Proteste gegen Anhebung des Renteneintrittsalters

Zehntausende demonstrieren in ganz Russland nach Aufruf der Kommunistischen Partei

  • Lesedauer: 3 Min.

Moskau. In Russland haben am Samstag landesweit zehntausende Menschen gegen die geplante Anhebung des Rentenalters demonstriert. Außer in der Hauptstadt Moskau und Russlands zweitgrößter Stadt St. Petersburg fanden am Samstag in dutzenden weiteren Orten Kundgebungen statt, zu denen die Kommunistische Partei aufgerufen hatte. Die Partei von Staatschef Wladimir Putin will das Renteneintrittsalter bei Frauen schrittweise von 55 auf 63 Jahre anheben und bei Männern von 60 auf 65 Jahre.

»Wir wollen von unseren Renten leben und nicht bei der Arbeit sterben«, stand auf einem der Banner der Demonstranten in Moskau. Die Kritik bezieht sich auf die vergleichsweise niedrige Lebenserwartung in Russland: Eine Anhebung des Rentenalters würde dazu führen, dass vor allem Männer kaum mehr den Renteneintritt erleben - sie werden im Durchschnitt nur 65 Jahre alt.

Nach Angaben der Organisatoren beteiligten sich an dem Protestmarsch in Moskau 100.000 Menschen. »Zehntausende haben sich hier versammelt, um Nein zu dieser Rentenreform zu sagen«, sagte der Chef der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, vor den Demonstranten. Reporter vor Ort gingen allerdings nur von etwa 10.000 Teilnehmern in der russischen Hauptstadt aus.

Im sibirischen Nowosibirsk demonstrierten 1200 Menschen, wie die russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf die Stadtverwaltung berichtete. In St. Petersburg waren es etwa tausend Teilnehmer. Auch in anderen Städten im Westen und im fernen Osten Russlands gab es Kundgebungen.

Außerdem unterzeichneten bereits 2,9 Millionen Menschen eine Petition gegen die Rentenreform. Vor seiner Wiederwahl im März hatte Präsident Putin zugesagt, das Renteneintrittsalter nicht anzuheben. Nun wird auf Betreiben seiner Partei Geeintes Russland im Parlament aber schon über die Reform debattiert. Putins Beliebtheitswerte sanken von 80 Prozent im Mai auf 64 Prozent im Juli.

Derzeit müssen Frauen bis zum 55. Lebensjahr arbeiten, Männer bis zum 60. Das Renteneintrittsalter war bereits 1932 festgesetzt worden, es ist eines der niedrigsten weltweit. Experten halten das am ersten Tag der Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land verkündete Reformvorhaben angesichts des sinkenden Lebensstandards in Russland für eine der größten Herausforderungen für Präsident Putin.

Der Kreml-Chef hatte vergangene Woche gesagt, dass er das Renteneintrittsalter nicht gerne anhebe. Nichts zu tun, sei aber keine Option. Es seien »ein paar wichtige Entscheidungen« nötig, sagte Putin.

»Viele haben Putin geglaubt, als er sagte, dass es keine Rentenreform geben werde«, sagte die Demonstrantin Irina Iwanowa in St. Petersburg. »Ich bin sehr enttäuscht von ihm«, fügte die 49-Jährige hinzu.

Die 59-jährige Demonstrantin Galina Nikiforowa hob hervor, dass ältere Frauen in Russland kaum eine Chance auf eine Anstellung hätten. »Sie stellen keinen über 50 ein«, sagte sie.

Kritik kam auch von Oppositionsführer Alexej Nawalny. »Wir verstehen das alle genau: Das einzige wirkliche Ziel dieser 'Reform' ist es, die Öffentlichkeit zu bestehlen«, schrieb er in seinem Blog. AFP/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.