Rechtsregierung für den Zwölf-Stunden-Tag

Gewerkschaften in Österreich rufen zu einer Großdemo gegen die geplante Arbeitszeitverlängerung - reichlich spät

  • Michael Bonvalot, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.

»Zwölf Stunden sollten möglich sein«, wünschte sich Stefan Pierer in einem Interview mit den »Oberösterreichischen Nachrichten« im Februar 2017. »Die Leute können ja nicht nach zehn Stunden aus dem Flieger springen«, bemühte der Chef des Industriekonzerns KTM ein besonders drastisches Beispiel für seine Behauptung, dass die gesetzlich vorgeschriebene Maximalarbeitszeit von zehn Stunden einfach nicht einzuhalten sei.

Nun wünschen sich viele Menschen hin und wieder etwas. Doch manche Menschen können ihre Wünsche bekanntlich mit mehr Mitteln vorantreiben als andere. Das gilt auch für Pierer, dessen KTM einer der weltweit führenden Hersteller von Motorrädern ist.

Als dann im Sommer 2017 der Wahlkampf zur österreichischen Nationalratswahl begann, unterstützte Pierer den damaligen ÖVP-Kandidaten und jetzigen Bundeskanzler Sebastian Kurz und dessen Österreichische Volkspartei (ÖVP) mit mehr als 430 000 Euro. Damit war er der größte bekannte Einzelspender der Konservativen. Nun wird offenbar geliefert.

Am 14. Juni brachten Abgeordnete der ÖVP und der mitregierenden Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) einen Antrag im Parlament ein, der es künftig erlauben wird, dass Menschen in Österreich bis zu zwölf Stunden am Tag arbeiten. Die sonst im parlamentarischen Verfahren üblichen Begutachtungsfristen wurden umgangen, bereits bis spätestens 4. Juli soll der Antrag beschlossen werden. Mit diesen kurzen Fristen und der Beschlussfassung unmittelbar vor dem Sommer wollen die Regierungsparteien sozialen Protesten offenbar möglichst viel Wind aus den Segeln nehmen.

Bereits jetzt wird in Österreich besonders viel gearbeitet. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten liegt laut Eurostat, bezogen auf das Jahr 2016, bei 41,4 Stunden. Nur in zwei Ländern der EU, in Großbritannien und Zypern, wird noch mehr gearbeitet. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die durchschnittliche Arbeitszeit laut Eurostat 40,4 Stunden.

Auch der Zwölf-Stunden-Tag ist bereits heute in vielen Betrieben in Österreich Realität. Allerdings gibt es zumindest eine Reihe von Einschränkungen. Nach höchstens acht Wochen muss es eine Unterbrechung von mindestens zwei Wochen geben, es muss ein besonderer Arbeitsbedarf vorliegen und es muss eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat geben. Falls es keinen Betriebsrat gibt, braucht es eine Bestätigung eines Arbeitsmediziners, dass die Überstunden unbedenklich sind.

Vor allem die Notwendigkeit einer Betriebsvereinbarung ist den Regierungsparteien ein Dorn im Auge. Künftig sollen die Beschäftigten einzeln zustimmen müssen - was naturgemäß den Druck massiv erhöhen würde. Für Österreichs Beschäftigte wären das sehr schlechte Nachrichten. So steigt etwa bei zwölf Stunden täglicher Arbeitszeit das Krankheitsrisiko enorm.

Der Gesundheitspsychologe Gerhard Blasche vom Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien sagt, dass die Gefahr für Herzinfarkte und Depressionen steigen werden. Vor allem Frauen seien von längeren Wochenarbeitszeiten gesundheitlich stark betroffen. »Das kommt wahrscheinlich wegen der höheren zusätzlichen Belastung durch Kinderbetreuung«, so Blasche. Auch das Risiko von Arbeitsunfällen erhöhe sich deutlich bei langen Arbeitszeiten.

Unter dem ersten Druck ist die Regierung etwas zurückgerudert. Laut FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache soll die neue Regelung nur »freiwillig« kommen. Alle Beschäftigten hätten das Recht zur Ablehnung. Doch die wütenden Proteste auf der Facebook-Seite von Strache deuten darauf hin, dass auch viele seiner eigenen Wähler nicht glauben, dass eine solche Regelung im Arbeitsalltag viel wert wäre.

Dass die FPÖ hier mitspielt, sollte allerdings nicht überraschen, immerhin ist sie selbst durchgehend neoliberal und fordert in ihrem Wirtschaftsprogramm »flexible Arbeitszeitmodelle«. Für die Gastronomie wurde noch extra hinzugefügt, dass es sich dabei um ein »branchentaugliches Arbeitszeitrecht mit belastungsgerechten Nettogehältern« handeln müsse. Da es sich hier um ein Zielgruppenprogramm für Unternehmen handelt, ist dabei wohl kaum von höheren Löhnen die Rede.

Die Gewerkschaften haben unterdessen für diesen Samstag eine Großdemonstration in Wien angekündigt, zu der Zehntausende Menschen aus ganz Österreich erwartet werden. Einige kritisieren jedoch, dass diese Demonstration sehr spät komme, immerhin sei bereits länger bekannt, dass die Regierung vermutlich noch vor dem Sommer den Zwölf-Stunden-Tag einführen will. Nun wird es schwer, noch ausreichend Druck aufzubauen.

Die Linie der oppositionellen Sozialdemokratie ist derzeit etwas unklar. Einerseits mobilisiert sie für die Demonstration der Gewerkschaften, andererseits stellte der SPÖ-Vorsitzende Christian Kern in einem Interview fest: »Wir haben überhaupt nichts gegen den Zwölf-Stunden-Tag.« Laut Kern müssten nur die Mitarbeiter »auch etwas davon haben«. Streiks wolle er allerdings tunlichst vermeiden.

Für die kommenden Monate sind noch zahlreiche weitere Sozialkürzungen angekündigt. So wollen ÖVP und FPÖ im Gesundheitswesen massiv sparen - allein bei der Unfallversicherung soll ein Drittel des Budgets zusammengestrichen werden. Ebenfalls geplant ist eine Umgestaltung der Arbeitslosengelder in Richtung des deutschen Hartz-IV-Modells. Künftig soll auf die Ersparnisse der Betroffenen zugegriffen werden. Über die Sozialkürzungen spricht die Regierung allerdings in der Öffentlichkeit kaum. Als Ablenkung werden stattdessen die Themen Flucht und Migration fast täglich neu aufgeheizt.

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