Das eingeschränkte Holocaust-Gedenken

Die Bundesregierung will sich nicht an der Finanzierung von Erinnerungsstätten des Massenmords in Ostpolen beteiligen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Im berühmten Film »Shoah« des kürzlich verstorbenen französisch-jüdischen Regisseurs und Autors Claude Lanzmann bezeichnete der mit einer versteckten Kamera gefilmte SS-Unterscharführer Manfred Suchomel das Vernichtungslager Treblinka als »ein zwar primitives, aber gut funktionierendes Fließband des Todes«. Nach ihrer Ankunft wurden die Opfer durch einen Korridor aus mit Zweigen umflochtenen Stacheldrahtzäunen in den Tötungsbereich getrieben. Es wird geschätzt, dass hier, im heutigen Osten Polens, zwischen Juli 1942 und August 1943 mehr als eine Million Menschen erschossen oder in den Gaskammern ermordet wurden. Die große Mehrheit von ihnen waren Juden. Lanzmanns neunstündiger Film wurde 1985 veröffentlicht. Während Auschwitz für viele Deutsche als Synonym für den Holocaust gilt, sind die Verbrechen in anderen Vernichtungslagern wie Treblinka weniger präsent.

In den 1960er Jahren hat das damals noch sozialistische Polen eine Gedenkstätte für die Opfer errichtet. Diese ist aber mittlerweile in die Jahre gekommen und muss saniert werden. In Treblinka ist auch ein neues Bildungszentrum geplant. Die Bundesregierung wird sich daran allerdings nicht beteiligen. Auch entsprechende Forderungen aus Teilen der Opposition ließen Union und SPD kalt. Anfang Juli, kurz vor Beginn der Sommerpause des Bundestags, hatte die Linksfraktion in der Haushaltswoche einen Antrag gestellt, in dem sie unter anderem eine nachhaltige Förderung und den Ausbau einer angemessenen pädagogischen Infrastruktur in Treblinka sowie in den früheren Vernichtungslagern Belzec und Sobibor anregte. Die Linkspartei hatte dabei sowohl das Leiden der Opfer als auch Informationen für Besucher über die Aufstände der jüdischen Häftlinge von Treblinka und Sobibor gegen die SS-Schergen im Blick. Zudem wurde die Einrichtung eines internationalen wissenschaftlichen Beirates zur Erinnerung und Erforschung der »Aktion Reinhardt« gefordert. »Aktion Reinhardt« war der Tarnname für die systematische Ermordung aller Juden und Roma in den von den Nazis besetzten Gebieten im heutigen Polen und der Ukraine. Die Koalition aus Union und SPD lehnten das Ansinnen aber ab.

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In der Vergangenheit hieß es vonseiten der Regierung, dass Polen eine hervorragende Gedenkstättenarbeit betreibe und sich die Bundesrepublik hier nicht einmischen solle. Nun verwies die Große Koalition in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion auf die Theresienstädter Erklärung aus dem Jahr 2009. Darin hatten die 46 Unterzeichnerstaaten alle Staaten dazu aufgerufen, Mahnmale und andere Gedenkstätten und Orte zur Erinnerung an das unermessliche Leiden zu erhalten. Die Verantwortung sieht die Bundesregierung also bei denjenigen Staaten, auf deren heutigen Territorien die Gedenkstätten stehen.

Hintergrund der Theresienstädter Erklärung war allerdings, ehemaliges jüdisches Eigentum sowie geraubte Holocaust-Vermögenswerte an die jüdischen Gemeinden oder Religionsgemeinschaften zurückzuerstatten. Die Aufforderung an die Unterzeichnerstaaten war also nicht dazu gedacht, die Bundesrepublik von ihrer Verantwortung für Holocaust-Gedenkstätten in anderen Ländern freizusprechen. Vielmehr sollte durch die Erklärung gewährleistet werden, dass man auf einschlägige Archive zugreifen kann und weiter zum Holocaust geforscht wird.

