Lenkrad in der Hand

Saudi-Arabien schafft nach dem Radfahrverbot auch das Autofahrverbot für Frauen ab

  • Oliver Eberhardt, Tel Aviv
  • Lesedauer: 4 Min.

Wirklich groß war der Ansturm nicht: Nur einige Hundert Frauen hätten bis Freitag einen Führerschein beantragt, sagt Major Mansur al Turki, Sprecher des saudischen Innenministeriums. Dafür hat er nun umso mehr zu tun. »Frauen dürfen da kein Auto fahren«, hieß es jahrzehntelang im Westen, aber auch in der arabischen Welt, wenn es galt, in einem Satz zu beschreiben, wie dieses Land so ist: Königreich, und zwar eins von der Sorte, in dem der König sagt und alle anderen machen, und auch noch erzkonservativ, streng nach der strengsten Auslegung der Staatsreligion Islam, obendrein.

Nun schafft Saudi-Arabien am Sonntag das Frauenfahrverbot ab - weltweit das einzige überhaupt seit Erfindung des Automobils - und al Turki hat die Weltpresse am Telefon. Diese will nun wissen, was das bedeutet. »70 Prozent unserer Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre; viele haben das Leben in anderen Ländern kennengelernt, und haben eine andere Sicht auf den Islam«, sagt Sprecher al Turki. »Jeder Staat muss sich an die Bedürfnisse der Menschen anpassen.«

Und tatsächlich wurde im Laufe der vergangenen Monate eine Reihe von gesellschaftlichen Reformen auf den Weg gebracht: Frauen hatten im Königreich stets so gut wie keine Rechte - nun ist es Frauen erlaubt, in einer Führungsposition zu arbeiten, in der Öffentlichkeit Fahrrad zu fahren, denn auch das war bis vor Kurzem verboten, Sport- und Unterhaltungsveranstaltungen zu besuchen, und die Liste ist noch nicht vollständig.

Dass nur wenige diese neuen Rechte auch wahrnehmen, liege nicht daran, dass das Interesse nicht da sei, sagt die Frauenrechtlerin Muna al Naimi. Sondern: »Viele Frauen haben Angst.« Aus gutem Grund: In den vergangenen Wochen wurden über 14 Frauenrechtlerinnen festgenommen. Einige hatten sich bereits hinters Steuer gesetzt, andere wurden inhaftiert, weil sie im Netz das Ende des Fahrverbots als Sieg der Frauenbewegung gefeiert hatten. Die Anklage gegen die Frauen: Beleidigung des Königs.

Denn die Reformen in Saudi-Arabien sind auch Teil eines PR-Feldzuges. Dort hat der 32-jährige Kronprinz Mohammad bin Salman de facto die Macht an sich gerissen und inszeniert sich nun bei jeder Gelegenheit als Reformer, der sein Land in die Moderne führen will. »Unsere Regierung ist weise und weiß, zu welcher Zeit etwas zu tun ist«, sagt Sprecher al Turki. Und: »Diese sogenannte Frauenrechtsbewegung, das sind Leute, die nur gesellschaftlichen Unfrieden stiften und provozieren.«

Es ist eine Sichtweise, die auch heute noch vor allem unter konservativen Saudis weit verbreitet ist: Vor allem auf dem Land ist der Widerstand gegen die Reformen sehr groß. Eine ganze Reihe von Geistlichen hat sich gegen sie ausgesprochen. Auto fahren, ins Kino zu gehen - denn auch einige Kinos gibt es nun - sei deshalb nur Frauen möglich, die eine fortschrittlich denkende Familie hinter sich haben, sagt Frauenrechtlerin al Naimi. »Ich habe einen Ehemann, der mich immer unterstützt hat, auch gegen meine eigene Familie, die dagegen ist, dass ich mehr Freiheiten haben möchte.«

Frauen, die für ihre Rechte eintreten, werden in Saudi-Arabien regelmäßig Opfer von körperlicher und psychischer Gewalt. Bis Anfang Juni blieb häusliche Gewalt, wenn sie von einem männlichen Angehörigen ausging, straffrei. Eine saudische Frauenrechtsorganisation brachte daraufhin alle Fälle häuslicher Gewalt zur Anzeige, die man im Laufe der vergangenen Jahre mithilfe von medizinischem Personal gesammelt hatte - mehr als 5000 an der Zahl.

Die Reformen haben vor allem aber wirtschaftliche Hintergründe: Saudi-Arabiens Staatshaushalt hat stark unter dem Ölpreis gelitten, den die Regierung künstlich gedrückt hatte, um den Erzfeind Iran zu behindern. Man ist auf der Suche nach Alternativen zum Öl, sucht westliche Investoren für Giga-Projekte wie den Bau von Tourismusgebieten am Roten Meer und einer Riesenstadt namens Neom. Auch ein Börsengang des Staatskonzerns Saudi Aramco war geplant. Gleichzeitig fehlt auch gut ausgebildetes Personal: Viele saudische Frauen haben im Ausland studiert. Vor allem deshalb erlaubte man schon vor längerer Zeit Frauen in Führungspositionen. Doch wenige haben die Angebote bislang angenommen.

Die Reformen sind aber auch gleichzeitig eine Belastungsprobe für den Kronprinzen Mohammad. Einflussreiche salafistische Prediger, mit denen die Regierung bislang eine Art Nichtangriffspakt hatte, wettern massiv gegen die Reformen. In den sozialen Netzwerken werden Gewaltandrohungen gegen Frauen, aber auch gegen die Regierung verbreitet. Mehrfach kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Dazu passende Podcast-Folgen:

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.