Das langsame Versickern

Gesprächsgast bei Gregor Gysi am Deutschen Theater Berlin: Harald Schmidt

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Ein Laubblatt versteckt man - im Wald. Das war jahrelang das Geheimnis von Harald Schmidt: Fernsehen vernichtet man - mitten im Fernsehen. Bei Schmidt fanden das elende Banalitätsgebot des Mediums und unser aller Hoffnung auf geistige Erlösung glänzend zusammen. Inmitten einer Maschinerie, die sich für Ton- und Bildstörungen entschuldigt, nie fürs Programm. Und die schon jeden Vorabend zur Gespensterstunde niederwirtschaftet.

Der Entertainer und Kabarettist, ein grandioser Berufszyniker, war am Sonntag zu Gast in Gregor Gysis Gesprächsreihe am Deutschen Theater Berlin. Dunkler eleganter Anzug, graues Haar, am Hemd das selten Gewordene: silberne Manschettenknöpfe. Er blickt in den Saal, als schmecke er die Welt ab. Von oben natürlich. Gysi begrüßt den souveränen Schlaks und sagt bald aufatmend: »Sehr vorteilhaft für mich, dass wir sitzen.«

In SAT 1 und ARD bot Schmidt jahrelang, nach eigenen Worten, »Arbeiter- und Bauernshows für Besserverdiener«, einen »Musikantenstadl für Parallelgesellschaften«. Was er stets beherrschte, war das Handwerk eines unverstellten Mundwerkers. Ein herrlicher Häme- und Herabsetzungsluxus - ich werde nie vergessen, wie er einmal ein Foto von Desiree Nick betrachtete und erschrak: »Oh, die Vogelgrippe erreicht Deutschland!« Und als er seinerzeit Rudi Carrell zum 70. und Helmut Schmidt zum 86. gratulierte, fügte er stolz hinzu, er gehöre zu derjenigen Generation, die beide noch unterscheiden könne.

Der Sohn von Sudetenflüchtlingen - der Vater Verwaltungsangestellter, die Mutter Kindergärtnerin - wurde 1957 in Neu-Ulm geboren. Ein schwäbisches Landjugendschicksal, würde Thomas Bernhard sagen. Schmidt plaudert pointiert. War Schulclown, Imitator und Dauerredner bei Familiennachmittagen. Erzählt, dass die Familie kein Telefon, keinen Fernseher, keinen Kühlschrank besaß - »wir waren trotzdem Westen«. Priester wollte er von dem Moment an nicht mehr werden, »da mich die Falschmeldung erreichte, man dürfe als Pfarrer keinen Sex haben«. Was an seiner Jugend Provinz war? Dass im Ort jeder alles über jeden wusste. »Facebook ist dagegen ein Rückschritt - beim einzigen Banküberfall in jener Zeit trug der Täter eine Strumpfmaske, unglücklicherweise aber auch jenen Pulli, den er seit zwanzig Jahren täglich anhatte und den jeder kannte.«

Eine Geschichte fehlt an diesem Vormittag, sie erzählt den späteren Minimalisten der Höchstwirkung: Bei einer Sportprüfung geht Schüler Harald ans Reck, reibt sich minutenlang die Hände mit Magnesium ein (»das hatte ich im Fernsehen bei Olympia gesehen«), greift die Stange, zieht sich aber nur ein einziges flüchtiges Mal hoch, lässt los und verbeugt sich zu den Lehrern. Ein Johlen der Mitschüler, das nicht enden will.

Nach dem Abitur absolviert er seinen Zivildienst im katholischen Pfarrbüro. Auf der Stuttgarter Schauspielschule entdeckt ihn der Kabarettist Kay Lorentz und holt ihn ans Düsseldorfer »Kom(m)ödchen«. Mit »Maz ab« und »Pssst ...« kommen die ersten TV-Erfolge, »Schmidteinander« (mit Herbert Feuerstein als Partner) erlangt Kultstatus. In Stuttgart erfühlt der Schauspielschüler ehrfurchtgeplättet die Aura der Ära Peymann, hier bestaunt er Gert Voss und Kirsten Dene. Er ist der Sehnsuchtsvolle, der früh vom Hamlet im Bühnenstaub des Stadttheaters träumt, aber durch unbegreifliche Schicksalsschläge in die kleine deutsche Weltberühmtheit eines TV-Granden verschlagen wird.

