- Politik
- Widerstand der Afrokolumbianer*innen
»Wir müssen am Frieden festhalten«
Die Aktivistin Arroyo Muñoz im Interview über den Widerstand der Afrokolumbianer*innen in Kolumbien
Sie reisen als Menschenrechtlerin durch Europa, um auf die Probleme Ihrer Gemeinden aufmerksam zu machen. Was macht die Situation der Afrokolumbianer*innen in der Region Buenaventura aus?
Wir wohnen auf Grundstücken, die durch Landgewinnung aus dem Meer entstanden sind. Wir haben das Gebiet durch eine traditionelle Praktik des Aufschüttens erobert, mit Hilfe von Bauschutt oder Müll. Das Gebiet macht 60 Prozent der Insel Buenaventura aus. Unsere Vorfahren haben das Land mit ihren eigenen Händen gebaut.
Leyla Andrea Arroyo Muñoz ist Aktivistin und Sozialarbeiterin an der Universidad del Valle. Sie ist aktiv bei der Organisation Prozess der Schwarzen Gemeinden Kolumbien (PCN), wo sie sich für die Verteidigung der Menschenrechte afrokolumbianischer Gemeinden einsetzt. Muñoz hat in verschiedenen Funktionen und Organisationen zwangsumgesiedelte Familien in Buenaventura betreut. Mit Arroyo Muñoz sprach Lea Fauth.
Und ihr Land ist gefährdet?
Ja. Die Regierung handelt im Sinne der Investoren, denn sie hat vor, dieses Land zu räumen. Dafür wird der bewaffnete Konflikt vorgeschoben, oder Entwicklung. Sie sagen, dass wir in einem hochgefährlichen Gebiet leben, nur um uns von dort zu vertreiben und dort mehr Häfen bauen zu können, für die internationale Wirtschaft und internationalen Tourismus. Wir fragen: Wie kann es sein, dass die Wohnstätten von uns schwarzen Gemeinden, die wir dieses Land gewonnen haben, in einer Gefahrenzone sind, aber gleichzeitig keine Gefahr für Hotels, Infrastruktur und Häfen besteht, die sie in diesem Gebiet entwickeln wollen?
Wie äußert sich das gewaltsame Vorgehen der Politik?
Wir hatten einen Gemeindenführer, Temístocles Machado. Er widmete sein Leben der Denunzierung von Landraub. Er prangerte an, dass unsere Rechte verletzt werden, dass wir Besitzer dieser selbst erbauten Grundstücke sind, die wir durch Landgewinnung errungen haben. Er wurde am 27. Januar dieses Jahres gewaltsam ermordet.
Temísto hatte am meisten historische Kenntnisse über diesen Streit und seinen Verlauf und bewegte sich auf landesweiter Ebene, um öffentlich zu machen, was in Buenaventura passierte. Er dokumentierte alles.
Bei diesem Mord ging es nicht um ihn oder seine Familie, sondern darum, die Gemeinden zu lähmen, die er repräsentierte. Aber wichtig ist, dass wir weitermachen. Trotzdem kann man nicht leugnen, dass es Leute gab, die danach nicht mehr bei Organisationen teilgenommen haben, dass es Auswanderung gab, aufgrund dieses Mordes. Das sind Strategien, um unserer Verteidigungsorganisationen zu zerlegen. Temístocles ist nur eines von vielen Beispielen.
Warum sind afrokolumbianische Gemeinden angreifbarer als andere?
Unser Leben hängt von der Einheit mit unserem Land zusammen. Deshalb sind wir von Landraub auch besonders betroffen. Wenn wir umsiedeln, verlieren wir nicht nur die Möglichkeit, an diesem Ort zu sein; wir verlieren die Möglichkeit unserer alltäglichen kulturellen Praxis. Ich kann nicht in den Bergen fischen. Ich brauche das Meer oder den Fluss.
Die Regierung beschuldigt Menschen aus den afrokolumbianischen Gemeinden, Mitglieder von Guerillagruppen zu sein.
