- Aus dem Netz gefischt
- Meiungsfreiheit beim ORF
Journalist als Mikrofonständer
Mitarbeiter des ORF sollen einer neuen Richtlinie zufolge auch mit privaten politischen Äußerungen zurückhalten
Klar, die Trennung zwischen Nachricht und Meinung gehört zum Einmaleins des Journalismus. Es ist eines der ersten Dinge, die Volontäre lernen. Wobei diese Regel zu kurz gedacht ist: Redakteure gewichten Themen, entscheiden darüber, ob und welchen Akteuren sie wie viel Platz einräumen. Ist das noch objektiv? Schwer zu sagen.
Mit solchen Detailfragen schlägt sich die FPÖ in Österreich indes nicht herum. Insbesondere an kritischen Journalisten des öffentlich-rechtlichen ORF reibt sich die Rechtsaußenpartei. Und seit die FPÖ an der Regierung beteiligt ist, werden ihre Drohungen unverhohlener. Da wird auch schon mal mit Entlassungen und Stellenkürzungen gedroht. Österreichs Politik besitzt durchaus Einfluss auf den ORF. In den sogenannten Stiftungsrat, das Kontrollorgan des Senders, entsendet die Politik die Mehrheit der Mitglieder. Das Gremium wählt unter anderem den ORF-Generaldirektor. Derzeit ist dies Alexander Wrabetz, übrigens ein SPÖ-Mitglied. Weil der Sozialdemokrat seinen Posten nicht verlieren will, geht er auf die über den ORF zeternden Rechten zu.
Am Dienstag wurde auf derstandard.at ein Papier veröffentlicht, das Leitlinien für das Verhalten von ORF-Mitarbeitern in ihrer Freizeit enthält. Demnach sollen die Kollegen künftig »auch im privaten Umfeld« Aussagen unterlassen, die »als Zustimmung, Ablehnung oder Wertung von Äußerungen, Sympathie, Antipathie, Kritik und ›Polemik‹ gegenüber politischen Institutionen, deren Vertreter/innen oder Mitgliedern zu interpretieren sind«.
Als Äußerung soll schon gelten, wenn ein ORF-Journalist über sein privates Profil in einem sozialen Netzwerk wie Facebook oder Twitter Beiträge teilt oder »Gefällt mir« klickt. »Im Zweifel ersuche ich darum, von einer Meinungsäußerung Abstand zu nehmen«, wird Wrabetz vom »Standard« aus einer internen Mail zitiert. Zur Begründung des strikten Regelwerks heißt es, zwischen beruflichen und privaten Äußerungen eines ORF-Mitarbeiters könne nur schwer unterschieden werden. Wohlgemerkt handelt es sich bei der Richtlinie um keine Empfehlung, sondern eine Dienstanweisung, deren Einhaltung von den jeweiligen Vorgesetzten kontrolliert werden soll.
Unter den ORF-Kollegen sorgte die vorab veröffentliche Anweisung für Empörung. »Ich twittere nichts, was ich nicht auch bei einer Podiumsdiskussion oder in einem Interview sagen würde. Auch wenn dort das ORF-Gesetz nicht gilt, ist mir immer bewusst, was und wo ich arbeite. Hat bisher tadellos gereicht«, schreibt Armin Wolf auf Twitter. Der Maulkorb ist genau für solche Journalisten wie ihn gedacht. Er ist eines der Aushängeschilder des Öffentlich-Rechtlichen, moderiert unter anderem die Hauptnachrichtensendung »Zeit im Bild«. Auf Twitter folgen ihm 400.000 Menschen, seine Stimme hat Gewicht. »Der ORF gerät aufgrund von Ausnahmeerscheinungen wie Wolf aber immer stärker unter Druck der regierenden Koalition«, kommentiert Florian Klenk auf zeit.de. Wolf werde vom FPÖ-Chef und Vizekanzler Strache »als Lügner diffamiert, der ORF als Fake-News-Plattform attackiert. Und die junge ÖVP unter Bundeskanzler Sebastian Kurz steht schweigend daneben, denn eine kritische Presse schätzt auch ›der Basti‹ nicht. Wer zu frech ist, darf zum Beispiel nicht auf sein schickes Kanzlerfest«.
Der Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung »Falter«, kann sich im Interview mit br.de (Bayerischer Rundfunk) nicht daran erinnern, dass ORF-Journalisten mit Äußerungen in den sozialen Netzwerken je über die Maßen provoziert hätten. »Es ist bis jetzt nicht vorgekommen, dass ORF-Leute sich hier wirklich krass parteipolitisch engagiert hätten oder dass sie einseitig agieren würden.« Klenk warnt: Der ORF wolle aus Journalisten Mikrofonständer machen. Absurd sei, dass die Regierung ihre Meinung überall verbreiten dürfe, Journalisten aber nicht mehr.
Die Journalistin Ingrid Brodnig weist auf ihrem Blog brodnig.org darauf hin, dass die ORF-Richtlinien im Vergleich zu internen Vorgaben anderer internationaler Medien besonders weitgehend seien. Wrabetz hatte die Anweisungen mit dem Argument verteidigt, auch die »New York Times« kenne derartige Regeln für ihre Mitarbeiter. Tatsächlich aber schreibt das US-Blatt nur vor, dass die Kollegen keine Parteimeinungen vertreten, keine politischen Sichtweisen zu bewerben oder politische Kandidaten zu unterstützen hätten. Der ORF wolle dagegen sogar Wertungen politischer Äußerungen untersagen.
Brodnig hält das für eine nicht praktikable Formulierung. »Sprache beinhaltet nämlich immer eine Wertung. Ob man von ›Meinungsunterschieden innerhalb der Koalition‹ oder einem ›Streit in der Koalition‹ spricht, ist eine sprachliche Wertung. Es ist unmöglich, zu sprechen oder tweeten, ohne nicht auch sprachlich zu werten.«
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