- Berlin
- Anschläge auf Berliner Politiker
Pflastersteine gegen den Kiez
Polizei verzeichnet in diesem Jahr bereits elf Anschläge auf Bürgerbüros von Politikern
Als Tino Schopf am Dienstag vergangener Woche zu seiner wöchentlichen Bürgersprechstunde in sein Wahlkreisbüro in Prenzlauer Berg ging, traute der Sozialdemorat seinen Augen nicht: Die Fensterfront des Ladenlokals in der Bernhard-Lichtenberg-Straße 23 war an zwei Stellen eingeschlagen. Zwei handflächengroße Pflastersteine fand er hinter seinem Schreibtisch.
»Ich war total geschockt. So etwas ist hier noch nie passiert«, sagt der SPD-Abgeordnete, der sein Büro 2016 bezogen hatte. Der oder die Täter kamen in der Nacht. Die Pflastersteine waren offenbar extra für die Attacke angeschleppt worden. »Alles spricht für eine gezielte Aktion. Hier ist eine rote Linie ganz eindeutig überschritten«, sagt Schopf. Man könne ja gut und gerne eine andere Meinung zu politischen Fragen haben als er. Er sei der Letzte, der einer ehrlichen Diskussion aus dem Weg gehen würde. Aber: »Gewalt ist mit Sicherheit kein Mittel der Politik«, sagt Schopf.
Woher der oder die Täter kamen und was die Motivation hinter der Attacke war, ist unbekannt. Ein Bekennerschreiben gibt es nicht. Die Polizei hat SPD-Politiker Schopf kaum Hoffnungen gemacht, dass ein Tatverdächtiger ermittelt wird. »Ich werde mich nicht beirren lassen und weiter in meinem Kiez für die Menschen ansprechbar sein«, sagt Schopf. Für Ende dieser Woche hat sich der Glaser angekündigt, um die Scheiben auszutauschen. Gitter zum Schutz vor möglichen Angriffen in der Zukunft will Schopf nicht anbringen lassen.
Die Polizei hat in diesem Jahr bereits elf Anschläge ähnlicher Art und Weise wie in Prenzlauer Berg auf Wahlkreisbüros von Politikern in Berlin gezählt, wie Sprecher Carsten Müller auf nd-Anfrage mitteilte. In allen elf Fällen habe es sich um Sachbeschädigungen an Parteigebäuden gehandelt.
Mit fünf Attacken sind die Büros von SPD-Politikern am häufigsten betroffen. Dahinter folgen Einrichtungen der LINKEN mit vier Angriffen. Hier hatte insbesondere eine Anschlagsserie vermutlich rechtsextremer Täter im Frühjahr in Neukölln für Schlagzeilen gesorgt. Jeweils in einem Fall waren Büros von Abgeordneten der CDU und der Grünen Ziel von gezielten Sachbeschädigungen.
Lediglich in einem der Fälle konnte bisher ein Tatverdächtiger ausfindig gemacht werden. Zu der möglichen Tätermotivation machte Polizeisprecher Müller keine Angaben.
Seit der Parlamentsreform 2014 können Abgeordnete Bürgerbüros in ihrem Wahlkreis betreiben. 1000 Euro Zuschuss gibt es dafür vom Senat. Die Büros sollen die Arbeitsausstattung »in einer Weise verbessern, die unmittelbar der Bürgernähe der Abgeordneten zugutekommt«, wie es in der Gesetzesbegründung heißt. Mit der Zahl der Bürgerbüros hat auch die Zahl der Anschläge auf diese deutlich zugenommen.
Im Jahr 2011 hatte es nur einen Anschlag auf ein Abgeordnetenbüro gegeben, 2012 waren es elf. 2013 waren es 23, im Jahr 2014 doppelt so viele. 2015 und 2016 gab es nach Angaben der Innenverwaltung insgesamt 67 Anschläge auf Büros von Abgeordneten. 29 davon schrieben die Ermittler linksextremen Tätern zu, 14 Rechtsextremen. Bei 24 Anschlägen ließ sich keine politische Richtung erkennen. Für 2017 liegen noch keine Zahlen vor.
Der Innenexperte der Grünen Benedikt Lux plädiert für häufigeres Streifenfahren vor den Politikerbüros. »Es handelt sich bei den Anschlägen um hinterhältige Taten, die nur äußerst schwer aufzuklären sind«, sagt Lux dem »nd«. Die Angriffe seien häufig Frusttaten und würden die Abgeordneten nicht nur politisch unter Druck setzen, sondern auch ökonomisch treffen. »Bei wiederholtem Schaden kündigt die Versicherung«, so Lux. Sein Bürgerbüro in Steglitz-Zehlendorf war 2014 ebenfalls Ziel von Gewalt geworden. Ein Bekennerbrief deutete damals auf das linksautonome Spektrum als Urheber hin.
Benedikt Lux’ Appell an die Abgeordnetenkollegen lautet: »Zeigt im Kiez weiterhin Flagge für die Demokratie!«
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