Unbeugsam im Ruhestand
Die Regierungspartei PiS setzt die Justizreform weiterhin unbeeindruckt fort
Als die Präsidentin des Obersten Gerichts in Polen, Małgorzata Gersdorf, kurz vor der Sommerpause den wichtigsten Justizstandort in Deutschland besuchte, bestand über ihren beruflichen Status noch Uneinigkeit. Im Büro des Karlsruher Oberbürgermeisters Frank Mentrup waren zuvor zwei Schreiben eingegangen, die nicht sonderlich zur Lösung des Rätsels beitrugen. In dem Brief vom polnischen Botschafter ist Gersdorf bereits als Gerichtspräsidentin »außer Dienst« vorgestellt worden. In der Mitteilung vom Auswärtigen Amt stand hingegen, die 65-Jährige habe noch kein Kündigungsschreiben erhalten.
Seit Mittwoch scheint das Thema nun endgültig geklärt zu sein. Nachdem der polnische Senat einer Gesetzesnovelle zugestimmt hat, welche die Zwangspensionierung zahlreicher Mitglieder des Obersten Gerichts vorsieht, ist die unbeugsame Gersdorf faktisch nicht mehr im Amt. Einen Verlängerungsantrag beim Staatspräsidenten Andrzej Duda hatte sie vorher ohnedies abgelehnt, weil dieses Prozedere Teil des neuen Gesetzes sei, das gegen die Verfassung verstoße. Nach den Entscheidungen des von der PiS dominierten Senats kann ihr Posten nun gar noch schneller als vorgesehen nachbesetzt werden. Der Vorsitzende des Obersten Gerichts kann hiernach schon von zwei Dritteln der Richter gewählt werden. Bisher mussten dafür fast alle Richterämter besetzt sein. »Wir sind Zeugen eines schleichenden Staatsstreichs«, sorgt sich der PO-Senator Bogdan Klich.
Indes ist Gersdorf nach der Einschätzung des Justizministeriums bereits seit Anfang Juli nicht mehr im Amt. Und dennoch erschien die Gerichtspräsidentin am 4. Juli zur Arbeit - mit großem Medienaufgebot, das der wenig später nach Warschau angereisten Solidarność-Legende Lech Wałęsa nicht vergönnt war. Gersdorf kämpft mit Paragrafen, sucht aber zweifelsfrei auch die politische Bühne. Die 65-jährige Juraprofessorin hatte sich zuvor an vielen Protestaktionen gegen die PiS beteiligt. Regierungsnahe Medien werfen ihr daher vor, sie sei diejenige, die die Judikative für politische Zwecke missbrauche. Außerdem sei sie in ihrer Haltung nicht konsequent: »Zunächst behauptet Gersdorf, die Justiz stünde vor dem Abgrund, um dann einige Urlaubstage am See zu verbringen. In einem Land, dass offenbar einer ›Diktatur‹ zum Opfer fällt«, ironisierte der Journalist Paweł Lisicki. Nach eigenem Bekunden sucht Gersdorf mit solchen medienwirksamen Auftritten die Öffentlichkeit, um zu ihren Landsleuten durchzudringen. In Karlsruhe trat sie im Rahmen einer Veranstaltung auf, die an den Widerstandskämpfer Reinhold Frank erinnerte. Die Präsidentin Bettina Limperg zeigte sich dort angesichts der Situation in Polen besorgt. »Wir sind hilflos und schauen einer Dynamik zu, die atemberaubend ist«, so die deutsche Gerichtspräsidentin.
Brüssel will gegen den Reformdrang der PiS am Europäischen Gerichtshof vorgehen, zumal solche Klagen erfolgsversprechender sind als langwierige Verfahren in einer ungeölten bürokratischen EU-Maschinerie. Mit der EU-Kommission liegt Warschau seit mehr als zwei Jahren im Streit. Wegen der Justizreform hatte die Kommission im Dezember 2017 ein Verfahren nach Artikel 7 eingeleitet. Weitere Urteile des EuGH können ein europaweites Gegengewicht zu Warschau begünstigen. Das Organ in Luxemburg entschied am Mittwoch über eine Vorlage des irischen High Courts, nach der drei polnische Drogenkriminelle sich gegen ihre Auslieferung sträuben, weil sie in Polen unfaire Prozesse fürchten. Laut Urteil müssen Behörden anderer EU-Länder Europäische Haftbefehle aus Polen wegen der Justizreform künftig nicht mehr vollstrecken, wobei die Hürden dafür hoch sind.
Die polnische Regierung weist unterdessen jegliche Kritik von sich. Anfang Juli bekräftigte Polens Premier Mateusz Morawiecki im EU-Parlament die Justizreform und verwies erneut auf das Beispiel Deutschland, das nach der Wende einen ähnlichen Umbau der Gerichtsbarkeit vorangetrieben habe. Auch die Misstöne aus Karlsruhe hatte der polnische Regierungschef verurteilt. Doch muss man hinzufügen, dass Gersdorf ungewollt die Narrative der PiS mit neuem Treibstoff versorgte. Als ihre Urlaubsvertretung hatte sie den Richter Józef Iwulski auserkoren, der nach der Verhängung des Kriegsrechts 1981 offenbar ungünstige Urteile gegen Oppositionelle fällte. Gersdorf konnte die Situation nicht mehr retten, zumal die nationalkonservativen Medien während ihres Urlaubs die ungünstigen Auszüge aus der Biografie Iwulskis nahezu täglich ausgeschlachtet haben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.