Tankstellen-Romantik

Margrit Schriber erzählt von einer Frau, die ihren Weg zum Glück sucht

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 3 Min.

Macht eine gute Geschichte schon gute Literatur aus? Trägt uns allein schon die Sympathie für bestimmte Figuren durch die Fiktion - oder braucht es dazu mehr? Wenn man Margrit Schribers Roman »Glänzende Aussichten« liest, beginnt man, sich diese Fragen zu stellen. Zweifellos, den Leser zieht es unmittelbar hinein in den Lebenskosmos der Protagonistin, wir nehmen teil an ihrem Alltag, empfinden Sympathie für ihre behagliche Existenzweise. Aber die Faszination für die Sprache, ja, die Verführungskraft der Sätze, all das will einfach nicht aufkommen.

Doch der Reihe nach. Von wem ist hier überhaupt die Rede? Von einer beispielhaft starken Frau. Wüsste man nicht, dass die Story in der Deutschschweiz angesiedelt ist, könnte man meinen, man befände sich auf einem US-amerikanischen Highway, irgendwo in Nevada, wo sie mit Colt und breitem Gang ihren Mann stehen müsste. Inmitten der Provinz betreibt Pia eine kleine, in die Jahre gekommene Tankstelle. Zu ihren alltäglichen Gefährten zählen ein Gebrauchtwagenhändler auf demselben Grundstück, ihre beste Freundin Louisa - eine muntere Diva mit Vorliebe für Affären - und nicht zuletzt Waldi, ein Wackeldackel auf der Registrierkasse. Räumt die Protagonistin nicht gerade den Zeitschriftenständer auf oder putzt die Zapfsäulen, dann denkt sie an die guten alten Zeiten, als sie ihrem Vater noch in der Reparaturwerkstatt zur Hand ging oder erinnert sich an ihre große, aber gescheiterte Liebe zu dem Hallodri Luc.

Jene überschaubare Welt gleicht einer Oase, sie birgt Ruhe, scheint nichts von der Schnelllebigkeit unserer Tage wissen zu wollen. »Die einsame Tankstelle hat etwas Rührendes, besonders nachts, wenn der Rand leuchtet. Sie hebt sich aus der Dunkelheit hervor wie eine Geburtstagstorte.« Auch auf den Leser überträgt sich die beinahe schon meditative Entspanntheit. Dass auch dieses Paradies, wie alle anderen, nicht gegenüber sämtlichen Gefährdungen immun ist, zeigt sich leider an den Zahlen. Da der Umsatz sinkt, muss sich Pia eine neue Strategie ausdenken. Ihre Idee: Der Bau einer großen Autowaschanlage soll Abhilfe schaffen.

»Glänzende Aussichten« stellt ein Aufwachbuch dar, einen Text, der zum Durchhalten und zu Selbstbewusstsein motiviert. Man könnte aber genauso von einem literarischen Glückskeks sprechen, dem manche Kitschzutat beigefügt ist. Mal wird ein Gruß in die Nacht gehaucht, ein andermal ist vom »Harfenspiel des Windes« die Rede. Zudem finden sich zahllose Floskeln à la »Es gibt ja so viele Gründe, sich zu freuen, und so viele Gründe zum Traurigsein« in dem Roman wieder.

Authentisch mögen solcherlei Formulierungen sein, zumal die Heldin durchaus einem eher bildungsfernen Milieu entstammt. Hinzu kommt der biografische Hintergrund der 1939 in Luzern geborenen Autorin, die in den 80er Jahren selbst eine Tankstelle besaß. Plausibler könnte ein Text also gar nicht ausfallen.

Wer sich an einer gediegenen, netten Lektüre für den Couchabend erfreut, sich gern in Schicksale vertieft und Ablenkung braucht, kann mit Schriber nichts falsch machen. Mehr bietet ihre Geschichte allerdings nicht. Sätze, die nachhallen, Metaphern, die weitere Räume eröffnen, sucht man hierin vergebens. Kritiker würden von Wohlfühlliteratur sprechen, Begeisterte würden die ihr innewohnende Entschleunigung feiern. Fazit: »Glänzende Aussichten« ist vielleicht ein Buch für die Herzen, für den Kopf aber keinesfalls.

Margrit Schriber: Glänzende Aussichten. Roman. Nagel & Kimche, 174 S., geb., 19 €.

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