Um 15.43 Uhr brach das Inferno los
Rheinland-Pfalz: Ludwigshafen gedenkt der BASF-Katastrophe vor 70 Jahren - damals starben 207 Menschen, 3818 wurden verletzt
Es sind Szenen, wie sie in einem Katastrophenfilm vorkommen - aber es geschieht nicht in Hollywood, sondern in Ludwigshafen am Rhein. Erst eine einzelne Explosion, dann eine ganze Kette von Detonationen. Die Druckwelle lässt Werkshallen wie Kartenhäuser einstürzen, in nahen Ortschaften fliegen Scheunentore aus den Angeln. Während Helfer in den Trümmern nach Überlebenden suchen, steht über der größten Stadt der Pfalz ein 150 Meter hoher Rauchpilz.
Es war einer der schwersten Chemieunfälle in der deutschen Geschichte, die Behörden zählten am Ende insgesamt 207 Tote und 3818 Verletzte. Am 28. Juli jährt sich das Unglück in der Badischen Anilin- und Sodafabrik (BASF) zum 70. Mal. Am Jahrestag gedenken Stadt und Unternehmen mit einer Kranzniederlegung der Opfer der Tragödie.
Einer, der Glück hatte und überlebte, ist Helmut Leger. »Ich habe maßlos Angst gehabt«, sagt der Ludwigshafener später. Der damalige Starkstrommonteur-Lehrling beugte sich an jenem schicksalhaften Mittwoch im Jahr 1948 gerade über ein Steuerpult, als um 15.43 Uhr in 70 Metern Entfernung ein Kesselwagen explodierte. Die einstürzende Hallendecke zerquetschte sein Bein »wie einen Pfannkuchen«. Ein US-Soldat befreite den 17-Jährigen mit einem Schneidbrenner aus dem Stabgeflecht. Noch in der Nacht wurde das linke Bein des Hobbyfußballers oberhalb des Knies amputiert. »Es war eine sehr schwere Zeit«, sagt Leger.
Der Horror brach kurz vor Schichtwechsel herein. Auslöser war ein mit 30 Tonnen Dimethylether - einem leicht entzündlichen Flüssiggas - beladener Kesselwagen. Später kam eine Expertenkommission zur Annahme, die Kapazität des Waggons sei möglicherweise falsch berechnet worden. Zudem wird eine Schwachstelle an einer Schweißnaht vermutet.
Die explosive Fracht aus Bitterfeld in Sachsen-Anhalt war für die Farbenproduktion gedacht. Seit frühmorgens stand sie in der Sonne. Bei Temperaturen von über 30 Grad dehnte sich das Gas im Inneren aus - bis eine Naht platzte. Als der Inhalt sich mit Luft mischte, kam es zur Explosion. Dabei trat das übrige Gas aus, das mit immenser Wucht verbrannte. Im Umkreis von 500 Metern wurden alle Bauten auf dem Firmengelände beschädigt, 20 Gebäude völlig zerstört. Sogar im jenseits des Rheins gelegenen Mannheim wurden 2450 Häuser beschädigt.
Der damals 13 Jahre alte Gerhard Dörr wohnt in der Nähe des Ludwigshafener Werks. Zuerst habe er ein seltsames Geräusch gehört, erinnert er sich später. »Dann gab es einen großen Knall.« Im Haus seien nur die Scheiben aus den Fenstern geflogen. »Wir hatten Glück«, sagt der Pensionär. Im Werk bot sich den rund 1000 Feuerwehrleuten und mithelfenden französischen und amerikanischen Besatzungssoldaten ein grausiges Bild. In Halle B 210 war zum Zeitpunkt der Explosion Schichtwechsel. Hunderte Arbeiter gaben ihre Werkzeuge ab oder gingen duschen, als die Stahlwand des Waggons zerriss. In der Werkzeugabgabe der völlig zerstörten Halle gab es keine Überlebenden. Am Unglücksort spielten sich grauenvolle Szenen ab. Während bangende Angehörige vor den Werkstoren auf ein Lebenszeichen ihrer Männer, Söhne und Väter warteten, trugen Rettungskräfte immer mehr Leichen ins Freie.
Bis die materiellen Schäden beseitigt waren, verging den Aufzeichnungen zufolge ein Jahr. Die Kosten wurden allein beim Chemieunternehmen auf 80 Millionen Mark beziffert. Eine Kommission stellte kein Verschulden der Werksleitung fest.
27 Jahre zuvor - am 21. September 1921 - waren bei der Explosion eines Stickstoffsilos bei BASF in Ludwigshafen-Oppau 561 Menschen getötet und etwa 2000 verletzt worden. In leidvoller Erinnerung ist auch das Unglück am 17. Oktober 2016. Damals kamen im Landeshafen Nord des Konzerns vier Männer der Werksfeuerwehr und ein Matrose ums Leben, 28 Menschen erlitten Verletzungen. Ermittler gehen davon aus, dass ein Mitarbeiter einer Fremdfirma die schwere Explosion auslöste, als er eine Rohrleitung anschnitt.
Am 2. August vor 70 Jahren fanden die Trauerfeiern statt. Die Toten wurden unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und der damaligen französischen Besatzungsmacht unter anderem auf einem Ehrenfeld des Hauptfriedhofs in Ludwigshafen bestattet. dpa/nd
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