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  • Kriminalität in Großstädten

Kriminelle Clans, die neue Gefahr?

Anmerkungen zu scheinbaren Entwicklungen in der Organisierten Kriminalität

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Über Jahre hielt die Berliner Polizei die Liste der »kriminalitätsbelasteten Orte« (kbO) geheim - vor allem aus taktischen Gründen. Bis der rot-rot-grüne Senat beschloss, diese Liste bekanntzugeben. Unlängst wurde also rund ein Dutzend Orte bekannt, an denen besonders viele und schwere Verbrechen wie Raub, Brandstiftungen, Drogenhandel, gefährliche Körperverletzungen, gewerblicher oder bandenmäßiger Taschendiebstahl begangen werden.

Beispiel Berlin-Kreuzberg. Der Stadtteil hat einen besonders zwiespältigen Ruf. Die einen halten ihn für »hipp«, andere für eine No-go-Area. Und dann gibt es noch die, die dort wohnen. Sie haben sich längst daran gewöhnt, dass hier vieles nach eigenen Gesetzen läuft und manches nur deshalb funktioniert.

Jeder, der ein wenig mehr als nur die Regionalnachrichten verfolgt, weiß, dass die Polizei - trotz massivem Einsatz uniformierter und ziviler Kräfte an diesen kbO - nur einen Zipfel jener kriminellen Energie packen kann, die in Berlin verborgen ist. Mitte vergangenen Monats jedoch meldeten die Berliner Sicherheitsbehörden einen besonderen Schlag. Getroffen wurde eine sogenannte Großfamilie. Sie stammt ursprünglich aus Libanon. Mitglieder des Clans sollen unter anderem eine Sparkasse in Mariendorf überfallen und die noch immer verschwundene 100 Kilogramm schwere Goldmünze aus dem Bode-Museum geraubt haben. Auf Grundlage einer erst 2017 reformierten strafrechtlichen Vermögensabschöpfung konnten Polizei und Staatsanwaltschaft 77 Immobilien im Wert von knapp zehn Millionen Euro beschlagnahmen. Ob es dabei bleibt, wird sich vermutlich erst nach langwierigen juristischen Auseinandersetzungen zeigen.

Dennoch, der Stolz von Polizei und Staatsanwaltschaft ist im Grunde verständlich. Lange herrschte Frustration in den Sicherheitsbehörden, weil »der Staat« nur schwer gegen solche Clans ermitteln kann. Traditionelle Werkzeuge wie verdeckte Ermittler oder Kronzeugen helfen im Clan-Milieu kaum.

Nun ist zumindest medial ein neuer Schwerpunkt aufgetan: Die Clan-Kriminalität, die vorwiegend aus arabischen Ländern nach Deutschland schwappen soll. Das ARD-Politikmagazins »Kontraste« berichtete dieser Tage, dass Expertengremien von Polizei und Kriminalämtern in Bund und Ländern derzeit an einer bundesweit besseren Erfassung von Straftaten polizeibekannter Großfamilien arbeiten. Anders als bei Drogendelikten oder Wirtschaftskriminalität gebe es zu Straftaten von Clan-Mitgliedern noch keine polizeilichen Lagebilder.

Das soll sich bis zum Herbst ändern. Doch der Eindruck, man wende sich einem völlig neuen Phänomen der Organisierten Kriminalität zu, ist falsch. Im Abstand einiger Jahre kommt es - siehe Bremen oder Essen - immer wieder zu verstärkter Berichterstattung über sogenannte Clans. Die recht oberflächlich bleibt.

Laut des am Mittwoch vom Bundeskriminalamtes vorgestellten OK-Lagebildes verschieben sich jedoch in der Tat Schwerpunkte. 2013 waren noch 40 Prozent der Tatverdächtigen Deutsche. 2017 lag der Wert bei 30 Prozent. Transnationalität ist seit jeher ein Merkmal der Organisierten Kriminalität. Rund 80 Prozent der im vergangenen Jahr geführten 572 sogenannten OK-Verfahren weisen internationale Bezüge auf. 27,1 Prozent rechnet man dabei »homogenen Täterstrukturen« zu, das heißt, die Verdächtige gehören derselben Staatsangehörigkeit und damit je nach Herkunft oft auch weitläufigen Familien an. Ein Jahr zuvor lag die Quote noch bei 24,7 Prozent.

Wichtigstes Betätigungsfeld für organisierte internationale Banden bleibt das Drogengeschäft, das rund ein Drittel aller Fälle ausmacht. An zweiter Stelle folgt mit rund 16 Prozent die sogenannte Eigentumskriminalität. Schwerpunkt sind hier Autodiebstähle, die vorwiegend von osteuropäischen Banden begangen werden. Die registrierten Fälle der Wirtschaftskriminalität liegen bei elf, die von Zoll- und Steuervergehen bei gut acht Prozent.

Mit fast neun Prozent rechnete BKA-Chef Holger Münch die Fälle sogenannter Schleuserkriminalität ab. Die absoluten Zahlen mäßigen Sorgen: Es gab 2017 genau 51 Verfahren auf diesem Gebiet. Dabei kommen die meisten mutmaßlichen Täter aus Deutschland, Syrien und Nigeria. Aus polizeilicher Sicht steht hinter solchen Verfahren ein weitergehender Aspekt. Das BKA will verhindern, dass sich durch den starken Zuzug von Flüchtlingen ähnliche kriminelle Strukturen ausbilden wie in den 1980er Jahren, als Zehntausende Menschen vor dem Bürgerkrieg in Libanon nach Europa fliehen mussten. Dass die deutschen Behörden daraus nichts gelernt hatten, zeigte sich in den 90er Jahren. Damals kamen Flüchtlinge vor allem aus Osteuropa. Viele gerieten in kriminelle Strukturen.

Generell gibt es - laut BKA-Statistik - keinen Grund für Alarmstimmung. Die Anzahl der Verdächtigen nimmt seit Jahren ab, zuletzt lag sie bei rund 8300. Der von dieser Kriminalitätsform verursachte und polizeilich erfasste finanzielle Schaden spricht gleichfalls nicht für eine neue Gefahr. Er lag 2017 bei rund 209 Millionen Euro und damit deutlich niedriger als in den vier Vorjahren.

Der BKA-Präsident warnt dennoch, das Bedrohungs- und Schadenspotenzial, das von Organisierter Kriminalität ausgeht, bleibe unverändert hoch. Denn natürlich ist Holger Münch Fachmann genug, um sehr genau zu wissen, dass Berthold Brecht recht hatte, als er in seiner »Dreigroschoper« singen ließ:

»Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht und man siehet die im Lichte die im Dunkeln sieht man nicht.«

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