»Widerstand heißt Streik im Land«

Bis zu 100 000 Menschen demonstrieren in Wien gegen den geplanten Zwölf-Stunden-Tag

  • Michael Bonvalot, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Als die ersten Menschen am Samstag bereits den Schlusspunkt der Demonstration am zentralen Heldenplatz erreicht hatten, waren die letzten noch nicht von der Auftaktkundgebung am Westbahnhof losgegangen. Insgesamt rund 100 000 Menschen waren es, die laut dem Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) gegen die Pläne der rechten Koalitionsregierung demonstriert haben. Die Polizei hatte zuerst von nur 30 000 Menschen gesprochen. Im Verlauf der Demonstration musste sie ihre Zahl dann aber kräftig nach oben revidieren und sprach schließlich von 80 000 Teilnehmern.

Die Mobilisierung ist für die Gewerkschaften ein Erfolg. Der Aufruf zur Demonstration erfolgte relativ kurzfristig, nachdem die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ bekannt gegeben hatten, das Gesetz noch vor dem Sommer verabschieden zu wollen. Zudem hatten an diesem Wochenende in Ostösterreich bereits die Ferien begonnen.

Zu den Protesten hatten vor allem die Industriegewerkschaft Pro-Ge sowie die Gewerkschaft der Privatangestellten mobilisiert. Die Beschäftigten, die dort organisiert sind, könnten vom Zwölf-Stunden-Tag auch besonders stark betroffen sein: In der Industrie können Konzerne im Zwei-Schicht-Betrieb fahren, in Handel, Tourismus und Gastronomie die Beschäftigten noch stärker zum Dienst in Spitzenzeiten herangezogen werden.

Neben Gewerkschaften waren auch zahlreiche linke Organisationen vertreten. Die »Omas gegen Rechts« bildeten einen lautstarken Block, Schwule, Lesben und Transgender waren mit Regenbogenfahnen vertreten, zahlreiche Plakate mit der Losung »Ja zur Willkommenskultur - Nein zum 12-Stunden-Tag« wurden im Zug mitgeführt.

Dominiert wurde der Demonstrationszug vor allem von der durchgestrichenen Zahl zwölf, viele Menschen präsentierten dieses Logo auf Aufklebern, T-Shirts oder Luftballons. Auch auf Transparenten machte sich der Unmut Luft. »Gehts 12 Stunden scheißen!« oder »Nach 8h leckts uns ›freiwillig‹ am Orsch!« hieß es etwa auf Transparenten.

Mit dem Hinweis auf die angebliche Freiwilligkeit reagierten die Aktivisten auf Aussagen der Regierung. FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache hatte jüngst eine »Freiwilligkeitsgarantie« abgegeben. Niemand würde dazu gezwungen, zwölf Stunden zu arbeiten. Doch sogar auf Straches Facebook-Seite konnte das den Unmut nicht besänftigen. Auch sehr viele deklarierte FPÖ-Wähler schreiben dort, dass so eine Freiwilligkeit im Arbeitsalltag kaum das Papier wert wäre, auf dem sie gedruckt ist.

Bei der Schlusskundgebung am Heldenplatz entglitt der Führung des Gewerkschaftsbundes ÖGB dann kurz die Regie. Post-Gewerkschafter Helmut Köstinger hatte dazu aufgerufen, die unsoziale Regierung »zu stürzen«, wogegen der ÖVP-Gewerkschafter Norbert Schnedl auf der Bühne protestierte. ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian stellte schließlich die sozialpartnerschaftliche Einigkeit wieder her und erklärte, dass die Gewerkschaft eine »demokratisch gewählte Regierung akzeptieren« würde. Auffällig war, dass auf der Bühne das Wort Streik tunlichst vermieden wurde.

Basisinitiativen versuchten hier Druck zu machen. Bereits auf der Demonstration hatten linke Betriebsratskörperschaften, unterstützt von marxistischen Organisationen, einen eigenen Block gebildet, der von Streiklosungen geprägt waren.

Im Anschluss an die Kundgebung marschierten linke Gewerkschafter dann vor den Sitz der Regierung und stimmten unter anderen den Sprechchor »Widerstand heißt Streik im Land« an. Ob die Gewerkschaften zu Streiks aufrufen werden, ist ungewiss. Ab Montag jedenfalls sind sowohl bei der Eisenbahn sowie in zahlreichen großen Industriebetrieben Betriebsversammlungen während der Arbeitszeit geplant.

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