- Berlin
- Mobilitätsgesetz
Verkehrswende ist beschlossene Sache
Rot-Rot-Grün verabschiedet im Abgeordnetenhaus gegen die Opposition das Mobilitätsgesetz
Anderthalb Jahre nach Regierungsantritt haben die Abgeordneten von SPD, LINKE und Grünen am Donnerstag im Abgeordnetenhaus das Mobilitätsgesetz verabschiedet. Neben der Präambel sind das die Kapitel über den Fahrradverkehr sowie den Öffentlichen Personnennahverkehr. In weiteren Schritten sollen noch Abschnitte zu Fußgängern, intelligenter Mobilität sowie dem Wirtschaftsverkehr folgen.
»Heute legen wir den Grundstein für die Mobilität der Zukunft«, sagt Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek in ihrem feierlichen und emotionalen Debattenbeitrag. Das Mobilitätsgesetz setze einen neuen Standard für die Verkehrsplanung in der Hauptstadt, der anderen Städten als Blaupause dienen werde. »Damit ist Berlin ab heute Avantgarde«, so Kapek weiter. Denn seit Kriegsende sei Berlin vor allem fürs Auto geplant worden, konstatiert die Fraktionschefin. Der Beschluss vollende »den Dreiklang, den wir für die Verkehrswende brauchen. Geld, Personal, rechtliche Grundlage - jetzt liegt das Fundament für eine Verkehrspolitik, die an alle denkt«, sagt Kapek.
- Für den Fachverband »Mehr Demokratie« zeigt die Verabschiedung des Gesetzes, dass es bei einem ausgelösten Volksbegehren nicht zwingend zu einer Abstimmung kommen müsse, damit es erfolgreich sei. »Durch direkte Demokratie können wichtige Impulse aus der Bevölkerung aufgenommen werden«, sagt der Berlin-Brandenburger Vorstandssprecher Oliver Wiedmann.
- »Heute ist ein historischer Tag und ein Grund zum Feiern für alle Bürgerinnen und Bürger von Berlin«, freut sich Eva-Maria Scheel, Landesvorsitzende des Fahrradclubs ADFC Berlin. »Zehntausende Stunden ehrenamtlicher Arbeit gingen ins Land, Demonstrationen wurden organisiert, politische Kämpfe ausgetragen und gemeinsame Lösungen gesucht. Der Lohn ist eine Neuausrichtung unseres Mobilitätsverhaltens, die schon lange überfällig war«, sagt Evan Vosberg, stellvertretender ADFC-Landesvorsitzender und Beteiligter der Dialogrunde. Bei aller Freude beobachte der ADFC Berlin mit Sorge, dass die rot-rot-grüne Koalition nach anderthalb Jahren Regierungszeit noch immer keinen sicheren Radweg gemäß Mobilitätsgesetz auf die Straße gebracht habe.
- »Für den Wirtschaftsverkehr wäre mehr drin gewesen«, beklagt Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg. »Wir hätten uns ein Gesamtkonzept für den zunehmenden Verkehr in der wachsenden Hauptstadtregion gewünscht«, so Amsinck weiter. Das jetzt verabschiedete Mobilitätsgesetz werde dem nicht gerecht. Es sei zwar richtig, auch den Radverkehr zu fördern. Dringend nötig wäre aber ein Plan für die Stärkung aller Verkehrsträger, so die Unternehmerlobby.
- »In den drei Jahren haben viele ihre Position verändert: Das Radverkehrs- und Mobilitätsgesetz ist Deutschland bestes Anti-Stau-Programm – eine Position, der sich auch Teile von CDU, und FDP, ADAC und der Industrie- und Handelskammer nicht mehr verschließen«, so Heinrich Strößenreuther, Initiator des Volksentscheids Fahrrad. »Parallel zur Erarbeitung des Gesetzes hätten die Vorgaben für den Radverkehrsplan erstellt werden sollen«, sagt Denis Petri vom aus dem Entscheid hervorgegangenen Verein »Changing Cities«. »Immerhin ist nun im April in der Verkehrsverwaltung eine Mitarbeiterin dafür eingestellt worden.«
CDU-Verkehrsexperte Oliver Friederici übt sich in ätzender Kritik am Vorhaben. »Ideologen linker Verkehrspolitik« hätten ein »Fahrradlobbygesetz« erarbeitet, »getrieben von autofeindlicher Politik«, sagt er. Die Straßenbahn werde als »Kampf- und Stauinstrument in der Innenstadt« benutzt, wettert Friederici, insgesamt seien die vorgesehenen Maßnahmen »provinziell«. Auch moniert er geplante »überbreite Radspuren«.
»Es fehlt das wichtigste an Ihrer Rede: Substanz«, kontert Tino Schopf, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion den Beitrag Friedricis. »Verdienst des Volksentscheids Fahrrad ist es, mit einer engagierten und zugespitzten Kampagne den notwendigen Schwung in die Verkehrspolitik zu bringen«, lobt er die Aktivisten, die letztlich das Gesetzgebungsverfahren angestoßen haben. »Wir werden keinen zwingen, welches Verkehrsmittel er nutzt«, stellt Schopf klar. »Aber es wird Einschränkungen für den Autoverkehr geben.«
»Am Berliner Wesen soll mal wieder die Welt genesen«, zieht AfD-Verkehrspolitiker Frank Scholtysek unpassende historische Vergleiche. Ziel des Gesetzes sei es, »große Teile der Berliner Bevölkerung zu diskriminieren und stigmatisieren«, erklärt der Rechtsaußen. Baustellen würden als »Extraschikanen im Stadtverkehr« genutzt, ist er überzeugt.
»Beispielhaft« nennt LINKEN-Verkehrsexperte Harald Wolf das Zustandekommen des Gesetzes durch eine »Initiative aus der Zivilgesellschaft im Zusammenwirken mit einer Koalition, die verstanden hat, dass wir eine Verkehrswende brauchen«. Rot-Rot-Grün werde massiv die Straßenbahn als ökologisches Verkehrsmittel ausbauen, weil das funktionierende Elektromobilität sei, kündigt Wolf an. Denn: »Die Straßenbahn löst den Stau auf, das Auto organisiert den Stau.« Er attestiert der Rede des CDU-Abgeordneten Friederici »karnevalistische Qualitäten«.
Henner Schmidt, verkehrspolitischer Sprecher der FDP hat weniger Schaum vorm Mund als seine Oppositionskollegen. Das Gesetz überprivilegiere Radfahrer, sagt er jedoch, insgesamt sei es »ein halbfertiger Torso«. »Das Mobilitätsgesetz wird ein Super-Wahlkampfthema für die Opposition sein«, freut er sich.
»Die Berlinerinnen und Berliner akzeptieren die vielen Schwerverletzten und Toten als Kollateralschaden der Mobilität nicht mehr«, sagt Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne). Das Mobilitätsgesetz werden die Hauptstadt »zum Guten verändern«, es läute »das Ende der autoprivilegierten Stadt ein«. »Wir helfen so auch den Menschen, die sich nicht den Umzug in saubere Viertel leisten können«, hebt die Senatorin auch eine soziale Komponente der reduzierten Schadstoffemissionen heraus. »Das Mobilitätsgesetz garantiert, dass Berlin nicht den Anschluss an die weltweite Entwicklung verliert«, so Günther. »Wir sind aber noch nicht am Ziel.«
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