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- Ein Jahr nach G20 in Hamburg
»Es wird keine einfachen Antworten geben«
Es bleibt kompliziert: Antje Möller von den Grünen über die Aufarbeitung des G20-Gipfels
In diesen Tagen jährt sich der G20-Gipfel in Hamburg. Wie fühlt sich das für Sie an?
Durch die Aufbereitung fühlt sich das erst mal nach viel Arbeit an. Gleichzeitig hat man natürlich durch die Arbeit im Sonderausschuss immer wieder Bilder dieser hochdramatischen und belastenden Woche im Kopf.
Wo waren Sie während der Gipfel-Tage?
Ich war in Hamburg und in meiner Funktion als Innenpolitische Sprecherin in der Stadt unterwegs. Ich habe den Versuch gemacht, mir möglichst viele der angemeldeten Versammlungen anzuschauen, zu begleiten und zu beobachten.
Auch die »Welcome to Hell«-Demonstration am Donnerstag?
Ja.
Wo waren Sie in dem Moment, als die Auseinandersetzungen begannen?
Ich war an der vorderen Spitze der Demonstration, stand aber nicht mittendrin, sondern hinter der Reihe der Polizistinnen und Polizisten.
Wie bewerten Sie als Augenzeugin den Polizeieinsatz?
Ich glaube, es reicht nicht zu sagen, wie ich das als Augenzeugin bewerte. In dem Moment hat sich mir nicht wirklich erschlossen, was der Grund für das massive Eingreifen der Polizei war. So was löst sich allerdings durch Nachlesen, Nacharbeiten und die Arbeit im Ausschuss wieder auf.
Haben Sie Polizeigewalt mitbekommen?
Ich habe persönlich keine erlebt, aber gesehen habe ich natürlich auch bei diesem Einsatz diverse kleinere und größere Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Polizei. Es gab aber eben auch viele friedliche Abschnitte.
Sie sitzen im Sonderausschuss, der sich nun seinem Ende neigt. Was ist Ihr Fazit?
Es gibt eine Vielzahl von Erklärungen dafür, was in Hamburg passiert ist. Man muss sich die einzelnen Abläufe der Versammlungen genau angucken. Bei einigen Veranstaltungen kann man zum Beispiel massive Kommunikationsprobleme innerhalb der Polizei feststellen. Bei anderen Versammlungen kam es zu Gewalttaten, die so nicht erwartet worden waren und die Polizei deshalb nicht darauf vorbereitet war. Wir reden über eine Woche mit rund 150 Veranstaltungen. Es wird keine einfachen Antworten geben. Unser Fazit wird deshalb auch sehr differenziert ausfallen.
Wer trägt denn die Verantwortung für die Eskalation?
Es ergibt sich ein sehr vielschichtiges Bild – und das ist unterschiedlich für jeden Gipfeltag, für jede Versammlung. Es gibt Beispiele, wo wir ganz klar sagen können: Hier hat es eine Eskalation durch Gewalttaten auf der Straße gegeben und darauf musste die Polizei reagieren. Es gab andere Beispiele, wo auch nach der Sachaufklärung durch die Polizei immer noch Fragen zur Notwendigkeit der Härte des Einsatzes bleiben. Und es gibt Versammlungen, wo man auch konstatieren kann, dass das Einsatzkonzept gut funktioniert hat.
Finden Sie, die Polizei hat einen guten Job gemacht?
Das kann man nicht mit Ja oder Nein beantworten. Das Sicherheitskonzept für die G0-Veranstaltung hat funktioniert. Ich sehe aber auch, dass Dinge passiert sind, die ich nicht nachvollziehen konnte. Und es haben sich Fehler eingeschlichen, es gab Defizite – Kommunikationsfehler, vor allem auch strategische Fehler, zum Beispiel beim Verkehrskonzept.
Es sind zahlreiche Fälle von Polizeigewalt dokumentiert, bislang ist aber noch kein Polizist angeklagt. Warum nicht?
Ich halte sehr viel von der Gewaltenteilung. Hier ist aber erst einmal das Dezernat Interne Ermittlungen gefragt. Wenn man jedoch sieht, dass bei einer Vielzahl von Polizisten, gegen die eine Anzeige vorliegt, keine Anklage erhoben wird, stellt sich natürlich schon die Frage, woran das liegt. Und da gibt es eine Menge Erklärungen. Unter anderem sind wir dann bei der Kennzeichnungspflicht, die jetzt ja auch eingeführt wird. In der letzten Sitzung des Sonderausschusses vor der Sommerpause werden wir uns noch einmal ausführlich mit dem Dezernat Interne Ermittlungen beschäftigen.
Im Dezember wurde damit begonnen, öffentlich nach Straftätern zu fahnden. Wie stehen Sie zu diesen Öffentlichkeitsfahndungen?
