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Gescheiterte Doppelpässe
Hohle Marketingphrasen und Kommunikationskatastrophen – nach Özils Rücktritt entzündet sich die Kritik vor allem am DFB
»Mesut Özil hat jetzt eine Entscheidung getroffen, die zu respektieren ist.« Gewohnt nüchtern kommentierte eine Regierungssprecherin im Namen der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Ende der Nationalmannschaftskarriere des gebürtigen Gelsenkircheners. Weil Özil aber eben nicht einfach »nur« ein Schalker Jung’ ist, sondern neben der deutschen Staatsbürgerschaft auch türkische Wurzeln besitzt, ist aus seiner Demission innerhalb kürzester Zeit ein Politikum geworden, das blitzlichtartig den Stand der Debatten in vielen gesellschaftlichen Bereichen aufzeigt.
Da ist mit dem DFB zunächst ein in den letzten Jahren immer selbstgerechter gewordener Verband, dessen ehrliche und weitgehend glaubwürdige Integrationsbemühungen unter seinem Ex-Präsidenten Theo Zwanziger unter der Ägide des jetzigen Präsidenten Reinhard Grindel nur noch zur Phrase verkommen sind. »ZSMMN« lautete der selbst gewählte Slogan zur selbst gesteckten Mission Titelverteidigung in Russland. Und nicht nur im Wort, sondern auch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafften riesige Lücken.
Der Rücktritt von Weltmeister Mesut Özil aus der deutschen Fußball- Nationalmannschaft ist der vorläufige Höhepunkt einer monatelangen Debatte. Auslöser waren die Fotos von Özil und DFB-Teamkollege Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der Verlauf:
14. Mai: Bilder von Özil und Gündogan kurz vor der WM-Nominierung sorgen für Wirbel. Die Profis lassen sich in London mit dem türkischen Staatschef Erdogan ablichten. Die Fotos werden von Erdogans Partei veröffentlicht. Es hagelt Kritik.
15. Mai: Die beiden in Gelsenkirchen geborenen Spieler mit türkischen Wurzeln stehen im WM-Aufgebot von Bundestrainer Löw. Kritik gibt es weiter. DFB-Präsident Reinhard Grindel spricht von einem »Fehler« der beiden. Er mahnt aber einen maßvollen Umgang mit dem Thema an.
19. Mai: Özil und Gündogan treffen in Berlin mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammen. Zudem führen sie ein klärendes Gespräch mit der DFB-Spitze. Wie sich die beiden Fußballstars intern genau erklären, erfährt die Öffentlichkeit nicht.
2. Juni: Die Diskussion ist auch zwei Wochen nach dem Erdogan-Treffen nicht beendet. Beim Testspiel in Österreich gibt es aus dem deutschen Fanblock vereinzelt Pfiffe gegen die zwei deutschen Nationalspieler.
5. Juni: Özil schweigt weiter. Gündogan erklärt sich auf dem Medientag der Nationalmannschaft einzelnen Medien. »Wir haben aufgrund unserer türkischen Wurzeln noch einen sehr starken Bezug zur Türkei. Das heißt aber nicht, dass wir jemals behauptet hätten, Herr Steinmeier sei nicht unser Bundespräsident oder Frau Merkel nicht unsere Bundeskanzlerin«, sagt Gündogan in einem dpa-Interview. Özil und er hätten niemals »ein politisches Statement« setzen wollen.
7. Juni: Oliver Bierhoff versucht, eine Woche vor WM-Start die Debatte mit einer Basta-Ansage zu beenden. »Was hätten wir noch mehr machen sollen? Ich bin der Meinung, wir haben sehr viel gemacht - und jetzt reicht es dann auch«, so Bierhoff in Südtirol.
8. Juni: Der Wunsch geht nicht in Erfüllung. Die Pfiffe gegen Gündogan sind beim 2:1 gegen Saudi-Arabien lauter als in Österreich. »Das hat mich schon geschmerzt«, sagt Löw. Die Teamkollegen rätseln. »Wir sagen immer, das Thema ist beendet. Anscheinend ist das nicht der Fall«, stellt Sami Khedira fest.
