- Politik
- Aufarbeitung des G20-Gipfels
Jeder für sich
Bei der politische Aufarbeitung der Gipfeltage gibt es keinen Konsens in der Stadt
»Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist«, kündigte der ehemalige Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) vollmundig vor dem Beginn der G20-Proteste im vergangenen Sommer an. Es folgten die bekannten Bilder; im Konkreten steckten dahinter: Momente der Ermächtigung und der Repression, umfangreiche physische wie psychische Verletzungen. Die Stadtpolitik war sich im Anschluss sicher, dass »so etwas« nie wieder passieren dürfe. Was dieses »so etwas« war, da gingen die Meinungen jedoch auseinander. Die Gräben zwischen Bevölkerung und Senat wurden tiefer. Wie ist es nun ein Jahr später um die politische Aufarbeitung eines Gipfels bestellt, der auch ganz offiziell den Schutz der Gäste über den der Bürger stellte?
Noch im Juli vergangenen Jahres hatte die Linksfraktion der Hamburger Bürgerschaft einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefordert, durchgesetzt hatte sich letztlich ein Sonderausschuss mit weniger Rechten. In diesem sind 19 Mitglieder aus sechs Fraktionen vertreten. Die Arbeit des Ausschusses neigt sich mittlerweile dem Ende entgegen, angesichts der bisherigen Ergebnisse besteht jedoch nicht nur bei Anwohnern Skepsis. »Der Sonderausschuss ist parteipolitisch geprägt«, sagt Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, gegenüber »nd«. Die CDU schieße etwa einseitig gegen das autonome Zentrum Rote Flora und wolle den SPD-Bürgermeister absetzen, die SPD wolle die Behörden nicht beschädigen und stelle kaum kritische Fragen, die Grünen befänden sich zwischen den Stühlen. Da es in dieser Konstellation sonst kaum jemand macht, beschäftigt sich die LINKE kritisch mit der Rolle der Behörden. »Es gibt hier keine Fehlerkultur und keine ehrliche Aufarbeitung«, sagt Schneider. Die Polizei mache nach wie vor nicht nur die Militanten, sondern den gesamten Protest in seiner Breite für die Krawalle verantwortlich. »Das Feindbild der Polizei besteht fort und richtet sich gegen alles, was links ist.« Auch die LINKE sei gerade im Nachgang der Protesttage hart angegriffen worden. Die Stimmung habe sich mittlerweile wieder gemäßigt, die Vorwürfe würden aber das »Verhalten des Innensenators bis heute bestimmen«.
Bei einer öffentlichen Anhörung des Sonderausschusses Ende Mai im Stadtteil Altona hatten sich rund 250 Anwohner Luft gemacht und den Senat kritisiert. Die einen beschwerten sich über nicht aufgeklärte Polizeigewalt, andere darüber, dass man sie mit den Krawallmachern alleine gelassen habe. Belastungen wie Hubschrauberlärm rund um die Uhr oder eine Gefährdung von Kindern wurden angeprangert, einige forderten Rücktritte der Verantwortlichen.
Schneider bezweifelt, dass der Senat einen wirklichen Dialog anstrebt. »Man tut so, als nehme man die Anwohner ernst, dabei wird vermittelt: Das sind eure subjektiven Erfahrungen, objektiv war es ganz anders.« Zeitgleich müsse man berücksichtigen, dass die Positionen innerhalb der Stadt auch unterschiedlich sind, so die Politikerin. »Je weiter weg man vom Protestgeschehen wohnt, desto freundlicher ist man zur Polizei.« Insgesamt überwiege in der Stadt die »Erzählung der Behörden«.
Über Hamburg hinaus zeigt sich derweil, dass die G20-Proteste bundesweit für eine Verschärfung von Sicherheitsgesetzen genutzt wurden. Bereits vor dem Gipfel peitschte die Große Koalition ein Gesetz durch den Bundestag, das für angebliche Widerstandshandlungen gegen Polizisten die Strafen drastisch verschärfte. Direkt im Nachgang wurde - auch im Zuge des Bundestagswahlkampfes - vom damaligen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die linke Internetplattform »linksunten.indymedia.org« verboten, konservative und rechte Politiker forderten bundesweit die Schließung linker Hausprojekte. Erst kürzlich hat die Hamburger CDU beschlossen, sich in ihrem Wahlkampf an der Roten Flora abzuarbeiten. Verantwortliche jener Sommertage wurden indes befördert. Scholz wurde Finanzminister, der G20-Einsatzleiter Hartmut Dudde Chef der Hamburger Schutzpolizei.
Es ist nicht abwegig, auch die Einführung der umstrittenen Polizeigesetze in verschiedenen Bundesländern im Zusammenhang mit den Protesten zu sehen. »Die Stimmungslage nach G20 wurde genutzt, um die Repressionsmaßnahmen zu schärfen«, bestätigt Schneider. Zumindest in Hamburg soll eine individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten eingeführt werden.
Schneider weist darauf hin, dass der Gipfel auch für die Demonstranten ein »Desaster« war. Die erste Assoziation bei vielen Menschen sei heute, dass die Proteste gewalttätig waren. »Wenn nur das übrig bleibt, müssen wir uns fragen, warum es nicht gelungen ist, dass die kleinen und großen Alternativproteste das Bild bestimmen konnten.« Laut der Politikerin habe man im Sonderausschuss viel gearbeitet in den vergangenen Monaten. Wie es jetzt weitergehen soll - sie ist überfragt.
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