Ideen für das Wahlprogramm

LINKE bereitet sich mit Regionalkonferenzen auf die Landtagswahl im September 2019 vor

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg schreibt »Nationales Roaming« auf einen Notizzettel. Ihre Wahlkreismitarbeiterin Claudia Sprengel nimmt den Zettel und pinnt ihn an eine Tafel, wo thematisch sortiert bereits andere Stichworte hängen. So merkt sich die um einen Tisch versammelte Gruppe Ideen aus dem Bereich Digitalisierung - Ideen, die in das Wahlprogramm der Linkspartei für die Landtagswahl 2019 einfließen sollen.

Vier verschiedene Gruppen sitzen am Sonnabend in der Aula des Neuruppiner Oberstufenzentrums beieinander. An den drei anderen Tischen dreht es sich um die Kinderbetreuung, die Altenpflege und um den Öffentlichen Personennahverkehr.

Es ist die erste von fünf Regionalkonferenzen, mit denen die brandenburgische LINKE auf bisher noch nicht versuchte Art an ihrem Wahlprogramm bastelt. Früher seien solche Programme erstellt worden, indem man »kluge Leute in ein Kämmerchen eingesperrt hat, bis sie einen Entwurf vorgelegt haben und der wurde dann diskutiert«, berichtet die Landesvorsitzende Diana Golze mit einer sehr zugespitzten Formulierung - und gibt gleich zu, genau so sei es in Wirklichkeit nicht gewesen, aber so ähnlich.

Nun also müssen sich die Experten für die einzelnen Politikfelder mit ihren Kapiteln gedulden, bis sie die Vorschläge der Basis geliefert bekommen, die sie berücksichtigen sollen. »Zukunftsdialog« nennt sich das - und jeder darf mitmachen. Das beschränkt sich nicht auf Genossen. Interessierte Bürger sind zur Mitarbeit eingeladen. »Linke Politik von dir, mit dir und für dich«, steht über der Einladung, die Justin König per E-Mail verschickt hat. Der junge Mann ist Kreisgeschäftsführer der Linkspartei in Ostprignitz-Ruppin.

Zwei Herren von der Satiretruppe »Die PARTEI« haben ihn beim Wort genommen - und wollen beim Thema Digitalisierung ein Wörtchen mitreden. Sie tragen beide den gleichen hellgrauen Anzug mit roter Krawatte. Dieser Anzug ist eine Art Uniform in der Spaßpartei des im Europaparlament vertretenen Humoristen Martin Sonneborn. Es ist einerseits passend, andererseits dreist, dass die PARTEI hergekommen ist und ihre Überlegungen zur Digitalisierung an Schulen vorstellen möchte. Denn die Satiretruppe wildert im Revier der Sozialisten. Sie komme hier im Nordwesten Brandenburgs gut an bei links gesinnten Schülern, hatte der LINKE-Kreisvorsitzende Paul Schmudlach vor der Bundestagswahl 2017 ein beachtliches Ergebnis von Sonneborns Truppe vorhergesagt. Tatsächlich bekam sie brandenburgweit 1,2 Prozent der Zweitstimmen.

Die LINKE nimmt das Agieren der Spaßpartei aber mit Humor. Bei der Vorstellungsrunde lächeln die Zuhörer, als die PARTEI-Mitglieder an der Reihe sind. Die ernsthaften Themen kommen deswegen nicht zu kurz. Dafür sorgen Genossen wie der Rechtsanwalt Gerd Klier. Er bemängelt, dass elektronische Gerichtsakten noch die Ausnahme sind. Es gibt bloß ein Modellprojekt für drei Verhandlungssäle am Landgericht Frankfurt (Oder).

Eine ältere Dame bemerkt, sie habe kein Smartphone und wolle auch keins. Wenn sie ein Formular schneller per Hand ausfüllen könne, als wenn sie das online erledigen würde, so habe sie auf Digitalisierung keine Lust. Hartmut Buschke ist auch nicht mehr der Jüngste und dennoch begeistert von den technischen Möglichkeiten. Die Wirtschaft werde das schon machen, ist er überzeugt. Die LINKE müsse sich darum kümmern, dass auch der Bürger die Vorteile nutzen könne. In dieser Hinsicht sei die Bundesrepublik leider Entwicklungsland. »Nationales Roaming« beispielsweise könnte Mobilfunklöcher schließen. Wer ins EU-Ausland reist, wählt sich dort ohne Extrakosten automatisch in eins der dortigen Mobilfunknetze ein. In Deutschland bestehen Funklöcher. Ein Beispiel liefert der Veranstaltungsort, das etwas abseits der Stadt Neuruppin im Grünen gelegene Oberstufenzentrum. Das O2-Netz versagt hier, das Telekom-Netz funktioniert. Durch Nationales Roaming würde es solche weißen Flecken nicht mehr geben, bemerkt Domscheit-Berg. Buschke hat davon vorher noch nie gehört, findet den Lösungsvorschlag aber gut.

Am Tisch nebenan, wo es um den Nahverkehr geht, liefert der Veranstaltungsort ebenfalls ein Beispiel. Denn der Bus hält hier ausschließlich werktags und dann nur früh zum Schulbeginn und nachmittags zum Unterrichtsschluss. Ansonsten bleibt nichts als ein Fußmarsch zu einer weiter entfernt liegenden Haltestelle. Das ist besser als nichts. Anderswo sind kleine Dörfer abends nicht mehr mit dem Bus zu erreichen, und in den Schulferien sind sie gänzlich abgeschnitten. Außerdem fahren die Busse generell zu selten. Berufspendler haben dann ihre liebe Not, ihre Kinder rechtzeitig aus der Kita abzuholen, die zu früh schließt, oder sich um die Pflege der hochbetagten Eltern zu kümmern. Das sind dann Themen an den beiden anderen Tischen.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist den Sozialisten ein wichtiges Anliegen. An der Spitze des Landesverbandes hilft die Tatsache, dass es eine Doppelspitze aus Diana Golze und Anja Mayer gibt. Beim Auftakttermin zur Arbeit am Wahlprogramm im April in Eberswalde fehlte Golze, weil ihre Tochter an dem Tag Jugendweihe hatte. Mayer sprang ein. Aber die kann nun nicht, da ihr Sohn vor der Einschulung den Abschied aus seiner Kita feiert. Jetzt ist Golze zur Stelle. Sie sagt: »Wir wissen, dass wir in einer politisch sehr angespannten Zeit leben.« Es gebe heftige Auseinandersetzungen, große Erwartungen und tiefe Enttäuschung. Es gebe Menschen, die sich Parteien und Gruppierungen zuwenden, »die die Demokratie kaputtmachen wollen«. Dagegen muss die LINKE ankämpfen. Im März soll ein Entwurf des Wahlprogramms vorliegen, am 15. Juni 2019 soll das Programm beschlossen werden. Die Wahl ist dann am 1. September kommenden Jahres. Seite 11

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