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Beinahe der Untergang des Abendlandes

Thüringen hat seit Kurzem ein neues Landeshochschulgesetz. Streitpunkt war vor allem der Ausbau der studentischen Mitbestimmung.

  • Tino Brömme
  • Lesedauer: 5 Min.

Thüringen hat beide Extreme: viel AfD, dafür aber eine rot-rot-grüne Landesregierung. Während die einen aus jeder Sozial- und Regierungskritik eine ausländerfeindliche Hetze macht, versucht letztere zumindest ein paar fortschrittliche Wahlversprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Doch wer hätte erwartet, dass ein bisschen mehr Mitsprache für Studenten die Gemüter so erhitzen würde? - Richtig, es geht um das neue Landeshochschulgesetz, das Ende April verabschiedet wurde, knapp einen Monat später in Kraft trat und neben anderen Veränderungen auch den Stimmenanteil von Studierenden in den Gremien der Lehranstalten erhöht hat.

»Rektoren und Präsidenten sind Sturm gelaufen«, erzählt Marlis Bremisch von der Bildungsgewerkschaft GEW in Thüringen, als ob es »der Untergang des Abendlandes« wäre. Dabei behalten Professorinnen und Professoren bei den Entscheidungen, die die Forschung und Lehre betreffen, ihre Mehrheit. Bei allen anderen Fragen haben die vier Gruppen, die eine Hochschule ausmachen - also Professoren, Studierende, wissenschaftliche und die sonstigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen - jetzt eine Viertelparität und somit gleich viele Stimmanteile (an den Fachhochschulen ist es eine Drittelparität).

»Autonomie! Autonomie!« schrillten da die Sirenen aus Erfurt. Eine Gruppe Professoren um den Völkerrechtler Hermann-Josef Blanke verfasste einen alarmierenden »Aufruf«, den der Deutsche Hochschulverband verbreitete und den 200 Gelehrte unterschrieben: Die studentische Mitsprache verzögere die »Entscheidungsprozesse«, hieß es da, die Uni müsse »wettbewerbsfähig« und »zukunftsfähig« gemacht werden, sie sei für »Erkenntnisgewinnung« da, nicht für gelebte Demokratie.

Die Professoren wandten sich auch dagegen, dass die Anwesenheitspflicht in Seminaren gelockert wird. Das sei zu viel der »Ökonomisierung des Studiums durch den Bologna-Prozess«, denn »durch die Abschaffung der Anwesenheitspflichten droht faktisch die Einführung eines flächendeckenden Fernstudiums, das der Qualität des Studiums schadet«. In der Tat trachten mehr und mehr Studierende, ihre Wissenslücken mit Onlinekursen (MOOCs) zu schließen; und die Marktmacht weniger MOOC-Anbieter setzt die Universitäten und die traditionelle Rolle von »analogen« Professoren zunehmend unter Druck.

Die drohende Rechtsunsicherheit bei der Frage, was zu Lehre und Forschung gehört (und weiter der professoralen Gremienmehrheit unterliegt) und was nicht, sieht Marlis Bremisch jedenfalls gelassen und als einen Demokratiegewinn: »Es kann gut sein, dass da einige Sachen vor Gericht landen werden. Aber ich glaube, an manchen Stellen muss man es darauf ankommen lassen, um bestimmte Dinge vielleicht auch mal zu klären.«

Um Akzeptanz für das Gesetz zu schaffen, hatte das Wissenschaftsministerium schon früh einen umfassenden Dialogprozess gestartet. An sieben Hochschulen wurden für mehrere Monate Dialogforen zu verschiedenen Themenbereichen angeboten, es wurde ein Livestream geschaltet, der die Teilnahme über Internet ermöglichte. Der daraus entstandene Rohentwurf des Gesetzes wurde dann in so genannten Werkstattgesprächen mit Experten diskutiert.