9. Juni: Von Özil ist weiterhin nichts zu hören. Der 27-jährige Gündogan twittert trotz der Fan-Pfiffe gegen ihn: »Letztes Spiel vor der Weltmeisterschaft und immer noch dankbar, für dieses Land zu spielen.«
10. Juni: Ligapräsident Reinhard Rauball kritisiert den DFB für sein Krisenmanagement in der Causa Özil/Gündogan. »Das Thema ist in der Tat unterschätzt worden«, sagt er »Bild am Sonntag«. »Und ich glaube auch, dass man es nicht alleine mit den Maßnahmen und Erklärungen, die bisher erfolgt sind, aus der Welt schaffen kann.«
12. Juni: »Sport Bild« berichtet über ein »separates, vertrauliches Sechs-Augen-Gespräch« von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Özil und Gündogan im Trainingslager.
13. Juni: Bundestrainer Joachim Löw sagt nach der Ankunft im WM-Quartier in Watutinki, es sei nun seine Aufgabe, Özil und Gündogan in Form zu bringen. Für ihn sei »zu diesem Thema alles gesagt«.
14. Juni: Kapitän Manuel Neuer verspricht Özil und Gündogan »totale Rückendeckung« der Kollegen im Nationalteam.
15. Juni: Teammanager Bierhoff will die weitere Beschäftigung mit der Erdogan-Affäre vertagen: »Nach der WM ist ja auch Zeit.«
16. Juni: In einem »Spiegel«-Interview sagt Löw: »Diese beiden Spieler sind in Deutschland wirklich gut integriert. Das kann ich versichern.«
17. Juni: Kapitän Neuer sagt »Bild am Sonntag« zur Erdogan-Affäre: »Am Anfang hat das schon ein bisschen gestört in der Mannschaft, war sogar belastend.« Dies sei nun aber Vergangenheit. Den WM-Auftakt verliert das deutsche Team 0:1 gegen Mexiko. Özil enttäuscht, Gündogan bleibt auf der Bank.
23. Juni: Im zweiten WM-Spiel gegen Schweden muss Özil erstmals bei einem Turnier unter Coach Löw zuschauen. Gündogan wird eingewechselt, spielt schwach. Ein spätes Tor von Toni Kroos rettet den 2:1-Sieg.
27. Juni: Gegen Südkorea ist Özil wieder in der Startelf, kann das 0:2 und das erstmalige WM-Vorrundenaus eines DFB-Teams aber trotz guter Leistung nicht verhindern. Gündogan ist nur Zuschauer.
30. Juni: Özil schreibt drei Tage nach dem WM-Aus bei Twitter: »Ich werde einige Zeit brauchen, um darüber hinweg zu kommen.«
1. Juli: Gündogan versichert in den sozialen Netzwerken, es habe ihn »stolz gemacht, an meiner ersten Weltmeisterschaft für Deutschland teilnehmen zu dürfen«.
6. Juli: Oliver Bierhoff irritiert mit Aussagen in einem »Welt«-Interview: »Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalmannschaft bislang noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen. Das ist uns bei Mesut nicht gelungen. Und insofern hätte man überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet.« Später rudert Bierhoff zurück und fühlt sich missverstanden. Es sei nicht falsch gewesen, Özil mit zur WM zu nehmen.
8. Juli: DFB-Präsident Grindel fordert via »Kicker« eine öffentliche Erklärung von Özil. Dieser solle sich »auch in seinem eigenen Interesse öffentlich äußern«.