Es ist ein wahrhaftes Glück, seinen früheren Träumen zu begegnen, wenn man sie nicht mehr nötig hat und ihnen nicht mehr entsprechen muss - dann erst sind Träume schön. Und so kehrte Schmidt spät ans Schauspiel Stuttgart zurück, in einer »Hamlet«-Version sowie im bunten Abend »Elvis lebt. Und Schmidt kann es beweisen«. Viele Male hatte der Schauspieleleve einen Liederabend zum Tode von Elvis Presley gesehen, der 1977 an genau jenem Tag Premiere hatte, da der ermordete Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer in Stuttgart staatsbegraben wurde. Daran erinnerte jener prustende, kecke, sarkastische Theatermix aus Elvis-Melancholie und RAF-Parodie (»Die Agentur für Arbeit teilt mit, dass es nur noch fünf Schauspieler in Deutschland gibt, die noch nie ein RAF-Mitglied im Fernsehen spielten«).

In seinen Talks hat Schmidt mehr und mehr das geboten, was Fernsehen generell ist: Nichts. Denn viele Menschen schalten einzig ein, um abzuschalten. Der Gebrauchswert des Fernsehens, so offenbart das Gespräch, liegt in der Verweigerung von Inhalt. Man will sich von diesem Moloch doch gar nicht erziehen, informieren, bilden, aufklären lassen; man benutzt das Fernsehen wie andere den Alkohol, die Beruhigungstablette, die Droge. Deshalb sind zum Beispiel Politiker in Nachrichtensendungen und Talkshows genau richtig: Während jeder bedauernswerte Funktionär sich einbildet, den Zuschauer zu beeinflussen, befriedigt die Leere seiner Äußerungen nur jenes natürliche Bedürfnis des Publikums, von Bedeutungen gefälligst verschont zu bleiben. Das Medium Fernsehen als technische Annäherung ans Nirwana.

Das genau hat Schmidt - mit dem inneren Feixen des cleveren Scharlatans - auf eine klug närrische Höhe getrieben: Im Zentrum der Idiotie muss man selber gar nicht mehr komisch sein. Das ist der Witz! Nicht der Paukenschlag, sondern die aufreizende Verzögerung. Erwartungen an Komik wecken, um sie zu unterlaufen. Er strahlte in seinen Sendungen eine Unabhängigkeit aus, die an sich schon provokativ wirkte - und die für ihn immer im Beispiel des US-Late-Night-Talkers David Letterman gipfelte: »Auftreten und nichts mehr machen - und dafür Beifall ohne Ende!« Er selber spricht bei Gysi von der Faszination des »Gags, der langsam versickert«.

Schmidt hat als Kunstfigur den Witz der zarten Bestie. Er verletzt mit Lust, wo andere nach politischer Korrektheit krähen und die Gesinnungsgendarmerie Gebotstafeln hämmert. Man lese seine Kolumnen, etwa im »Spiegel«, und weiß sich erfrischt - gegen jene landläufig gewordene antideutsche, antibürgerliche Pöbelpoesie, die sich in Verkennung ihres Stils intelligent und oppositionskräftig wähnt. Einmal sagt Schmidt, was Diplomatie sei: »die Fähigkeit, jemanden so zur Hölle zu schicken, dass der noch begierig nach dem Weg fragt«. So werden die zwei DT-Stunden zur Lektion in Schlagfertigkeit. Ein Thema, zu dem auch Gysi etwas beizutragen hat. In einer Talkshow hatte ihn ein Staatssekretär attackiert, ein CSU-Mitglied. »Ständig rief er, ich hätte keine Ahnung. Es kam der Punkt, da es mir reichte, ich erwiderte ihm, hier gehe es nicht um Ahnungen, sondern um Kenntnisse. Der CSU-Mann war einige Minuten außer Gefecht gesetzt.«

Die Methode Schmidt: Einem schmierigen Kalauer, mit dem er in seinen Shows das Publikum fing, folgte ein Hegel-Satz, mit dem er es blamierte. Er ist als Entertainer geradezu bundespräsidial: Er kann gleichzeitig alle ansprechen und ausgrenzen. Hätte Thomas Mann seinen »Mario und der Zauberer« im TV-Zeitalter geschrieben - der zynische Verführer Cipolla hieße Schmidt. Dass er das Fernsehen längst verlassen hat und im »Traumschiff« seriell abtrainiert mag mancher als Abstieg verdächtigen. Es ist aber eher aktiv gelebte Leichtigkeit, die dem Dasein nicht ständig hohe Ansprüche und tiefe Gedanken abluchsen muss. Ganz bei der Sache zu sein heißt auch, ganz gelöst neben sich stehen zu können.

Jahrelang die Hauptkritik der TV-Redakteure an Schmidt: »Ich sei kein Typ für die einfachen Menschen.« Und er lächelt, wie man spitzer nicht lächeln kann. Es ist ein angebracht arrogantes Lächeln - Gysi lächelt mit - gegen einen Wundpunkt der Gesellschaft: dass sich ebenso viele, die sich Demokraten nennen, auch für humorvoll halten.

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