• Sport
  • Fußball in Japan

Red Bull kauft Omiya Ardija: Rücksichtslose Expansion

Beim Kauf des japanischen Klubs Omiya Ardija deutet sich an, wie rücksichtslos der Konzern bei seiner Expansion vorgeht

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 6 Min.
Aus Orange wird Rot: Red Bull hat als Erstes Emblem und Farbe des Vereins Omiya Ardija geändert.
Aus Orange wird Rot: Red Bull hat als Erstes Emblem und Farbe des Vereins Omiya Ardija geändert.

Als Shinnosuke zum ersten Mal davon hörte, dass dieser große Investor in seinen Klub einsteigt, dachte er: »Super! Endlich werden wir wieder gut!« In der dritten Liga, wo Omiya Ardija zurzeit spielt, fühlt sich niemand richtig aufgehoben. 2016 war der Verein vom Nordrand der Hauptstadt Tokio noch Sechster der J-League, Japans höchster Spielklasse. Dann der freie Fall. »Jetzt werden wir ein Topklub«, meint Shinnosuke und streichelt das Wappen auf seiner Brust. »Ganz bestimmt!«

An einem Sonntag Ende Oktober marschieren der 21-Jährige und sein gleichaltriger Freund Naonari voll triumphaler Gewissheit zum Nack5 Stadium in Omiya. Den Weg dorthin findet hier jeder: Stromkästen, Laternen, Schaufensterläden – alles ist orange angemalt, die Farbe des Vereins. »Wenn wir heute einen Punkt holen, sind wir Meister«, prahlt der komplett in Orange gekleidete Naonari. »In ein paar Jahren spielt Orange dann auch wieder in der ersten Liga!« Wenn alles gutgehe.

Die Zuversicht der zwei jungen Männer ist mehr als die typische Überheblichkeit, die Fans eines Fußballklubs oft vor sich hertragen. Tatsächlich ist fast garantiert, dass sich Omiya Ardija in den nächsten Jahren nicht nur wieder in der Erstklassigkeit etablieren, sondern wohl auch an der Spitze der J-League angreifen wird. Im Sommer hat Red Bull 100 Prozent der Anteile des Klubs gekauft. Die Engagements des Konzerns anderswo haben gezeigt: Red Bull züchtet Topklubs, Geld schießt Tore.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Trotzdem ist Shinnosuke und Naonari bange, wenn sie an die Zukunft ihres Vereins denken. Denn es kann gut sein, dass selbst im Fall eines Durchmarschs in Liga eins kein Orange in der J-League zu sehen sein wird. »Ich hoffe, sie ändern unseren Namen nicht in RB«, sagt Shinnosuke. »Oder unser Wappen in einen Bullen!«, überlegt Naonari. Was das Schlimmste wäre, da sind sich die Studienfreunde einig: »Wenn Red Bull unsere Farben ändert

Ihr Klub hat sich zu diesen Fragen bisher nicht geäußert. Wenn aber ein österreichisches Milliardenunternehmen einen japanischen Drittligisten kauft, könnten Außenstehende Jubelsprünge erwarten. Omiya Ardija hat kaum ein halbes Jahrhundert Geschichte, hieß einst NTT Saitama Soccer Selection und war das Betriebsteam des Telekommunikationskonzern NTT. Mit der Gründung der Profiliga J-League Anfang der 1990er Jahre wurde Omiya Ardija draus. Viele Fans waren NTT-Mitarbeiter und deren Angehörige. Typisch für Japan.

Doch wer denkt, die Identitäten seien hier austauschbar, versteht den Fußball nicht, der auch in Japan zu den beliebtesten Sportarten zählt. »Mein Vater hat für NTT gearbeitet«, sagt Shinnosuke, als er sich auf die Stehplätze hinterm Tor drängelt. »Ich war schon als kleiner Junge hier.« Um ihn herum wehen orangene Fahnen. Die Kurve grölt pausenlos aus Popsongs umgedichtete Gesänge, die 15 500-Zuschauerarena ist fast voll – in der dritten Liga.

