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Gegen Mitbestimmungsdumping
Europas Gewerkschafter fordern im »Appell für Europa« mehr Rechte für Angestellte
Viel ist derzeit die Rede von der Reform der Eurozone. Nicht nur Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Bundeskanzlerin Angela Merkel oder EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker halten die Währungsunion und die EU für reformbedürftig. »Etwas läuft schief in der Europäischen Union«, beginnt der »Appell für Europa«, den der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) jüngst initiierte. Doch geht es den Gewerkschaftern nicht um die Schaffung eines Eurozonen-Budgets oder den Ausbau des Euro-Rettungsschirm ESM zu einer Art Europäischem Währungsfonds, wie Merkel und Macron diese Woche in Meseberg verabredeten.
»Wie kann es richtig sein, dass Hunderttausende von Briefkastenfirmen entstehen konnten, wenn das Ziel dieser Scheinunternehmen darin besteht, Besteuerung und Arbeitsgesetze zu umgehen?«, fragt der EGB stattdessen im Appell und fordert: »EU-Arbeitnehmer dürfen beim Aufbau der EU nicht mehr länger außen vor bleiben.« Es ergebe keinen Sinn, dass die EU-Kommission die Interessen der Anteilseigner von Unternehmen bevorzuge und dabei Realwirtschaft und Arbeitnehmer vergesse. Infolgedessen seien die Gewinne seit den 1990ern auf Kosten der Löhne gewachsen. Es sei an der Zeit, die Situation der über 140 Millionen in Unternehmen arbeitenden EU-Beschäftigten zu überdenken.
Das Bemerkenswerteste an dem Appell: die lange und vielfältige Unterzeichnerliste. Seitdem der Aufruf Mitte Mai in der französischen Zeitung »Le Monde« veröffentlich wurde, haben ihn über 600 Personen unterzeichnet. Neben einer Reihe von Gewerkschaftern aus ganz Europa wie der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Reiner Hoffmann sind auch viele Akademiker sowie Politiker diverser Parteien darunter. Aus Frankreich etwa sind der Reichtumsforscher Thomas Piketty und das Grünen Urgestein Daniel Cohn-Bendit dabei. Hierzulande haben den Aufruf zum Beispiel der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok oder fast die gesamte LINKE-Gruppe im Europaparlament unterschrieben.
»Der Appell ist eine treffende Antwort auf Entwicklungen im europäischen Gesellschaftsrecht«, sagt Rainald Thannisch, Mitbestimmungsexperte in der Grundsatzabteilung des DGB. Denn der Grund für den Appell waren weniger die Vorschläge von Macron und Juncker als vielmehr das sogenannte Polbud-Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Die Richter haben es dabei den Unternehmen erleichtert, ihren rechtlichen Sitz unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in ein anderes europäisches Land zu verlagern und so die Rechtsform zu ändern. So ist die Verlegung des Sitzes laut dem Urteil allein deswegen, um in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften im Aufnahmestaat zu gelangen, noch nicht rechtsmissbräuchlich. Die Gewerkschaften halten dies für einen Angriff auf die Mitbestimmungsrechte der Angestellten.
»Wir sehen die Gefahr, dass ein deutsches Unternehmen jetzt die Chance nutzt, seinen Sitz etwa nach Malta zu verlagern, nur um Mitbestimmungsdumping zu betreiben«, so Thannisch. So fordert der EGB etwa in seinem Appell, dass Unternehmen künftig nur noch die Registrierung in einem Land erlaubt werden soll, in dem sie auch wirklich aktiv sind. Zudem soll den Arbeitnehmern in allen 28 EU-Staaten das Recht gegeben werden, Vertreter in den Aufsichtsrat zu wählen. Derzeit ist es ihnen nur in 18 EU-Staaten möglich.
Zwar versucht die EU-Kommission derzeit, im Rahmen ihres Unternehmensrechtspakets auch Aspekte der Mitbestimmung zu regeln. Doch sehen Gewerkschafter dort erheblichen Änderungsbedarf. So fordert der DGB, dass Mitbestimmungsrechte einen Bestandschutz von zehn statt nur von drei Jahren haben sollen, wenn ein Unternehmen ins Ausland geht.
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