- Wirtschaft und Umwelt
- Krise bei Opel
Herzstück vor dem Aus?
Opelaner fürchten um Arbeitsplätze im Rüsselsheimer Entwicklungszentrum
Wenn beim Autobauer Opel die Werksferien beginnen, werden viele Opelaner und ihre Familien auch im Urlaub kaum abschalten können. Dafür sorgen Meldungen, wonach die Pariser PSA-Konzernmutter Teile des Rüsselsheimer Entwicklungszentrums loswerden möchte und sich davon Einnahmen von 500 Millionen Euro verspricht. Betroffen wären nach ersten Schätzungen bis zu 4000 von rund 7500 der dortigen Beschäftigten.
Das Internationale Technische Entwicklungszentrum (ITEZ) mit seinen hoch qualifizierten Spezialisten gilt als Herzstück der Marke Opel und Inbegriff »deutscher Ingenieurskunst«. Umso empörter zeigen sich die Beschäftigten über einen Pressebericht von Berlin-Korrespondenten der französischen Zeitung »Le Monde«, der am Dienstag veröffentlicht wurde und sich auf Insider beruft. Demnach seien als Käufer für große Teile des ITEZ die französischen Technologieberatungskonzerne Altran, Akka und Segula sowie die deutsche Bertrandt AG im Gespräch. »Es ist noch keine diesbezügliche Entscheidung gefällt worden«, zitiert das Blatt einen Unternehmenssprecher in Paris.
Die bisher von der Opel-Zentrale weder bestätigte noch dementierte Meldung hat in Rüsselsheim Enttäuschung, Kopfschütteln und Wut ausgelöst. Verständlich, zumal sich IG Metall, Betriebsräte und Opel-Management erst im Mai über »Eckpunkte für Zukunftssicherung aller Opel-Standorte« verständigt hatten. Kernstücke sind ein massiver Stellenabbau mit Abfindungsregelungen, eine Investitionszusage für alle deutschen Standorte sowie Kündigungsschutz für die Beschäftigten bis 2023. Im Gegenzug nahmen die Beschäftigtenvertreter Lohnopfer hin. Die Eckpunkte standen auf der Tagesordnung von Tarifverhandlungen zwischen der IG Metall und dem Opel-Management am Freitag. Am Nachmittag meldete die IG Metall, dass beide Seiten den »Zukunftstarifvertrag« mit einer Laufzeit bis 2023 unterzeichnet hätten.
»Wir glauben diesem Vorstand und PSA kein Wort mehr«, sagte der sonst bedächtig wirkende Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Schäfer-Klug. Die Stimmung in der Belegschaft bezeichnete er als »ziemlich kämpferisch«. Der Betriebsrat hatte nach den neuen Hiobsbotschaften kurzfristig für Donnerstag eine außerordentliche Betriebsversammlung anberaumt und zeigte sich brüskiert, dass weder Opel-Chef Michael Lohscheller noch Vorstandsmitglied Christian Müller der Einladung und Aufforderung zu einer Stellungnahme gefolgt waren. Lohscheller hatte noch vor wenigen Wochen gesagt, dass das ITEZ weiter eine wichtige Rolle im PSA-Konzern spielen werde und sogar neue Kompetenzen für den gesamten Konzern zugeteilt bekommen habe. Dies könnte schon wieder Makulatur sein.
Betriebsrat und IG Metall lehnen einen Verkauf des ITEZ ab. »Das technologische Herz der Marke Opel schlägt im Engineering«, so Schäfer-Klug. »Produktion, Service und Verwaltungsbereiche können ohne Entwicklungszentren der Marke Opel keine Identität geben.« Viele befürchteten, dass die Marke Opel die »Herzoperation« am ITEZ nicht überleben werde. »Vielleicht wäre ein Verkauf gar nicht so schlecht und führt zu neuen Ufern«, meint hingegen ein Branchenkenner im Hinblick auf die Tatsache, dass das ITEZ bislang auch dem früheren Mutterkonzern GM zugearbeitet habe und jetzt dringend neue Auftraggeber jenseits von GM, Opel oder PSA brauche.
Weniger im Rampenlicht stehen unterdessen Hunderte Leiharbeiter, die in keiner amtlichen oder Konzernstatistik auftauchen. Seit Winter haben nach Insidereinschätzungen allein in Rüsselsheim bis zu 600 Leiharbeiter ihren Job verloren. Mit Beginn der Werksferien werden auch die über die Firma Rhenus SCR eingesetzten 150 Leiharbeiter entlassen.
»Yes we can - auch ohne GM«, hatten nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise vor knapp zehn Jahren Opelarbeiter auf ein Plakat geschrieben. Unter dem Dach des US-Konzerns GM wurden seither die Werke in Bochum und Antwerpen geschlossen. Doch auch der Eigentümerwechsel zu PSA hat die Probleme nicht gelöst. Die neuen Herren über Opel drängen ungeduldig mit knallharten Methoden auf Sanierung und Profitabilität der deutschen Tochter.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.