Im Haushaltsplan der Bundesregierung wurden keine Mittel für die Gedenkstätten in Treblinka und Belzec eingestellt. Brigitte Freihold, die für die Linkspartei im Bundestag sitzt, ist deswegen empört. Aus ihrer Sicht kann die Verantwortung nicht einfach auf die polnischen Nachbarn abgewälzt werden. »Der Holocaust hat eine universelle global-menschliche Dimension und muss vor allem in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Berücksichtigung finden«, sagte die Politikerin auf Anfrage des »nd«.

Sie sieht nicht nur in Treblinka, sondern auch in Belzec Handlungsbedarf. So sollte die ehemalige Kommandantur in Belzec, wo im Jahr 2004 ein modernes Museum errichtet wurde, für Bildungszwecke erschlossen werden. »Eine finanzielle Beteiligung an der Restaurierung der Kommandantur wäre eine wesentliche Entlastung für die Gedenkstätte«, erklärte Freihold. Aber auch dies wird von der Bundesregierung schon seit Jahren abgelehnt.

Etwas komplizierter verhält es sich mit der Gedenkstätte in Sobibor. Diese musste im Sommer 2011 aus finanziellen Gründen zwischenzeitlich schließen. Gedenkstättenleiter Marek Bem hatte damals ausdrücklich die deutsche Verantwortung betont. Der Bundesrepublik sprach er jegliche Eigeninitiative für dieses »Kulturerbe der deutschen Zivilisation« ab. Nun wird in Sobibor eine neue und moderne Gedenkstätte errichtet. Die Kosten sollen bei vier bis viereinhalb Millionen Euro liegen.

Beteiligen wollen sich Israel, die Slowakei und die Niederlande. Auch Russland hatte Interesse gezeigt. Die Bundesregierung hatte vor drei Jahren 900 000 Euro für die Ausstattung des Museums in den Bundeshaushalt eingestellt. Nun heißt es vonseiten der Regierung, dass Mittel in Höhe von einer Million Euro im Haushalt des Auswärtigen Amtes zur Finanzierung der geplanten multimedialen Dauerausstellung der Gedenkstätte eingestellt seien. Mit der polnischen Regierung sei man bezüglich des finanziellen Beitrags seit sechs Jahren in Kontakt.

Bis die Bundesregierung ihre Bereitschaft zeigte, sich ein wenig zu bewegen, hat es etwas gedauert. Sie musste sogar von einstigen Betroffenen eindringlich um Unterstützung gebeten werden. So richtete der Überlebende des Vernichtungslagers und Teilnehmer am Aufstand in Sobibor vom 14. Oktober 1943, Philip Bialowitz, bei seinem Besuch im Bundestag im Herbst 2013 einen dringenden Appell an die Abgeordneten, den Neubau der Gedenkstätte zu unterstützen.

Oppositionspolitiker kritisieren nun, dass die Mittel der Bundesregierung, die zweckgebunden sind, trotz mehrerer Anfragen aus Polen nie angewiesen wurden. »Die Gedenkstätte Sobibor kann durch dieses Versäumnis keine öffentliche Ausschreibung für die Gestaltung der neuen Ausstellung« organisieren, monierte Freihold. Auch die Arbeiten an der neuen ständigen Ausstellung würden dadurch verzögert.

Deutschland unterstützt seit Jahren mit Millionenbeträgen vor allem die Stiftung Auschwitz-Birkenau. Aus Sicht der Linksfraktion reicht das nicht aus. Kamil Majchrzak, der für Brigitte Freihold als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist, erinnerte daran, dass die sogenannte Aktion Reinhardt den eigentlichen Kern des Holocausts darstellte. Im Zuge dieser Aktion wurden mindestens 1,8 Millionen Jüdinnen und Juden in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka ermordet. Außerdem waren rund 50 000 Roma unter den Opfern. Für die Erinnerung an das Schicksal dieser Menschen fühlt sich die Bundesregierung offensichtlich noch immer nicht verantwortlich.

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