Das ist ein Vorwand. Ende April wurden zwei Frauen, Mutter und Tochter, von der Regierung und durch die Staatsanwaltschaft als Mitglieder der ELN-Guerilla juristisch verfolgt. In den vergangenen 30 Jahren wurden wir afrokolumbianische Gemeinden durch die Regierung immer wieder beschuldigt, Mitglieder der FARC-Guerilla zu sein. Heute gibt es keine FARC mehr. Jetzt sind wir also Mitglieder der ELN-Guerilla. Die beiden Frauen wurden verhört und sofort in Haft genommen, in einem Hochsicherheitsgefängnis, wie die größten Schwerverbrecher des Landes. Tulia, die Mutter, ist eine Frau aus der Gemeinde, die einen Teil ihres Lebens der Kinderfürsorge gewidmet hat, in Kindertagesstätten. Und im Prozess wird behauptet, sie habe die Kinder auf eine Mitgliedschaft bei der ELN vorbereiten wollen. Und im Fall von Sára, der Tochter, hieß es, dass Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden müssten, um Aktionen der ELN zu verhindern. Sára hat aber nur denunziert und öffentlich gemacht, dass auf ihrem Land Koka angebaut wurde, und wie die Dynamik des Drogenhandels das Leben in der Gemeinde zerstört hat. Das alles sind historische Strukturen.
Welche Rolle habt und hatten sie als Gemeinden in dem bewaffneten Konflikt wirklich?
In den kritischsten Momenten des bewaffneten Konflikts in Anwesenheit der FARC, war unsere Rolle als Gemeinden einerseits, dass wir umsiedeln mussten, um uns zu schützen; andererseits, Widerstand zu leisten.
Was ist unsere Rolle? Wir wollen die Umsetzung des Friedensabkommens. Denn mitten im Krieg mussten wir die Zwangsrekrutierung unserer Gemeindemitglieder miterleben, in die Reihen der Guerillas. Wir können nicht leugnen, dass es auch freiwillige Teilnahme gab. Aber in der Mehrheit war erzwungene Teilnahme.
Bietet der Friedensprozess den afro-kolumbianischen Guerilleros eine Chance auf Reintegration in ihre Gemeinden?
Wir bereiten uns darauf vor, diejenigen wieder aufzunehmen, die eigentlich Teil unserer Gemeinde sind, aber die es irgendwann nicht mehr waren. Und wir brauchen einen langen Prozess des Verständnisses, der neuen Auslegungen: dass diejenigen, die dort sind und jetzt wieder zurückkommen, keine Fremden sind, sie sind Teil unserer Gemeinden. Es ist einfach zu sagen, aber schwer umzusetzen. Das ist eine Herausforderung bei der Schaffung von Frieden. Wir bereiten uns darauf vor, sie wieder aufzunehmen, damit sie als unsere Brüder und als Teil der Gemeinde von Neuem eine Beziehung zum Zivilleben aufbauen können, damit sie nicht etwas Abgesondertes von uns sind.
Was bedeutet der Wahlausgang für Sie? Vom neuen Präsidenten Iván Duque aus dem rechten Lager um Ex-Präsident Álvaro Uribe ist zu erwarten, dass Teile des Friedensabkommens rückgängig gemacht werden.
Unsere Positionen sind weiterhin die, die unsere Vorfahren uns gelehrt haben. Um weiterhin Widerstand zu leisten und zu überleben, müssen wir daran festhalten, in unseren Gebieten, die wir seit unseren Ahnen bewohnen und die uns gehören, Frieden zu schaffen. In diesem Sinne ist es egal, welcher Kandidat die Präsidentschaft der kolumbianischen Republik antritt - unsere Rolle besteht darin, weiterhin zum Frieden beizutragen, indem wir aktiv an der Entwicklung von Abkommen teilnehmen und Protagonisten sind.
Dazu kommt aber, dass wir weiterhin auf unserem Land ausharren müssen, denn selbst wenn wir im Friedensprozess aktiv an den Abkommen zwischen FARC und Regierung mitwirken, gibt es weitere Kriegsdynamiken in unseren Gebieten und andere Konfliktsituationen, Gewalt, wie eben wirtschaftliche Megaprojekte an den Häfen, oder der Abbau von natürlichen Ressourcen.
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