Seehofers Fake-News

Früherer Kapitän der »Cap Anamur« verteidigt Schiffsführer der »Lifeline« gegen Vorwürfe des Ministers / Italien kündigt Hafenschließungen an

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

An diesem Dienstag will Innenminister Horst Seehofer seinen »Masterplan Migration« vorstellen. Da dieser bereits zuvor an die Öffentlichkeit gelangte, hält sich die Neugier in Grenzen. Auch der darin umstrittenste Punkt, die Zurückweisung von Flüchtlingen an der österreichisch-bayerischen Grenze, stellt nach der Einigung der Koalition in der vergangenen Woche keine Neuigkeit mehr dar. Von Interesse ist jetzt vor allem die Umsetzung des Kompromisses, die unter anderem von der Bereitschaft von Ländern wie Österreich und Italien abhängt, zurückgewiesene Flüchtlinge zurückzunehmen, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben.

Beide Länder lassen bisher wenig Entgegenkommen erkennen. Der mit dem Abschluss von Verwaltungsabkommen beauftragte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) darf kaum auf Bereitschaft zur Aufnahme jener Flüchtlingen bauen, deren Einreise er selbst vehement verweigert. Die nächste Gelegenheit für einen Stimmungstest kommt schon bald: Am Donnerstag und Freitag trifft Seehofer mit seinen EU-Amtskollegen in Innsbruck zusammen.

Im Vorfeld zeigt sich, dass sich auch jene Länder eine harte Position einnehmen, die bisher die Hauptlast bei der Aufnahme von Flüchtlingen tragen. So kündigte Italiens Innenminister Matteo Salvini an, künftig nicht nur Schiffen ziviler Seenotretter das Einlaufen in italienische Häfen zu verwehren, sondern auch Schiffen internationaler Missionen im Mittelmeer. Salvini werde das Thema in Innsbruck ansprechen, hieß es. Am Wochenende erst war in Messina das irische Marineschiff »Samuel Beckett« mit 106 Flüchtlingen an Bord vor Anker gegangen.

In Italien landen bisher die meisten Flüchtlinge. Dieser Tage aber hatte Frontex-Chef Fabrice Leggeri gemutmaßt, dass die Route von Libyen über das Mittelmeer abgelöst werden könnte von einem neuen Weg, den Flüchtlinge von Marokko nach Spanien nehmen könnten.

In Deutschland bewegt derweil das Schicksal der Seenotretter unverändert die Gemüter. Die »Lifeline« wird von den maltesischen Behörden festgehalten, während ihr Kapitän Claus-Peter Reisch sich vor Gericht verantworten muss. Das Schiff hatte mit 234 vor der libyschen Küste geretteten Flüchtlingen an Bord eine Odyssee durchlaufen, bevor es in Malta landen durfte. Eine Spendenkampagne, die Fernsehmoderator Jan Böhmermann zur Deckung der Prozesskosten in Malta angestoßen hatte, erbrachte 197 180 Euro, wie am Montag gemeldet wurde. 8657 Menschen beteiligten sich daran. Eine zweite Online-Spendenkampagne wurde von Fernsehmoderator Klaas Heufer-Umlauf initiiert und brachte bis Montagvormittag über die Internetplattform leetchi.com rund 135 000 Euro zusammen. Mit dem Geld sollen Schiffe für die Seenotrettung im Mittelmeer gechartert werden, was Minister Seehofer zumindest als ähnlich kontraproduktiv empfinden dürfte wie die Demonstrationen Tausender Menschen am Wochenende in vielen deutschen Städten.

Seehofer sieht sich derweil außer einer in Umfragen dokumentierten schwindenden Gunst der Wähler auch deutlicher Kritik ausgesetzt. Der Zuwanderungsbeauftragte der Landesregierung in Schleswig-Holstein, Stefan Schmidt, bezichtigte den CSU-Politiker in einer Erklärung, Fake-News zu verbreiten. Schmidt kritisiert, dass der Minister ungeprüft gefordert habe, die »Lifeline« zu beschlagnahmen und die Mannschaft zur Rechenschaft zu ziehen. Seehofer hatte dies mit Vorwürfen begründet, die zuletzt auch in den Medien die Runde machten. Dabei hieß es, die Organisation »Mission Lifeline« habe das Schiff nicht ordentlich registriert, und Schiffsführer Reisch habe lediglich eine Lizenz, die es ihm erlaube, Schiffe in Küstengewässern bis zu 30 Seemeilen vor der Küste zu führen. Das Schiff habe zudem Anweisungen italienischer Behörden ignoriert, die Rettungsaktion für die 234 Menschen der libyschen Küstenwache zu überlassen. Stefan Schmidt, der selbst Kapitän des Hilfsschiffes »Cap Anamur« war und sich in diesem Zusammenhang vor Gericht verantworten musste, wirft Seehofer vor, die Maßstäbe für »good governance« zu verlassen.

Die »Lifeline«, so Schmidt, sei ordnungsgemäß in den Niederlanden mit Heimathafen Amsterdam registriert und fahre unter niederländischer Flagge. Schiffsführer Claus-Peter Reisch verfüge über einen international gültigen amtlichen Sportseeschifferschein der Bundesrepublik Deutschland. »Der Schein gestattet ihm nicht nur das Führen von Schiffen in Küstengewässern bis zu 30 Seemeilen, sondern auch in den gesamten Seegebieten der Nord- und Ostsee und insbesondere im gesamten Mittelmeer sowie weiteren Gewässern.« Von einem Bundesinnenminister könne erwartet werden, sich pflichtgemäß zu informieren, »bevor er öffentlichkeitswirksam und populistisch diskreditierende ›alternative Fakten‹ über Bundesbürger im Ausland in die Welt setzt«, kritisierte Schmidt.

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