Haus niederbrennen. Wir als Bürgerinitiative waren dankbar für die Unterstützung, die wir erfahren haben. Sie hat uns bestärkt, den Neonazis weiter die Stirn zu bieten.« Dass dem Bündnis Neukölln die bereits verheißene Unterstützung mit Verweis auf den Verfassungsschutzbericht wieder entzogen wurde, sei »erbärmlich«, findet Wanke, denn das Bündnis stehe »für unsere Verfassungswerte ein, auch dann, wenn es gefährlich ist«.

Zwar werde die Interventionistische Linke im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Dem Bündnis Neukölln werde aber »gar nichts vorgeworfen«, heißt es. Farbe bekennt in dieser Sache auch DGB-Landesbezirksvize Sonja Staack. Sie hält die Laudatio.

»Wir freuen uns sehr über diese Anerkennung unserer Arbeit durch die Zivilgesellschaft«, kommentiert das Bündnis Neukölln die Solidarität der Preisträger vergangener Jahre. Bündnissprecherin Lavinia Schwedersky äußert begeistert: »Dies zeigt, dass die Zivilgesellschaft zusammensteht für ein solidarisches und demokratisches Miteinander.«

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