»Der entscheidende Punkt ist«, sagt Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), »dass wir die Partizipation in der Hochschule verbessert haben. Wir haben Autonomie gewährleistet, wir haben über die Bauherreneigenschaft gesprochen. Wir haben für gute Arbeit gesorgt, das meint Befristungen bis hin zu Lehrbeauftragten und dergleichen mehr. In Sachen Gleichstellung: Für die Behinderten genauso wie für alle anderen haben wir deutliche Verbesserungen. Das ist insgesamt ein rundes Gesetz, ein Paket von Paragrafen, das Thüringen nach vorn bringen wird.«

Mehr Autonomie für die Hochschulen heißt, dass sie mehr Rechte bei der Ernennung von Professorinnen und Professoren erhalten haben. Kleinere Bau- und Sanierungsmaßnahmen können nach Rücksprache mit dem Bauministerium eigenständig vorgenommen werden, und mit der »Bauherreneigenschaft« kann die Friedrich-Schiller-Universität in Jena künftig große Bauvorhaben in Eigenregie durchführen.

Die prekäre Arbeitssituation der befristeten Hochschulangestellten ist ein Reizthema weit über die Hochschulen hinaus, die sachgrundlose Befristung ist in aller Munde und auch in Berlin im Koalitionsvertrag geregelt. In Thüringen sollen »Qualifizierungsvereinbarungen« Abhilfe schaffen. Sie werden zwischen den wissenschaftlichen Mitarbeitern und dem Arbeitgeber Hochschule abgeschlossen, damit Befristungen wirklich der jeweiligen Qualifizierung angemessen sind. Ziele und Leistungen beider Seiten - etwa wie viel Betreuungszeit der Doktorvater bereitstellen muss, wie viel selbstständige Forschung Promovierende haben - müssen verbindlich festgehalten werden. Für die Lehrbeauftragten verbessert sich, dass sie nach einer bestimmten Anzahl von Semestern und Wochenstunden stimmberechtigte Mitglieder der Hochschule werden.

Konstantin Korn, Studierendenvertreter bei dem studentischen Dachverband fzs, sieht alles wohlwollend, aber skeptisch, etwa die »Zivilklausel«, die das Gesetz enthält. »Die Praxis zeigt in anderen Bundesländern, dass sie nicht konsequent umgesetzt wird. Ich hoffe, dass die Hochschullehrerinnen und Forscher anfangen, sich angesichts dieser Klausel damit auseinanderzusetzen: Ist, was ihr forscht, relevant fürs Militär? Und wie wägt ihr ab, was geforscht wird? Und wie veröffentlicht ihr das? - Die Klausel muss auch einen Auseinandersetzungsprozess an den Hochschulen bewirken.«

Korn ist enttäuscht, dass die Langzeitstudiengebühren nicht abgeschafft wurden, und auch der Hochschulrat - aus hochschulexternen Beratern - hätte seiner Ansicht nach entmachtet werden müssen. Zu den Lehrbeauftragten sagt er: »Es ist gut, dass sie mitbestimmen dürfen, hilft aber dem Problem ihrer extrem schlechten Arbeitslage gar nicht. Sie sind immer noch prekär beschäftigt. Nur weil ich jetzt in einem Gremium sitze, geht meine prekäre Beschäftigung nicht weg. Dazu müsste ich einen langfristigen Vertrag bekommen, dazu müssten die Hochschulen mehr Geld bekommen. Es müsste weniger befristete Lehrbeauftragte und wieder mehr ordentlich Beschäftigte geben.«

Sein Kommilitone und Vorstandsmitglied des Studierendenrates der Universität Erfurt, Oliver Feile, lässt aber doch noch ein gutes Haar an dem Gesetz: »Es ist immer gut, Mitbestimmung und Demokratie zu stärken. Und man lernt Demokratie und Mitbestimmung und ihren Wert eigentlich immer, indem man sie erfährt. Auch Hochschulen sind wichtige Orte, wo Demokratie und Mitbestimmung gelernt werden kann. Und Parität in den Gremien ist ein Bestandteil davon. Wir hoffen jetzt wieder mehr Studierende für die politische Mitarbeit an der Uni gewinnen zu können!«

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