Katar-Shopping
Ausgerechnet im Kinderkaufhaus an der Lubjanka bekomme ich einen ersten Vorgeschmack auf die nächste WM. Das »Zentralnyj Djetskij Magasin« ist der Sehnsuchtsort aller russischen Kinder - sieben Etagen mit Spielzeugläden, Eisbuden, Zuckerwatteständen. Zur WM gibt’s dort einen FIFA-Fanshop und ich brauche ein Mitbringsel für meinen Achtjährigen.
Der FIFA-Laden ist allerdings eine Katastrophe. Überfüllte Gänge, verramschte Regale - die Touristen stürzen sich auf den überteuerten Tand wie Süchtige auf neuen Stoff. Weil die Schlangen an der Kasse lang sind, greife auch ich rasch ein T-Shirt in der 134 und eine Trinkflasche mit Maskottchen Sabiwaka. Und dann: warten, warten, warten.
Ich beginne mit meinem Vordermann einen Schwatz. Der bärtige Mann im grünen Polohemd ist aus Katar, stellt sich heraus. Mohd, Sicherheitsverantwortlicher des WM-OK für 2022. Er ist mit der katarischen Delegation angereist, die in einem schicken Pavillon am Ufer der Moskwa die Wüsten-WM präsentiert.
»Kommst Du in vier Jahren nach Katar?« fragt Mohd. Als ich zögere, beginnt er zu schwärmen. Wie toll es werde, wie sicher und schön es dort sei. »Vergiss alles, was du jetzt über Katar denkst, mein Freund. Es ist toll. Ich habe lange in Paris gelebt, ich weiß, wovon ich rede, glaub mir.« Und weiter: »Hast Du Kinder? Komm vorbei, du wirst mein Gast sein!«
Ich frage Mohd nach seiner Visitenkarte, vielleicht kann ich ja eine Geschichte für die Zeitung machen? Sein Blick verdüstert sich: »Hey! Falsche Frage! Niemals einen Sicherheitsmann um seine Visitenkarte bitten!«, sagt er finster. Um gleich darauf loszuprusten: »Haha, ein Witz, mein Freund, klar, wir tauschen Nummern aus, lass mich nur kurz bezahlen!« Denn Mohd ist dran.
Wir haben 30 Minuten gewartet, doch erst jetzt wird die Zeit lang. Denn an der Kasse steht stapelweise Ware für ihn bereit. T-Shirts, Tassen, Maskottchen, Schlüsselanhänger. Mohd kauft den halben Laden leer. »Sorry«, sagt er gequält lächelnd, »ist für unser Team, dauert kurz!« Tüte um Tüte füllt sich, erst nach einer Viertelstunde ist es endlich geschafft: 285 455 Rubel steht auf dem Kassendisplay. 3900 Euro. Zum Bezahlen braucht sogar Mohd mehrere Kreditkarten.
Als auch ich schließlich meine mickrigen 2700 Rubel losgeworden bin, will ich Mohd nach seinem Facebook-Account fragen. Doch der ist längst schon abgezogen, grußlos. Weit entfernt im Trubel sehe ich noch einen grünen Punkt verschwinden, umrahmt von zwei Verkäufern, die ihm beim Tragen helfen. Mein erster Blick auf Katar 2022.
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