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Spiel mir richtig - erleben und erben!

Autorentheater am Deutschen Theater: Schauspielhaus Wien zeigt »Die Zukunft reicht uns nicht«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt neuerdings eine Neigung zu barock-raumgreifenden Titeln, die dem Autor schon in der Ankündigung dessen, was folgen soll, Platz verschaffen - dabei eben auch jede Zeilenvorgabe sprengen. Der lange Titel des kurzen neunzigminütigen Abends lautet: »Die Zukunft reicht uns nicht (Klagt, Kinder, Klagt!) - Eine postheroische Schuldenkantate«. Das klingt gefährlich nach mit Lyrik aufgerüstetem Oberseminar am falschen Platz - und das ist es zum großen Teil auch.

Autor Thomas Köck (Jahrgang 1986) wird von seinen Anhängern gern als eine Art neuer Beckett gefeiert. Wenn das als Kurzformel für Jelinek-Apologie, Botho-Strauß-Fortsetzung, Heidegger-Kommentar samt Habermas-Gegenkommentar gemeint ist, mag es stimmen. Seherin trifft Chor. Die Seherin ist Sophia Löffler: groß, langes blaues Kleid, ein angestrengt-dauerverzücktes Sektenlächeln im Gesicht, wie man sich eine Seherin so vorstellt. In ihrem zwanzigminütigen Anfangsmonolog, allein auf der Bühne (und das ist wirklich allein), umflattert nur von einem computergesteuerten Kunstvogel, spricht sie von einem Buch, das Archäologen gefunden haben, ein Buch, das nur noch eine Lebende zu lesen vermag - sie selbst, Seherin von Berufung, die durch die Zeiten geht und von einer Zukunft redet, die einmal in der Vergangenheit zu finden gewesen sein wird. Erbe, Vermächtnis, Rache, Verrat, die Lebenden und Toten - das Stadttheater scheint wieder zu den großen Themen zurückkehren zu wollen: zur Tragödie. Das ist an sich gut, vorausgesetzt, man macht es gut. Sophia Löffler - warum darum herumreden - macht es nicht gut. Sie zieht es immer zu den falschen Tönen und Gesten, die sie mit pathetischem Tremolo in den Zuschauerraum sendet. Zu verantworten haben das zuletzt Thomas Köck als Ko-Regisseur und Regisseurin Elsa-Sophie Jach.

Nach einer gefühlten Unendlichkeit erscheint dann auch der Chor, bestehend aus Wiener Jugendlichen. Mit ihnen kommt ein erfrischend unverbildet-laienhaftes Element auf die Bühne. Der Chor, das sind die nach Zukunft Hungernden, die den Aufstand wagen und doch wieder nicht wagen. Immerhin, die Seherin, der man zu allen Zeiten nie glaubt und die dennoch den Chor manipuliert, hat einen schweren Stand gegen die wachsende Wut des Chors. Natürlich besteht so ein Chor aus lauter Einzelnen - vor allem, wenn es darum geht, welche Zukunft die Toten den Lebenden denn noch zu lassen gedenken.

Köcks Text, dem man insgesamt mehr Mut zu Schlichtheit anraten würde, hat dennoch sprachlich reizvolle Momente. Etwa wenn der Chor das Freiheitsthema durchdekliniert. Statt Ausgang aus der »selbst verschuldeten Unmündigkeit«, wie es Immanuel Kant in seinem Aufsatz »Was ist Aufklärung?« formulierte, haben wir heute die »verschuldete Mündigkeit«, den alle gleich zu unfreien Konsumenten machenden Gang vom Kühlschrank zum Fernseher.

Warum ist diese zerquälte Inszenierung, die mehr Schwächen als Vorzüge aufweist, zu den Autorentheatertagen, die sich als eine Art Konkurrenztheatertreffen verstehen, überhaupt eingeladen worden? Vermutlich, weil Köck im spätpubertären Assoziationsrausch ein Thema für die junge Generation geschrieben hat, das sich solch klassischer Mittel, wie dem des Chors bedient.

Welche Zukunft meinen wir denn? Die Frage steht in diesem Jahr über allen eingeladenen Inszenierungen. Und da hinein passt Köcks Tiefenbohrung im flachen Zeitgeist zweifellos. Von »alten weißen Männern«, die zurückbleiben werden, von jener Dynamisierung, die sie selbst angestoßen haben, vernichtet, bis hin zu den jung-dynamischen Überfliegern, die auch zurückbleiben werden, abgehängt von der Entwicklung, die alle nach und nach abhängt. Aber was heißt das, wo bleiben all diese Abgehängten? Im Garten hinterm Reihenhaus und mähen jeden zweiten Tag den Rasen - oder unter der Brücke, rapide verwahrlosend?

Auch unter den Abgehängten gibt es immer noch Statusunterschiede. Politiker- und Experten-O-Töne werden eingespielt, vom Chor mit ätzenden Kommentaren versehen. Die sich heranschleichende Ahnung: »Die Umverteilung kommt auch diese Legislaturperiode nicht.«

Wie also erbt man richtig, oder dem vorausgehend: Wie vererbt man etwas so, dass es für die Nachkommenden (über)lebbar wird? Also nicht nur Geld und Immobilien, sondern auch Krise, Ausbeutung und Umweltzerstörung. Kann man überhaupt noch von erben sprechen, wenn ein Prozent der Bevölkerung bereits vierzig Prozent des Vermögens besitzt und dagegen die ärmere Hälfte der Bevölkerung nur 2,5 Prozent? Der politische Trick: Die Krise vergesellschaftet man, die erben alle; das Vermögen weniger jedoch wird immer nur weiter privatisiert. In welche Zukunft führt das? Aus so etwas erwachsen zuletzt Revolutionen. Aber ist solch didaktischer Chorvortrag nicht wieder das Gegenteil jener avisierten Tragödie, die auf der Bühne so schwer zu machen ist?

Einen der im bewährten Mischton von Sorge und Wut vorgetragenen Fakten und Daten fand ich jedoch beachtlich: In Florenz hat ein Einkommensvergleich ergeben, dass im Jahre 2011 immer noch die gleichen Familien die reichsten waren wie bereits im 15. Jahrhundert. Ist das nun eigentlich eine gute oder schlechte Nachricht? Oder etwas, dass es so nur im Schatten der Medici gibt?

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