- Politik
- Migrationsdebatte in Italien und Europa
Salvini eskaliert Streit um Flüchtlinge
Laut einem Zeitungsbericht will Italiens Regierung keine Flüchtlinge der EU-Marinemission »Sophia« mehr aufnehmen / Innenminister verklagt nach Kritik Anti-Mafia-Kämpfer Saviano
Berlin. Italien will einem Zeitungsbericht zufolge künftig auch keine Flüchtlinge der EU-Marinemission »Sophia« mehr aufnehmen. Das habe der italienische Außenminister Enzo Moavero Milanesi der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini mitgeteilt, berichtete die »Welt« am Freitag unter Berufung auf ein Schreiben aus dieser Woche. Die zuständigen Botschafter im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) der EU berieten deshalb über alternative Lösungen zur Verteilung der geretteten Migranten.
Wie die Zeitung aus Milanesis Schreiben zitiert, sieht sich Italien »unter den derzeitigen Umständen nicht mehr in der Position«, dem »Operationsplan« des »Sophia«-Einsatzes »zuzustimmen und sich entsprechend zu verhalten«.
Die neue rechte Regierung in Rom untersagte zunächst privaten Seenotrettungshelfern, italienische Häfen anzulaufen. Vor knapp zwei Wochen kündigte der rassistische Innenminister Matteo Salvini dann an, künftig auch Schiffen internationaler Missionen im Mittelmeer das Einlaufen in seine Häfen zu verwehren.
Rettungsschiff »Astral« steuert Mallorca an
Die grausamen Folgen dieser Politik sind jeden Tag spürbar. So muss das Rettungsschiff »Astral« der spanischen Hilfsorganisation Proactiva Open Arms mit einer geretteten Migrantin und zwei Leichen an Bord nach Mallorca ausweichen. Italien hatte dem Schiff zuvor zwar einen Hafen zum Anlanden zugewiesen - allerdings nur angeboten, sich um die Überlebende, nicht aber um die Toten der Flucht über das Mittelmeer zu kümmern. Daraufhin entschied Proactiva, Spanien anzusteuern.
Weil die Fahrt nach Mallorca wesentlich kürzer sei als die zum Festland, habe die Regierung der Balearen Unterstützung angeboten, berichtete das »Inselradio Mallorca« am Donnerstag. Balearen-Ministerpräsidentin Francina Armengol kündigte auf Twitter Hilfe und Solidarität für die Überlebende aus Kamerun und die Helfer an. »Es darf weder Gleichgültigkeit geben noch dürfen wir in die andere Richtung schauen. Lasst uns jetzt handeln!«, schrieb die Politikerin.
Proactiva geht davon aus, dass die libysche Küstenwache die drei Flüchtlinge nach einer Rettung im Meer zurückgelassen hat, weil sie sich geweigert hatten, nach Libyen zurückgebracht zu werden. Die Retter der »Astral« entdeckten die Überlebende und die beiden Leichen - eine Frau und ein Kind - inmitten der zerstörten Überreste ihres Plastikbootes.
Der spanische Basketballstar Marc Gasol, der bei der Rettungsaktion mit an Bord war, zeigte sich entsetzt. Die drei Migranten seien in einer »unmöglichen Situation« zurückgelassen worden. Die libysche Küstenwache habe »unmenschlich und kriminell« gehandelt, er selbst verspüre große Wut und Hilflosigkeit, sagte der Sportler, der für den NBA-Klub Memphis Grizzlies spielt.
Erst am Donnerstag hatte ein Schiff der libyschen Küstenwache nach offiziellen Angaben erneut ein Boot mit 156 Migranten auf dem Weg nach Europa gestoppt und die Menschen an Bord genommen. Die Migranten, darunter auch zehn Kinder, seien auf dem Mittelmeer Richtung Europa unterwegs gewesen, berichtete die Küstenwache am Donnerstag weiter. Sie stammten den Angaben zufolge aus verschiedenen Staaten südlich der Sahara. Ob die Menschen in Seenot waren und wie ihr Zustand war, wurde zunächst nicht mitgeteilt.
Salvini reicht Klage gegen Autor Saviano ein
Italiens Innenminister Salvini hat derweil den nächsten Feind ausgemacht: Nach eigenen Angaben verklagt der Anführer der rechtsradikalen Partei Lega nun den Verfasser des Anti-Mafia-Bestsellers »Gomorrha«, Roberto Saviano, wegen Verleumdung. »Ich habe Klage gegen Saviano eingereicht, wie versprochen«, erklärte Salvini Donnerstagabend im Kurzbotschaftendienst Twitter. »Ich akzeptiere jede Kritik, aber ich erlaube niemandem zu sagen, dass ich der Mafia helfe«, fügte der Minister hinzu.
Saviano, der seit der Veröffentlichung seines Buches über die Mafia im Jahr 2006 unter Polizeischutz steht, hatte den rechtsgerichteten Salvini wiederholt wegen seiner ausländerfeindlichen Politik kritisiert. Als der Innenminister im Juni ankündigte, den Polizeischutz für Saviano überprüfen zu lassen, kritisierte der Autor die »widerliche« Atmosphäre in Italien. In einem Facebook-Video bezeichnete der Autor den Innenminister zudem als »Idioten« und sagte, er sei »glücklich« darüber, »einer seiner Feinde« zu sein.
Anfang dieser Woche veröffentlichte Saviano auf Twitter ein Foto einer tot im Mittelmeer treibenden Flüchtlingsfrau und eines Kindes und fragte dazu, »wieviel Freude« dieses Bild dem Minister machen werde. »Der Hass, den du gesät hast, wird dich zu Fall bringen«, schrieb Saviano an Salvini gerichtet. Auf die angekündigte Klage reagierte der Autor gelassen. Vor Gericht müsse Salvini die Wahrheit sagen, für ihn sei das eine neue Erfahrung. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.