Merkel beklagt »schroffen Ton« im Unionsstreit

In ihrer Sommerpressekonferenz äußerte sich die Bundeskanzlerin zum Streit mit Seehofer, zum NSU, zu Seenotrettern und Trump

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Ob sie aufgrund der zurückliegenden turbulenten Wochen mal überlegt habe, zurückzutreten? »Nein, nein, nein«, wirft Bundeskanzlerin Angela Merkel entschieden den Dutzenden Großstadtjournalisten auf der traditionellen Sommerpressekonferenz am Freitag entgegen. Es sei eine interessante wie fordernde Zeit: »Deutschlands Verantwortung steigt, Deutschlands Aufgaben steigen.« Generell wolle die Kanzlerin »nicht klagen« - auch wenn sie sich nun über ein paar Urlaubstage freue.

In gewohnt sachlich-ruhiger, aber bestimmter Art stellte sich Merkel über 90 Minuten lang den Fragen der Journalisten im Regierungsviertel. Ins Kreuzverhör genommen wurde sie dabei nicht. Viele Themen blieben an der Oberfläche, mal sprach die Kanzlerin Klartext, öfter wich sie jedoch aus. Nicht jeder Journalist nahm die ihm zustehende Nachfragemöglichkeit in Anspruch, einige wiederholten sich. Hier ein Schmunzeln, da ein Lacher.

Merkel ahnte vermutlich schon, dass sich die meisten Fragen um den Streit mit Seehofer drehen würden. Sie versuchte so schon zu Beginn, auf andere Themen hinzuweisen, die unter den Tisch gefallen sind. Im Bereich Pflege, Künstliche Intelligenz und Langzeitarbeitslosigkeit habe es beispielsweise Maßnahmen der Großen Koalition gegeben. »Die Themen, die die Menschen im Alltag bewegen, sollen im Mittelpunkt stehen«, forderte Merkel. Wichtig sei ihr, dass der Wohlstand bei allen ankomme. Stolz verkündete sie, dass in dieser Legislaturperiode 40 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stünden.

Die Fragen der versammelten Journalisten drehten sich hauptsächlich um die Themen Asylstreit, Trump, NSU und Seenotrettung. Bezüglich des Konfliktes mit Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer äußerte Merkel deutliche Kritik. »Die Tonalität war oft sehr schroff«, beschwerte sich die Kanzlerin und kündete an, sich gegen »bestimmte Erosionen der Sprache« zu wehren. Streit an sich sei generell zwar gut, doch die Form der vergangenen Auseinandersetzungen bleibe »verbesserungswürdig«. Merkel bestätigte die These eines Journalisten, dass durch den Konflikt die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung gestiegen sei.

Die Kanzlerin betonte, dass ihr Ziel stets gewesen sei, die Regierung handlungsfähig zu halten - und man zum Schluss ja auch einen gemeinsamen Weg gefunden habe. Das der Kompromiss natürlich nicht nur ein Eintreten für »Europa«, sondern auch ein Zugehen auf die Abschottungsbemühungen der CSU war, wurde nicht thematisiert. Merkel bekräftigte weiter die Linie der Bundesregierung, die Staaten Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsländern zu erklären - ungeachtet der dort seit langem von Hilfsorganisationen bemängelten Menschenrechtsverletzungen.

Bei den Fragen zu den NSU-Verbrechen fand Merkel weniger klare Worte. Die Kanzlerin erklärte zwar einerseits, dass das »Kapitel NSU noch nicht abgeschlossen« sei und man die Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten noch verbessern müsse. Auch hielt sie auf Nachfrage fest, dass der »Quellenschutz im Bereich der Verhältnismäßigkeit« stehen müsse.

Andrerseits ging sie nicht auf die elementare Kritik an der Rolle der Sicherheitsbehörden ein und bezeichnete die von vielen als zu milde empfundenen NSU-Urteile als »gerechtfertigt«. Noch beim zentralen Trauerakt für die NSU-Opfer hatte die Kanzlerin 2012 »lückenlose Aufklärung« versprochen. Die Opferfamilien warten bis heute darauf.

Beim Thema Seenotrettung trat Merkel zwar vordergründig für eine humane Perspektive ein, verknüpfte diese jedoch gleichzeitig mit indirekten Anschuldigungen. Sie erklärte, dass sie die private Seenotrettung »ausdrücklich schätze« - aber nur insofern diese auch die Rechtsordnung einhalten würde. Sie verwies darauf, dass möglicherweise von den zivilgesellschaftlichen Initiativen die libyschen Territorialgewässer verletzt worden seien - und verlieh damit diesen bisher mit keinerlei relevanten Beweisen gedeckten Anschuldigungen Gewicht. Merkel stellte klar, dass sie die libysche Küstenwache weiter unterstützen wolle und im Rahmen der EU-Mission »Sophia« auch Verantwortung für diese übernehme - damit also für jene Kräfte, die wiederholt auf Seenotretter geschossen hatten, asylsuchende Menschen zurück in ein Bürgerkriegsland zwangen und laut der UN zum Teil selbst mit Menschenhändlern zusammenarbeiteten.

Ein weiteres wichtiges Thema war die Beziehung zu den USA. Trotz verbaler Angriffe des US-Präsidenten lohne es sich, »aktuelle Konflikte« zu lösen, so Merkel. Trumps Kritik an der EU nehme sie »zur Kenntnis«. Die Bedeutung der transatlantischen Beziehung sei aber zentral, auch wenn der »gewohnte Ordnungsrahmen unter Druck« stehe. Das umstrittene Zweiertreffen zwischen Trump und Putin bewertete Merkel als positiv. »Wenn gesprochen wird, dann ist das gut, gerade bei diesen Ländern.«

Nur die letzte Frage drehte sich um die notwendigen Verbesserungen für den Pflegebereich und damit um ein soziales Thema. Merkel, harte und weiche Diplomatin zugleich, sprach sich für bessere Arbeitsbedingungen aus, will vor allem aber das Ansehen des Berufs verbessern. Kostet ja auch weniger. Kommentar Seite 2

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