Fahren in der »Waschmaschine«

Tom auf Tour

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Tour de France sucht immer wieder das Spektakel. Das muss sie auch. Schließlich geht es um die rare Ressource Aufmerksamkeit. Eine Rundfahrt alter Prägung - erste Woche Flachetappen, dann Alpen oder Pyrenäen, danach Pyrenäen oder Alpen und zwischendrin mal ein Zeitfahren oder eine Überführungsetappe durchs Mittelgebirge - ist mit den immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen des Fernseh- und Livestream-Publikums nicht mehr vereinbar.

Das denken jedenfalls die Veranstalter, die ihr Sportevent nun mal über Werbegeld und vor allem Übertragungsrechte finanzieren. Auch die Fernsehsender können sich nur refinanzieren, indem sie Werbekunden Reichweiten und Einschaltquoten versprechen können.

Es muss also Abwechslung her, Miniklassiker wie etwa die 5. Etappe durchs Finistère, wegen der vielen Hügel »das kleine Lüttich-Bastogne-Lüttich« genannt. Einen Tag später musste das Feld gleich zwei Mal die »Mauer der Bretagne« hochjagen. Sogar zwei Mal Alpe-d’Huez war bei der Tour schon einmal im Angebot.

Am Wochenende werden mal wieder die Pflastersteinpassagen des Frühjahrsklassikers Paris-Roubaix für Abwechslung sorgen. 15 Abschnitte von insgesamt 21,7 Kilometern Länge sind in den Parcours am Sonntag eingebaut. »Das macht das Rennen interessanter«, ist sich Tourchef Christian Prudhomme sicher. Es macht das Rennen auch gefährlicher. Klassementfahrer, die sich bei Sprintetappen schon vorn im Feld drängen und alles dichter machen, was dann ganz folgerichtig zu Stürzen führt, sind bei den Pflastersteinabschnitten ganz besonders drauf erpicht, an der Spitze zu fahren. »Jeder sportliche Leiter wird sagen: Besonders bei den ersten dieser Pavé-Zonen kommt es darauf an, vorn zu sein, um keine Zeit zu verlieren«, meint Paolo Slongo, Trainer von Vincenzo Nibali. Der Schützling legte 2014 auf der Roubaix-Etappe den Grundstein zu seinem Gesamterfolg. Andere Klassementfahrer wurden da so durchgeschüttelt, dass sie nicht nur viel Zeit verloren, sondern sogar aufgaben. Sturzverletzungen zuvor und dann das Gerüttel auf dem Pflaster sind eine toxische Kombination für den Körper. Als »Waschmaschine« beschrieb Roubaix-Dauersieger Tom Boonen gern den Effekt, wenn Knochen auf Knochen klappert, der Unterkiefer an den Oberkiefer schlägt und auch das Hirn zuweilen an die Schädeldecke knallt.

Technisch wird zwar eine Menge getan, um die Erschütterungen zu dämpfen: dickere Reifen, weniger Luft, besondere Rahmen. Eine Extrembelastung bleibt es trotzdem. »Im Unterschied zu anderen Etappen wird hier nicht nur die Beinmuskulatur beansprucht. Auch Arme und Rücken müssen arbeiten«, erklärt Trainer Slongo.

Ein Teil des Fahrerfeldes hält einen Roubaix-Parcours bei der Tour für komplett überflüssig. Schließlich drohen in einem Moment der Unachtsamkeit oder bei einem Defekt zum falschen Zeitpunkt, Monate lange Vorbereitungen auf das große Ziel Tour de France völlig umsonst gewesen zu sein.

Es gibt aber auch die, die die Pflastersteine lieben. Frühere Sieger wie John Degenkolb verspüren schon echte Vorfreude auf das Spektakel. Pure Kraft gibt hier den Ausschlag. Windschatten Fahren hilft nicht viel, weil das Feld sehr ausgedünnt sein wird. Zur Erschöpfung gesellt sich Ekstase. Die besonders aufgeheizte Stimmung der Fans am Wegesrand tut ein Übriges.

Aber auch manche Klassementfahrer können Roubaix etwas abgewinnen. »Ich habe schon als Kind am liebsten Roubaix im Fernehen geguckt. Es ist ganz speziell, das dann auch im Wettkampf zu fahren. Es fordert den kompletten Fahrer«, sagt Vincenzo Nibali dem »nd«.

Das ist dann auch der Reiz daran. Wer diese Tour gewinnen will, muss ein Fahrer vom Typ »Vintage« sein: Klettern muss er können, im Zeitfahren mithalten und auch dann sein Rad beherrschen, wenn es Bocksprünge macht wie ein Mustang beim Rodeo.

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