22. Juli: Özil bricht sein Schweigen. Er verteidigt in den sozialen Netzwerken seine Fotos mit Erdogan, attackiert den DFB und dessen Chef Grindel scharf und erhebt auch schwere Vorwürfe gegen deutsche Medien und einen DFB-Sponsor. »Mit schwerem Herzen und nach langer Überlegung werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen, so lange ich dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre«, schreibt Özil. dpa/nd
Grindel und der Manager des Nationalteams, Oliver Bierhoff, versuchten im Nachhinein, Özil zum Sündenbock für das Vorrundenaus zu machen, nachdem beiden die Kommunikation zu den Fotos Özils und seines ebenfalls in Gelsenkirchen geborenen Kollegen İlkay Gündoğan mit dem türkischen Präsidenten Erdogan vollständig misslungen war. Zwanziger würde nicht so weit gehen zu sagen, dass Bierhoff und Grindel Özil nun bewusst zum Sündenbock machen wollten, wird aber deutlich: »Ein wenig mehr Demut und etwas weniger Selbstherrlichkeit täte dem neuen DFB auf allen Ebenen gut.« Harscher urteilt der frühere DFB-Pressesprecher Harald Stenger in der ARD: »Ich kenne die DFB-Präsidenten seit Jahren sehr gut und kann sagen: Reinhard Grindel ist der schlechteste Präsident in den letzten 50 Jahren.«
Grindel, der von 2002 bis 2016 für die CDU im Bundestag saß, hatte mal in einer Debatte um den Doppelpass gefordert, dass sich junge Deutsche mit doppelter Staatsbürgerschaft für eine Nationalität entscheiden müssten - nicht nur das hatte ihm schon vor seiner Wahl zum Verbandschef massiv Kritik eingebracht. Schon 2004 hatte er Mulitkulturismus als »Mythos und Lüge « bezeichnet.
Da der Doppelpass nicht nur ein taktisches Mittel im Fußball, sondern immer auch Standbein in der Debatte um den Stand der Integration in Deutschland ist, verwundert es nicht, dass Özils Rücktritt auch im politischen Berlin hohe Wellen schlägt. Eine erste Rücktrittsforderungen gegen Grindel stellte Cem Özdemir in den Raum: »Grindel zerhackt unsere Integrationsgeschichte«, so der frühere Grünen-Chef. In eine ähnliche Kerbe haut Renate Künast, ebenfalls Grüne, die den Abgang des wohl gefühlvollsten Fußes der Nationalmannschaft als »Dokument des Scheiterns« des DFB bewertet. Die Türkische Gemeinde Deutschlands schloss sich dem an. »Nach Özil sollte nun die ganze Leitungsebene des DFB zurücktreten, damit ein echter Neuanfang für die deutsche Nationalmannschaft denkbar ist«, sagte der Vorsitzende Gökay Sofuoglu der »Heilbronner Stimme«.
Nicht ganz so hoch will Außenminister Heiko Maas die »Causa Özil« hängen - zumindest lässt sich in seinen Augen aus ihr kein Rückschluss ziehen: »Ich glaube (...) nicht, dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit in Deutschland«, sagte Maas. Um die Debatte wird aber auch er kaum herumkommen - denn da bleibt ja noch der vermeintliche Auslöser des Ganzen, jener Moment, als der Auslöser gedrückt wurde und Özil zusammen mit Erdogan abgelichtet wurde. An diesem Foto gibt es für Özil nach eigener Aussage (oder der seiner Anwälte und/oder Berater) nämlich nichts Kritikwürdiges, was wiederum Kritik hervorruft.
So twitterte die Linkspartei-Vorsitzende Katja Kipping am Montag: »Weiß gar nicht, worüber ich mich mehr ärgere: Über das deplatzierte Foto mit dem Despoten Erdogan oder über die rassistische Debatte, die über Özil hereingebrochen ist.« Ihr Ko-Vorsitzender Bernd Riexinger befand: »Der CDU-Rechtsaußen Grindel versucht als DFB-Chef, seine Agenda durchzudrücken. Allein schon dafür muss er zurücktreten. Kritik von Özil trifft in vielen Punkten zu. Mit Wahlkampfhilfe für Erdogan macht er es sich aber zu einfach.« Politik und Fußball - zwischen beiden Spielfeldern werden (zu) oft Doppelpässe geschlagen. Im Falle Özil und Doppelpass ist dabei eine krachende Niederlage zu konstatieren.
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