Je mehr man sich im Stadion umhört, desto deutlicher wird, dass die Vorfreude getrübt ist. »Man geht jetzt schon davon aus, dass Omiya in ein paar Jahren Meister werden könnte«, erklärt der Redakteur des Fanzines »Ardija Guide«. »Aber die Fans wollen auch wissen, was aus ihrem Klub wird.« Die neuen Investoren seien leider schweigsam. »Die Fans kommen zwar weiterhin ins Stadion. Aber auf sozialen Medien ist schon viel geklagt worden.« Denn beim Kauf durch Red Bull wurden Mitarbeitende und Fans vor vollendete Tatsachen gestellt. Yuya Takahashi, Pressesprecher von Omiya Ardija, erklärt: »Anfang des Jahres zeigte sich, dass Red Bull Interesse hat.« Details kenne aber auch er nicht: »Wie teuer der Kauf war, weiß ich nicht.«

Mitte dieser Woche hat sich der neue Eigentümer dann erklärt: Bei einer Pressekonferenz saß Red-Bull-Chef Oliver Mintzlaff vor einem dem Logo der Klubs in Leipzig oder Salzburg zum Verwechseln ähnlichen Emblem, bei dem der blaue Schriftzug »RB Omiya Ardija« zwei rote Bullen einrahmt. Zur Farbe erklärte Mintzlaff, man habe eine Lösung gefunden, »sodass wir Omiyas orangene Farbe weiternutzen können.« Wie genau, bleibt unklar.

Wer die Akquisitionen von Red Bull ansieht, darf erwarten, dass Omiya Ardija irgendwann in Rot auflaufen wird, wie Salzburg, Leipzig oder Bragantino. Bei Bekanntgabe des Ardija-Kaufs im August klang Mintzlaff auch wenig bedacht um Fankultur: »Wir freuen uns sehr, einen Verein in Asien zu haben und unser Fußballportfolio in einer strategisch wichtigen Region zu erweitern.«

Aus der Perspektive von Red Bull dürfte der Kauf eines japanischen Klubs tatsächlich viel Sinn ergeben. Japan ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und damit ein großer Absatzmarkt für Energydrinks. Zudem kommen seit mehr als einem Jahrzehnt viele Talente von hier auf den Fußballweltmarkt. Als Drittligist mit der Infrastruktur eines Erstligisten dürfte Omiya Ardija, dessen Stadion aus Tokio mit der U-Bahn erreichbar ist, die ideale Beute gewesen sein: Vermutlich nicht allzu teuer, aber mit sehr viel Potenzial.

»Wir kennen natürlich unsere Position in der Hierarchie«, antwortet Pressesprecher Takahashi auf die Frage, ob Omiya nun zum neuen Spielerlieferanten für RB Leipzig wird. »Es wird wohl so kommen, dass wir Toptalente früher oder später nach Leipzig abgeben werden.« Im Gegenzug erhofft man sich Wissenstransfer aus der Red-Bull-Schule. »Wir freuen uns auf das Know-how von Jürgen Klopp, Mario Gomez und den vielen sehr guten Trainern.« Dies wiederum könnte den gesamten japanischen Fußball befeuern.

Das Nack5 Stadium bebt. Nach dem Rückstand haben die Hausherren in Orange gegen den Tabellenzweiten FC Imabari ausgeglichen. Damit wäre Ardija als vorzeitiger Meister aufgestiegen. Und wenn alles gut geht, wäre Omiya, ein Stadtteil der Millionenstadt Saitama, ab Frühjahr 2026 endlich wieder erstklassig. Doch Makoto Aida, seit mehr als zehn Jahren Stammgast im Stadion, wird das allmählich zu viel. Nach dem Ausgleichstreffer hat er sich aus der Kurve verdrückt, um sich Bier und gebratene Nudeln zu holen. »Mir wird mulmig beim Gedanken ans erste Saitama-Derby«, erzählt er heiser. So nennen sich die hitzigen Begegnungen mit dem wohlhabenden Topklub und Erzfeind Urawa Red Diamonds. »Sollen wir gegen die Roten dann in Rot spielen, oder was?«

Alle hier im Stadion wollen sportlichen Erfolg und eine Chance, den ungeliebten Rivalen mal zu schlagen, betont Aida. »Aber um welchen Preis? Dass wir am Ende rot werden wie die Reds?« Pressesprecher Takahashi kennt die Klagen. Red Bull habe bei seiner Investition nur harte Kriterien wie Marktpotenzial und Infrastruktur beachtet, andere wie die Identität eines Klubs aber übersehen.

Das Spiel ist aus, die Fußballer von Omiya Ardija haben das 1:1 über die Zeit gerettet. »We are the Champions«, schmettert es durch die Arena. Im Nack5 Stadium jubelt auch ein Maskottchen mit, dessen Name Ardija ist ein Fantasiewort, das dem Spanischen »ardilla« entlehnt wurde und sich mit Eichhörnchen übersetzt. Aber auch Ardija soll nun ersetzt werden – und Platz für einen roten Bullen machen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -