Die Botschaft von Lourdes
Auf den letzten Kilometern der Tour wollen sich viele Fahrer noch mal zeigen - und vor allem in Paris ankommen
Der letzte Akt des Bergspektakels der Tour de France begann spirituell. Das Startvillage der Tour de France war direkt auf dem Rasen vor der Kathedrale der Heiligen Bernadette aufgebaut. Einige Fahrer, darunter auch Andrey Amador, einer der Ausreißer des Tages, hatten sich und auch ihr Rad mit dem Wasser aus der besonderen Quelle benetzt. »Ich hoffe, es hilft«, meinte der Costa Ricaner lachend zu »nd«.
Gläubige selbst nahmen an der Vermischung der beiden Massenspektakel - Tour de France und Hoffnung auf wundersame Heilung - keinen Anstoß. »Es ist doch schön, so wird die Botschaft von Lourdes über das Fernsehen weiter verbreitet«, meinte Schwester Anna Maria aus Süditalien. »Die Fahrer stehen jetzt unter dem Schutz der Heiligen Jungfrau«, meinte gar Pater Henri aus Versailles.
Bei Team Sky, Wahlspruch »marginal gains«, also Ausnutzung auch sekundärer Aspekte, verzichtete man allerdings auf solcherlei Beistand. »Nein, wir haben die Flaschen nicht mit dem heiligen Wasser gefüllt und sind auch nicht in die Grotte gegangen«, meinte Nicolas Portal, sportlicher Leiter bei den Briten, zu »nd«. Auch bei Sunweb und LottoNL Jumbo, den härtesten Rivalen für das Podium in Paris, verzichtete man auf solch höheren Beistand. »Ich bin nicht gläubig«, meinte der Berliner Simon Geschke, Helfer vom Niederländer Tom Dumoulin. Bei LottoNL Jumbo, Team des Angreifers Primoz Roglic, hieß es: »Wir sind gerade erst hier angekommen, keine Zeit dafür.« Für die Gesamtwertung waren es also allein die Beine, die entscheiden. Dem Tourmalet und dem Col d'Aubisque, zwei klassischen Bergen der Tour de France, war die Aufgabe des Scharfrichters überlassen.
Schon weit vor den schweren Anstiegen begann allerdings der Kampf des Peter Sagan. Der Weltmeister und rechnerisch schon sichere Sieger der Punktewertung - vorausgesetzt, er erreicht am Sonntag auch den Zielstrich in Paris - war vor drei Tagen gestürzt. »Es sind nur Schürfwunden und Prellungen, aber es beeinträchtigt doch«, schätzte Bora-Manager Ralph Denk die Situation ein. Und der angeschlagene Slowake fiel schnell zurück. Minute um Minute vergrößerte sich sein Rückstand. Es war wie ein Déjà-vu aus den Alpen, nur dass dort die schwereren Sprinter wie Marcel Kittel und André Greipel gezwungen waren, das Handtuch zu werfen. Sagan immerhin konnte sich über aufmerksame Helfer freuen. »Wir haben so viel für das Grüne Trikot getan. Jetzt wollen wir es auch bis Paris bringen«, bekräftigte Denk gegenüber »nd«.
Vorn war eine Ausreißergruppe bestückt mit zahlreichen Verlierern dieser Tour, die ihre letzte Chance nutzen wollten: Adam Yates, Bob Jungels und Warren Barguil, die allesamt früh aus der Gesamtwertung gefallen waren. Mit dabei waren mit Tanel Kangert und Gorka Izagirre auch Fahrer, deren Kapitäne entweder schon ausgestiegen waren wie Vincenzo Nibali im Falle des Basken Izagirre oder abgeschlagen wie Astana-Chef Jakob Fuglsang.
Zu den Verzweifelten gesellte sich als einzige Erfolgsgestalt dieser Tour Bergkönig Julian Alaphilippe. Der Franzose, eigentlich ein Puncheur, dem im Hochgebirge die Luft ausgehen sollte, präsentierte sich wie jeden Tag überraschend kletterstark.
Unerschütterlich stark wirkte auch Sky. Fällt der eine aus, wie in diesem Falle Titelverteidiger Chris Froome, springt der andere in die Bresche. Geraint Thomas ist der neue Stern am britischen Radfahrerhimmel. Er ist nicht ganz so stark wie sein britischer Landsmann Froome, der den Anstrengungen des Giro d’Italia bei dieser Tour sichtlich Tribut zollen musste. Aber er ist stark genug, die Arbeit von Sky zu vollenden. »Er hat sich Jahr für Jahr entwickelt. Er hatte sicherlich Pech, weil er oft gestürzt ist. Das hat ihn in seiner Karriere zurückgeworfen. Wenn er jetzt von Stürzen verschont bleibt, kann er den nächsten Schritt machen«, meinte Rolf Aldag, Ex-Profi und Performance Manager bei Team Dimension Data, zu ND. Aldag schränkt die Substanz des Mannes in Gelb aber auch ein: »Würde Geraint Thomas in der Form, die er jetzt hat, auch vorn sein, wenn er in einem anderen Team sein würde und gegen Sky fahren müsste? Ich glaube, nicht.«
Beim Einzelzeitfahren an diesem Sonnabend ist Thomas als gleichauf mit den anderen Konkurrenten einzuschätzen. Die sind zwar, im Gegensatz zum Briten, alle schon mit Medaillen in dieser Disziplin dekoriert: Dumoulin gewann die letzte Zeitfahr-WM, Roglic wurde Zweiter, Froome Dritter. Aber zwischen diesem dominierenden Quartett sind maximale Differenzen von 30 Sekunden zu erwarten.
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