Zu Unrecht stigmatisiert

Nach wochenlangen Razzien protestieren Restaurantinhaber und -mitarbeiter in Londons Chinatown

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Londoner und die Besucher der Hauptstadt Großbritanniens kennen sie gut: Die belebten Straßen im Londoner Theaterviertel, wo man noch zu erschwinglichen Preisen ein leckeres Essen bekommt. Chinatown gehört zu den Wahrzeichen der internationalen Metropole - ihre Bewohner pflegen in ihrer großen Mehrheit ein arbeitsames, unauffälliges Leben. Seit den 50er Jahren sorgen die zumeist aus der damaligen britischen Kolonie Hongkong stammenden kantonesischen Köche und ihre Mitarbeiter in der Quadratmeile um die Gerrard Street fürs leibliche Wohl. Doch am Dienstag streikten mehr als hundert Restaurants im Kiez sowie in anderen Landesteilen Englands und ein Protestmarsch zog drei Kilometer weit zum Innenministerium in Westminster - und das nicht, um dessen Konservativen Chef Sajid Javid Chop Suey zu servieren.

Anlass für die Demonstrationen waren anhaltende Razzien der Metropolitan Police gegen angeblich illegal im Lande arbeitende Ausländer. Was Theresa May als knallharte Innenministerin 2013 mit »Geht nach Hause!«-Transportern in Vierteln, in denen Diaspora-Communties ansässig sind, angefangen hat, wird angesichts der erfolgreichen Brexit-Kampagne fortgesetzt: der alltägliche Rassismus. Kein Wunder also, dass Anfang des Monats eine grauhaarige, nach einigen Berichten taubstumme Frau sich vor einem Polizeiauto, in dem sich ein verhafteter Verwandter von ihr befand, auf die Straße legte und anschließend weggeschleppt werden musste. Das war der Kulminationspunkt mehrerer derartiger Razzien, der das Fass zum Űberlaufen brachte. Schon am 5. Juli bekamen das Restaurant »Joy Luck« sowie andere Geschäfte Polizeibesuch - Angestellte wurden in Handschellen abgeführt.

»Baut Brücken, keine Brexit-Mauer!« hieß es auf den Plakaten der Demonstranten. Die Protestler, sicher zum Teil Geschäftsleute und konservative Stammwähler, verlangten keine Revolution, sondern etwas Näherliegendes, wie es der Besitzer des »New China«-Restaurants gegenüber CNN auf den Punkt brachte: »Die Polizisten haben unsere Straße drei Stunden lang gesperrt, wir konnten nicht arbeiten. Was blieb uns übrig als der Protestzug?« Kurz: Die gesetzestreue chinesischstämmigen Briten fühlen sich zu Unrecht stigmatisiert. »Wir sind nicht gegen solche Kontrollen«, meinte Chinatown-Sprecher Joseph Wu. »Aber diese wahllosen großangelegten Razzien, oft ohne Haftbefehle und mit brachialen Methoden, gehen zu weit. Dadurch bekommen die Menschen hier das Gefühl, wir Chinesen seien eine einzige Verbrecherbande.« Das Innenministerium behauptete ohne eine Spur von Selbstkritik, es handele sich um nicht um Kontrollen aufs Geratewohl, sondern um Razzien im Rahmen legaler Inspektionsrechte der Polizei.

Unterschwellig mag der durch die Brexit-Kampagne stimulierte Ausländerhass durchaus eine entscheidende Rolle spielen: Die Austrittsbefürworter ermutigten vor zwei Jahren mit irreführenden Fotos und Warnungen vor angeblich 76 Millionen kurz vor dem EU-Beitritt stehenden Türken Ressentiments gegen Migranten - und versprachen gleichzeitig chinesischen und indischen Gewerbetreibenden nach einem Migrationsstopp für EU-Ausländer würde es für sie leichter werden, fachlich geschultes Restaurantpersonal aus der früheren Heimat zu rekrutieren. Kein Wort stimmte - für Rassisten sind alle Migrationsgruppen unerwünscht, aber Lügen können trotzdem politisch wirksam sein. Das migrantenfeindliche Klima, das vom Innenministerium und von konservativen Zeitungen wie der »Daily Mail« geschürt wurde, trug wohl auch zu den polizeilichen Űbergriffen in Chinatown bei. Doch nicht nur Razzien und Personalmangel, sondern auch die hohen Mieten in der Londoner Stadtmitte machen vielen Restaurantbesitzern das Leben schwer. Die Proteste vom Dienstag werden nicht die letzten ihrer Art sein.

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