Der lange Marsch von López Obrador

Der Linkspolitiker geht im dritten Anlauf als klarer Favorit in die Präsidentschaftswahlen

  • Mirjana Mitrović und Jan-Holger Hennies, Mexiko-Stadt
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Erbe des amtierenden Präsidenten Enrique Peña Nietos anzutreten, wird kein Zuckerschlecken: Tausende Tote und willkürlich von Sicherheitskräften verschwundengelassene Menschen, sowie die allgegenwärtige Gewalt und Korruption sind nur die Spitze der immensen Probleme Mexikos. Am 1. Juli wird gewählt und in einem Wahlgang entschieden, welcher der vier Präsidentschaftskandidaten das von Peña Nieto hinterlassene Chaos übernehmen wird.

Beispielhaft und immer noch aktuell ist hierfür der international bekannt gewordene Fall der 43 verschwundengelassenen Studenten aus Ayotzinapa von 2014. Die Verstrickung von Polizei, Politiker*innen und Drogenkartellen wird nicht mehr bezweifelt. Anfang Juni wurde von einem mexikanischen Bundesgericht entschieden, dass der Fall durch eine Wahrheitskommission neu aufgerollt werden soll, denn die Generalstaatsanwaltschaft habe weder »schnell, effektiv, unabhängig noch unbefangen« ermittelt.

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Daneben erschütterten Korruptionsfälle wie der Odebrecht-Skandal die Amtszeit Peña Nietos. Der brasilianische Baukonzern hatte in mehreren Ländern Lateinamerikas Schmiergelder zur Sicherung von Aufträgen gezahlt - auch in Mexiko. Anderorts wurden Dutzende Politiker und Funktionäre angeklagt und verurteilt, in Mexiko dagegen die Anfang 2017 aufgenommenen Ermittlungen eingestellt. Ebenso zeigte der sogenannte Fall Casa Blanca die bestehende Korruption konkret auf: Angélica Rivera, Ehefrau des Präsidenten Peña Nieto, hatte in einem Interview ein Luxus-Anwesen in Mexiko-Stadt als »ihr wirkliches Zuhause« bezeichnet. Dieses befand sich jedoch offiziell im Besitz einer Baufirma, die staatliche Aufträge in Millionenhöhe erhalten hatte. Insbesondere mexikanischen Journalist*innen sind diese Enthüllungen zu verdanken. Mit ihren Recherchen riskieren sie dabei oft nicht bloß ihre Anstellung, sondern auch ihr Leben. Zwölf Journalist*innen wurden laut der mexikanischen Nichtregierungsorganisation »artículo 19« allein im vergangenen Jahr ermordet.

Dass nun laut Umfragen rund 50 Prozent der Wähler*innen für einen Präsidenten der erst 2014 offiziell zugelassenen Partei MORENA (Bewegung zur Nationalen Erneuerung) abstimmen wollen, kündigt in jedem Fall einen Wandel an. Auch weil ihr Kandidat, Andrés Manuel López Obrador, kurz AMLO genannt, nicht dem bisherigen Profil entspricht. Immer wieder wird betont, dass er auf keine private sondern eine öffentlichen Schule gegangen sei, außerdem kaum Englisch spreche und sein Spanisch einen klaren regionalen Akzent habe. Eine Unerhörtheit im klassistischen System der mexikanischen Politik. Regierungserfahrung besitzt er kaum, doch in seiner Zeit als Bürgermeister Mexiko-Stadts von 2000 bis 2005 war er beliebt und galt als volksnah, einer, der sich die Hände schmutzig macht.

Im politischen Spektrum der Parteien gilt er als links, insbesondere die Armutsbekämpfung steht auf seiner Agenda. Jedoch gilt er in der linken Politikszene als umstritten, da er mit der evangelikal-rechten PES ein Wahlbündnis bildete und Forderungen beispielsweise nach einem Recht auf Abtreibung oder für gleichgeschlechtliche Ehen ausklammert. Auch die neue Präsenz verschiedener Geld- und Machteliten in seinen engsten Zirkeln sorgt bei einigen seiner Unterstützer*innen für Unmut.

Hinter López Obrador kämpfen nach aktuellen Umfragen Ricardo Anaya, Kandidat der kirchlich-konservativen PAN, und José Antonio Meade, Kandidat der aktuell regierenden neoliberalen PRI, um den zweiten Platz. Sie kommen jeweils auf Werte zwischen 22 und 26 Prozent. Dass einer der beiden Konkurrenten AMLOs noch stark zulegen und ihm gefährlich werden könnte, lässt sich in den aktuellen Umfragen nicht ablesen. Dies liegt auch an dem Image der Parteien, für welche sie kandidieren. So wird Meade, obwohl er am meisten Regierungserfahrung besitzt und nicht einmal offiziell Mitglied der PRI ist, die Mexikaner*innen nach den vergangenen sechs Jahren PRI-Regierung unter Peña Nieto kaum überzeugen können. Und auch auf den Wahlkampf Anayas wirft die Politik des PAN-Präsidenten Felipe Calderón (2006 bis 2012), insbesondere dessen Ausruf des »Kriegs gegen die Drogen« und die damit einhergehende ausufernde Gewalt, einen langen Schatten.

Als weiterer parteiloser Kandidat tritt zudem Jaime Rodríguez Calderón, kurz »El Bronco« genannt, an. Mit Erwartungen von rund drei Prozent der Stimmen ist er jedoch ohne nennenswerte Chancen.

So spricht fast alles dafür, dass AMLO Mexikos nächster Präsident wird. Es wäre ein Zeichen, dass López Obrador und die erst 2014 offiziell anerkannte Partei Morena samt ihrer Koalition zumindest als eine Möglichkeit des Wandels wahrgenommen werden. Spannender als der Wahlausgang im Normalfall wird, ob und welche Lösungen AMLO im Falle seiner Wahl für das von Gewalt, Kriminalität, Straffreiheit und Korruption gebeutelte Mexiko findet.

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