Nackte Nazis

  • Volker Surmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Wochenende war ich schwimmen. Der Flughafensee war mal wieder durch Kolibakterien verseucht, daher wichen wir nach Nordosten aus zum Arkenberger See an der nördlichen Stadtgrenze Berlins. Ich bin hier nicht so gern. Dabei scheint die Sonne auch hier, das Wasser ist kühl und unbelastet, eigentlich könnte alles schick sein. Belastet ist jedoch das Ufer - durch Gespräche. Ich weiß nicht wieso, aber an jeder Berliner Badestelle, die ich jemals besucht habe, gibt es immer Menschen, die die ganze Umgebung mitunterhalten müssen. Ein Drang, als hätten sie sich Sprachkolibakterien eingefangen, die akuten Sprechdurchfall auslösten. Und der ist in Arkenberge immer besonders schlimm.

Auf den Liegestühlen nebenan diskutieren drei nackte Herren lautstark über Handwerk, arrogante Chefs und gute Aufträge. Und wie sie so über schlechte Arbeitsbedingungen, unfaire Pausenregelungen und alte Stasi-Kader in Bauunternehmen schimpfen, werde ich fast nostalgisch: Ach, es gibt sie doch noch: linke Arbeitnehmer, gewerkschaftsnah und engagiert! Der Nordosten Berlins, das war ja mal linkes Heartland, und hier sind sie: die letzten Linken von Französisch-Buchholz.

Inzwischen ist das hier ja AfD-Land. Bei den Abgeordnetenhauswahlen holte die Partei hier ein Direktmandat. Die Umgebung des Imbisswagens am Strand war vor der Bundestagswahl mit AfD-Plakaten zugepflastert. Im Stimmbezirk Birnbaumring, direkt an den See angrenzend, erreichte die Partei 37 Prozent.

Politische Diskussionen sind hier an der Tagesordnung, auch am Nacktbadestrand. Dort wohl sogar noch mehr, weil keine Kinder anwesend sind, derentwegen man seine Wortwahl zügeln müsste.

»Mongo«, mit diesem Begriff belegt der eine Mann nebenan seinen unfähigen Juniorchef fortwährend. Mein Zweifel an der linken Gesinnung der drei wächst. Wohl doch eher National statt Sozialismus: »Alles investieren sie in die Kanaken, aber die Schulen verfallen!«, schimpft nun der Wortführer. Die Kanaken müssten endlich abgeschoben werden. 500 seien ja unauffindbar: »Da solltense mal die Gestapo ranlassen, die würd’ die aber ganz schnell finden!« Der Seehofer-Merkel-Streit, das sei doch nur ein inszeniertes Schauspiel gewesen, Neuwahlen hätt’s geben sollen! »Da wär’ Alexander Gauland aber jetzt Kanzler, und der würd’ aufräumen, zusammen mit dem Basti aus Österreich.«

Mich packt Würgereiz. Verdammt, ich bin umgeben von nackten Nazis. Es ist so widersinnig! Wo, wenn nicht am FKK-Strand, sieht man besser, dass alle Menschen gleich sind? Keine Kleidung, keine Statussymbole, nur Haut in unterschiedlicher Faltung, da und dort baumeln Geschlechtsorgane herum, alle Menschen sehen so aus, überall. Ich bin so naiv. FKK und AfD eint wohl mehr als bloß ein F.

Der Arkenberger See ist umgekippt. Jedenfalls für mich. Vielleicht sollte das Umweltamt auch hier eine Gewässerwarnung ausgeben: »Das Seeufer ist kontaminiert mit Nazis und braunem Gedankengut.« Oder jemand sollte Kolibakterien aussetzen. Wo so viel Scheiße in den Köpfen steckt, kann Durchfall nur heilsam sein.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: Montagmorgen
- Anzeige -
- Anzeige -