Die Öffentlichkeitsfahndung ist rechtlich zulässig, aber politisch habe ich sie kritisiert. Weil ich es insgesamt schwierig finde, wie diese Öffentlichkeitsfahndungen aufgezogen wurden. Man muss sicherstellen, dass keine Minderjährigen betroffen sind. Und der lediglich indirekte Zusammenhang zwischen Videos und den gesuchten Personen hätte deutlich gemacht werden müssen. Sonst wird eine bestimmte Stimmung befördert.
Es gab Kritik, dass sich die Grünen während G20 nicht stark genug für Bürgerrechte eingesetzt hätten. Können Sie das nachvollziehen?
Wir haben im Vorfeld immer die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit eingefordert und dies öffentlich, aber auch mit der SPD und mit dem Senat diskutiert. Was politisch nicht verhindert werden konnte, war die Allgemeinverfügung über die Verbotszonen. Kritisiert haben wir sie trotzdem. Ich glaube trotzdem, dass sich die Einschränkungen des Versammlungsrechts bis auf einzelne Fälle in Grenzen hielten.
Wie verliefen die Diskussionen bei den Hamburger Grünen?
Mehrheitlich gibt es einen kritischen und ablehnenden Ansatz. Gleichzeitig gab es aber auch Stimmen, die meinten, dass der Gipfel stattfinden können muss. Der Ort wurde übergreifend von Anfang an sehr kritisch gesehen - und das hat sich im Nachhinein aus meiner Sicht auch bestätigt.
Die Hamburger Grünen haben die Messehallen als Veranstaltungsort kritisiert. Warum hat der Gipfel trotzdem dort stattgefunden?
So ist das mit kleinen Koalitionspartnern. Wir haben diesen Standort kritisiert, uns aber mit dieser Kritik nicht durchsetzen können.
Und der Gipfel? Hätte er jemals in Hamburg stattfinden sollen?
Ich persönlich halte es für einen Fehler, dass der Gipfel in Hamburg stattgefunden hat.
Bei einer öffentlichen Anhörung im Schanzenviertel haben Anwohner Kritik geäußert und den Rücktritt von Innensenator Andy Grote, dem ehemaligen Bürgermeister Olaf Scholz und dem ehemaligen Polizeieinsatzleiter Hartmut Dudde gefordert. Es hieß, der Senat habe keine Verantwortung übernommen. Haben es die Grünen?
Ich würde sagen, dass wir das nach unserem eigenen Selbstverständnis getan haben und auch weiterhin tun. Wir versuchen, in diesem Ausschuss aufzuklären, im Detail in die Kritik reinzugehen, uns aber auch die Darstellungen der Polizei anzuhören. Wir haben die Akten gelesen, um die richtigen Fragen stellen zu können. Ich glaube deshalb, dass wir unsere Mitverantwortung für den Gipfel und den Einsatz der Sicherheitskräfte ernst genommen haben.
Wären Rücktritte notwendig gewesen?
Das wäre ein Signal gewesen, das die CDU gerne gehabt hätte - ebenso wie die Räumung des autonomen Zentrums Roten Flora. Ich finde, dass uns Rücktritte bei dem Versuch zu verstehen, was in dieser Woche passiert ist, nicht weitergeholfen hätten. Die Fragen wären weiterhin offen geblieben. Ein Rücktritt kann politisch eine befreiende Wirkung haben, klärt aber nicht auf.
Sie haben die Rote Flora angesprochen. Die CDU will das autonome Zentrum zu einem Wahlkampfthema machen. Hat sich nach G20 etwas an Ihrem Umgang mit der linken Szene verändert?
Es gibt einen Satz, der gilt schon lange: Gewalt und gewalttätige Aktionen sind aus unserer Sicht kein Mittel der Politik. Das war vor G20 so und ist auch weiterhin so. Wir sind aber natürlich im Dialog mit Initiativen und politischen Akteuren auch im außerparlamentarischen Raum. Und dazu gehören auch Teile, die im linken Spektrum aktiv sind.
Zählt dazu auch die Rote Flora?
Was ist denn die Rote Flora? Dort treffen sich eine Vielzahl von Leuten, dort gibt es ein großes Plenum. Und ja: Ich kenne dort auch Leute. Die Rote Flora wird immer zu einem Symbol gemacht – die politische Diskussion findet aber konkret zwischen Menschen statt.
Nehmen wir mal an, es wäre möglich, dort eine Veranstaltung zu organisieren. Würden Sie das machen?
Ich hätte nicht unbedingt den Wunsch, dort eine Veranstaltung zu organisieren. Aber wenn ich zu einer Veranstaltung eingeladen würde, würde ich selbstverständlich teilnehmen. Miteinander diskutieren? Ja klar!
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