Arbeitslos in den Sommerferien - Tausende Lehrer betroffen
Lehrervertretungen fordern, befristete Verträge in dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse umzuwandeln
Berlin. Tausende Lehrer werden zu Beginn der Sommerferien in die Arbeitslosigkeit entlassen. »Es zeichnet sich wieder deutlich ab«, sagte die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Marlis Tepe, mit Blick auf die Sommerferien 2018. Eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter den Kultusministerien der Länder ergab, dass vor allem Vertretungslehrer im Angestelltenverhältnis betroffen sind. Die Länder sparen dadurch Millionen ein.
In Baden-Württemberg sind es nach Angaben eines Sprechers des Kultusministeriums 3300 Lehrer, deren Arbeitsvertrag spätestens mit dem Beginn der diesjährigen Sommerferien am 26. Juli endet. Eine Beschäftigung und Bezahlung dieser Vertretungslehrer auch in den Ferien würde das Land nach seinen Worten 12,5 Millionen Euro kosten.
Bundesweit meldeten sich laut Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr in den Sommerferien rund 4900 Lehrkräfte arbeitslos. Die Behörde vermerkt in ihrem Bericht, »dass die Zahl arbeitsloser Lehrkräfte regelmäßig in den Sommerferien stark ansteigt. Nach den Sommerferien geht die Arbeitslosenzahl wieder zurück.« Die tatsächliche Zahl der betroffenen Lehrer dürfte aber höher liegen. Nicht alle meldeten sich arbeitslos, erläuterte Tepe. Wie viele Lehrer dieses Jahr entlassen werden, war vielerorts noch nicht klar.
Tepe kritisierte den Kurs der Länder. Vor allem zeige sich, »dass die südwestlichen Bundesländer wieder in den Sommerferien nicht zahlen«, in jedem Fall nicht Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Für die Gewerkschafterin, die selbst viele Jahre im Klassenzimmer stand, ist die Sommerarbeitslosigkeit ein Unding: »Für die Kollegen und Kolleginnen bedeutet das eine totale Unsicherheit.« Die Betroffenen wissen nicht einmal sicher, ob es einen Folgevertrag gibt.
Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, forderte 50 000 neue Planstellen. »Ich halte es für skandalös, dass sich trotz Lehrermangel und massiven Unterrichtsausfalls viele Bundesländer weigern, befristete Verträge in dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse umzuwandeln«, sagte er. »Junge, motivierte Lehrkräfte werden damit als beliebig verschiebbare Manövriermasse missbraucht.« Das Problem sei sogar noch größer: »Viele Betroffene können gar kein Arbeitslosengeld beantragen, weil sie zu kurz beschäftigt waren, um überhaupt anspruchsberechtigt zu sein.«
Die Bundesagentur für Arbeit registrierte 2017 die meisten Arbeitslosmeldungen von Lehrkräften in Baden-Württemberg (1680), Bayern (860) und Niedersachsen (470). Auch im relativ kleinen Hamburg (260) sei das Phänomen besonders erkennbar gewesen. Ein Sprecher des Kultusministeriums in Baden-Württemberg betonte, dass die befristete Beschäftigung im Südwesten mit drei Prozent aller Lehrer die große Ausnahme sei. Es handele sich um Vertretungslehrer, die bei längeren Krankheiten oder Ausfällen durch Mutterschutz und Elternzeit einsprängen.
Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, kritisierte: »Eine Krankheits- und Elternzeitvertretung zu übernehmen, kann eine große Herausforderung darstellen, da man mitunter mitten im Schuljahr einspringen, den Wissensstand der Kinder schnell erfassen und sie bis zum Schuljahresende auf das Lernzielniveau bringen muss.« Diese Lehrkräfte mit Arbeitslosigkeit abzustrafen, sei dreist. Man müsse sich mal vorstellen, dass Elternzeitvertretungen in der Wirtschaft vor ihrem Jahresurlaub gekündigt werden, um danach wieder eingestellt zu werden. »Niemand würde sich solch eine Praxis bieten lassen«, sagte Beckmann.
In Mecklenburg-Vorpommern läuft zum Ende des Schuljahres für 171 Lehrer an öffentlichen Schulen die befristete Anstellung aus. Wer im nächsten Schuljahr wieder beschäftigt wird, bekommt das Sommerferien-Gehalt nachbezahlt. Wer dieses Glück hat, war kurz vor Beginn der Ferien aber noch offen.
In Rheinland-Pfalz ändert sich demnächst etwas: Das Land will ab 2019 alle Vertretungslehrer über die Sommerferien bezahlen. Rund 1000 Lehrer könnten davon profitieren. Die Mehrausgaben betragen laut Bildungsministerium rund 2,5 Millionen Euro.
Insgesamt war die Sommerarbeitslosigkeit von Lehrern nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr jedoch geringer als in den drei Jahren zuvor. Im Saarland sind nach Kultusministeriumsangaben dieses Jahr nur 38 Lehrer betroffen. In Nordrhein-Westfalen, Hessen und auch in Sachsen-Anhalt ist die Sommerarbeitslosigkeit von Lehrern eher kein Thema.
Die GEW-Vorsitzende Tepe hält trotz des Rückgangs an der Kritik fest. »Angesichts des drastischen Mangels an Fachkräften muss man den Beruf attraktiv gestalten und nicht sagen: Wir brauchen euch in den Sommerferien nicht.« Auch Referendare stehen laut Tepe in einigen Bundesländern in den Sommerferien zu Tausenden ohne Gehalt da. Die Nachwuchslehrer hätten keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil sie während des Vorbereitungsdienstes nicht in der Arbeitslosenversicherung versichert sind. dpa/nd
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