Werbung
  • Politik
  • Sondergipfel zur Asylpolitik

Mehr Stacheldraht in Sicht

Die EU-Kommission beruft einen Sondergipfel zur Asylpolitik ein

Auf Drängen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für Sonntag einen Sondergipfel mehrerer Staats- und Regierungschefs einberufen. Eine Gruppe von »interessierten Mitgliedstaaten« soll vor dem regulären EU-Gipfel in der kommenden Woche bereits »an europäischen Lösungen« in der Asylpolitik arbeiten, sagte Juncker. EU-Kreise ließen verlauten, dass neben Deutschland auch Frankreich, Italien, Griechenland, Bulgarien, Österreich und Spanien an dem Treffen in Brüssel teilnehmen werden. Es sind jene Staaten, die derzeit die meisten Flüchtlinge in der Union aufnehmen.

Wie aber eine europäische Einigung aussehen kann, ist noch unklar. »Wir erwarten für eine Stellungnahme die deutschen Vorschläge zur Lösung des Flüchtlingsproblems«, ließ ein hoher griechischer Diplomat am Mittwoch verlauten. Merkel wird auf dem Sondergipfel versuchen, bilaterale Abkommen mit anderen Staaten über die Rücknahme von Flüchtlingen voranzubringen. Im Asylstreit mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ist die Kanzlerin unter Druck geraten, eine rasche europäische Lösung zu erzielen.

Appell gegen Hetze

Berlin. Bereits einen Tag nach der Online-Veröffentlichung haben 2879 Menschen den Aufruf »Solidarität statt Heimat« unterzeichnet. Der Appell richtet sich an all jene, die die aktuelle rechtspopulistische und von Sparzwängen regierte Politik nicht hinnehmen wollen. Die teils prominenten Unterzeichner wollen »sich dem politischen Rassismus entgegenstellen« und fordern mehr Solidarität. Verfasst wurde der Aufruf von der Hilfsorganisation medico international, dem Institut Solidarische Moderne (ISM) sowie krit.net. »Gefordert ist in der aktuellen Situation Parteinahme und ein Ausbrechen aus den Routinen«, sagt Thomas Seibert von medico international gegenüber »nd«.

Die gesellschaftliche Linke reagiere angesichts des Tempos, mit dem sich der rechtspopulistische Diskurs durchsetzt, überfordert, führt Seibert weiter aus und schließt sich selbst ein. Seiner Ansicht nach, die sich auch im dreiseitigen Aufruf widerspiegelt, bestimmt der Rechtspopulismus maßgeblich den »Ausdruck der aktuellen gesellschaftlichen Stimmungslage«. Deshalb sei Seibert zufolge eine unzweideutige Parteinahme notwendig. ulk

In dem Konflikt geht es um jene Geflüchteten, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben. Die CSU will sie an der Grenze abfangen und zurückschicken, was rechtlich umstritten ist. Menschenrechtler und Juristen befürchten dadurch eine Aushöhlung des Asylrechts. Eine solche Regelung würde zudem umfangreiche Grenzkontrollen erfordern. Merkel will darauf verzichten und setzt auf zeitnahe Rückführungen auf Basis von bilateralen Abkommen.

Mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat die Kanzlerin am Dienstag bereits eine solche Regelung vereinbart. Die hat jedoch eher einen symbolischen Charakter, schließlich ist die deutsch-französische Grenze kein Hotspot für Flüchtlinge. Die Einigung demonstriert aber, dass Frankreich dicht an der Seite Deutschlands steht.

Kritisch wird die Asyl-Diplomatie der Kanzlerin derweil in Bayern verfolgt. Der christsoziale Ministerpräsident Markus Söder warnte Merkel davor, andere EU-Staaten mit finanziellen Zusagen zu einer Zusammenarbeit in Asylfragen zu bewegen. Söder traf am Mittwoch den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz; beide verfolgen einen harten Kurs gegen Flüchtlinge. Söder setzt »große Hoffnung« auf die am 1. Juli beginnenden Ratspräsidentschaft der Alpenrepublik in der Europäischen Union. »Wir glauben, dass da ein neuer Geist in Europa wehen kann, was die Zuwanderung angeht.« Der CSU-Politiker wünscht sich eine weitreichende Abschottung an den EU-Außengrenzen, weil sich fast jeder europäische Staat mit der Zuwanderung überfordert fühle.

Bilaterale Abkommen wie sie Merkel favorisiert, wären gewiss nur ein erster Schritt hin zu einer europäischen Neuregelung der Flüchtlingspolitik. Sie würden dem Grundsatz der Dublin-Regelung folgen, die bislang die innereuropäische Verteilung von Flüchtlingen regelt, aber gemeinhin als gescheitert gilt - weil sie die Hauptankunftsländer von Geflüchteten in Südeuropa mehr in die Pflicht nimmt als andere Mitgliedsstaaten.

Seit zwei Jahren gibt es bereits eine Debatte über eine Neuregelung der europäischen Asylpolitik. Die Vorschläge einer gleichmäßigeren Verteilung, wie sie Deutschland etwa mit einer Quotenregelung unterstützt, sind bislang nicht konsensfähig. Vor allem die osteuropäischen Mitgliedstaaten wehren sich gegen eine Pflichtaufnahme. Auch beim Treffen am Wochenende werden die Länder der Visegrád-Gruppe Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien nicht teilnehmen.

Einigkeit unter den Mitgliedstaaten besteht dagegen bei dem Wunsch nach einer besseren Sicherung der EU-Außengrenzen. Dafür soll die EU-Grenzschutzbehörde Frontex in den kommenden Jahren auf 10.000 Mitarbeiter ausgebaut werden.

Zudem gibt es bei den EU-Staaten immer größeren Zuspruch für die Idee, Bootsflüchtlinge im Mittelmeer nicht mehr auf europäisches Festland zu lassen. EU-Ratspräsident Donald Tusk wird beim EU-Gipfel Ende Juni einen Entwurf einbringen, der für diese Flüchtlinge zentrale Sammellager in Afrika vorsieht. Dort könne dann über ihre Schutzbedürftigkeit entschieden werden, heißt es in dem Papier. Die Absicht von Tusk ist klar: In die EU sollen so wenig Flüchtlinge wie möglich ankommen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.