• Politik
  • 50 Jahre Ende des Vietnam-Kriegs

Vietnam: Kriegsgedenken als diplomatischer Drahtseilakt

Der Jahrestag des Sieges in Saigon wird mit Staatsakt und Militärparade gefeiert. Aber die USA will man nicht verprellen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch 50 Jahre nach Kriegsende leiden noch viele Menschen an den Folgen, so auch der 56-jährige Hui, der als Kind beide Arme und ein Bein verloren hat, als er auf eine Mine trat.
Auch 50 Jahre nach Kriegsende leiden noch viele Menschen an den Folgen, so auch der 56-jährige Hui, der als Kind beide Arme und ein Bein verloren hat, als er auf eine Mine trat.

Der 30. April, der Tag, an dem sich das Ende des Vietnamkrieges 1975 jährt, ist in Vietnam Feiertag. Im Zentrum der südvietnamesischen Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, plant die Regierung eine riesige Militärparade. Seit Tagen säumen Plakate und Staatsflaggen die Straßen.

Etwa eine Woche vorher sorgte ein Plakat für Aufregung. Es zeigt unter dem Satz »Wir feiern den 50. Jahrestag der Befreiung des Südens und der nationalen Wiedervereinigung« eine Friedenstaube, die auf einem amerikanischen Armeehelm sitzt. Darunter eine zerknitterte, verschlissene US-Fahne. Für viele Europäer mag es unverständlich sein, warum gerade dieses Plakat in Vietnam binnen kurzer Zeit viral ging und nach nur einem halben Tag von den Zensoren entfernt wurde: aus dem Stadtbild der Hauptstadt Hanoi und von der Website einer Zeitung, die es herausgebracht hatte.

Das hängt mit einem unterschiedlichen Bild des Vietnamkrieges in Europa und in Vietnam zusammen. Die vorherrschende Erzählung in Europa ist: Die USA haben Vietnam angegriffen und den Krieg verloren. Dabei wird vergessen, dass dieser Krieg lange ein innervietnamesischer Bürgerkrieg Nord gegen Süd war und dass die USA den Süden zunächst lediglich massiv militärisch unterstützt und ihn erst ab 1964 zu ihrem eigenen Feldzug gegen »den Kommunismus« machten.

Die vorherrschende Erzählung in Vietnam fokussiert sich hingegen auf die »Befreiung« des Südens. Aber von wem eigentlich? Während des Krieges war die Antwort klar: von den US-Imperialisten. Heute sagt das keiner mehr. Die USA in ein schlechtes Licht zu rücken, und sei es nur durch eine verschlissene Landesfahne, scheint ein diplomatisches Tabu zu sein.

Die meisten Bewohner des heutigen Vietnams waren vor 50 Jahren noch nicht geboren. Sie verbinden die USA nicht mit Agent Orange und Napalm, sondern mit Coca-Cola und Karrieremöglichkeiten.

Denn der 50. Jahrestag des Kriegsendes fällt in eine Zeit, in der die Beziehungen zwischen Vietnam und den USA nach einer langen Phase stetiger Verbesserung in einer Krise stecken. Das politische Tauwetter begann 1994, als die USA ihr Handelsembargo gegen den einstigen Kriegsgegner fallen ließen. Vietnam befand sich damals in einem beginnenden Wirtschaftsaufschwung. Dieser nahm nach dem Ende des Embargos an Fahrt auf und hält bis heute an.

Die Einstellung der vietnamesischen Bevölkerung gegenüber den USA ist überwiegend positiv. Die allermeisten Bewohner des jungen Landes waren vor 50 Jahren noch nicht geboren. Sie verbinden die USA nicht mit Agent Orange und Napalm, sondern eher mit Coca-Cola, moderner Computertechnik und Karrieremöglichkeiten durch Studium an US-Universitäten. Oder auch mit den freundlichen ehemaligen GIs und ihren Kindern, die heute Vietnam besuchen, um Vergebung bitten und viel Geld ins Land bringen.

Doch während in früheren Jahren US-Diplomaten selbstverständlich an den Feierlichkeiten zu Jahrestagen des Kriegsendes in Vietnam teilnahmen, hat US-Präsident Donald Trump ihnen das dieses Jahr verboten.

Eine staatliche Wiedergutmachung der USA für die Kriegsopfer hat es nicht gegeben, wohl aber Programme, die punktuell wirkten. Beispielsweise die Reinigung zweier früherer US-Stützpunkte von dioxinhaltigem Boden. Die Gifte sorgen noch heute dafür, dass schwerst geschädigte Kinder zur Welt kommen. An den Stützpunkten wurden im Krieg die Fässer mit dem dioxinhaltigen Gift Agent Orange gelagert und umgeladen, mit dem die USA den Regenwald entlauben wollten, der ihren militärischen Gegnern Schutz bot.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Während die Reinigung eines Stützpunkts bereits abgeschlossen ist, sorgte die Trump-Regierung dafür, dass die Arbeiten am zweiten Stützpunkt Bien Hoa aufgrund der Streichung von Entwicklungshilfegeldern kürzlich abgebrochen werden mussten. Zwar wurden sie inzwischen wieder aufgenommen, aber nur mit halber Kapazität, was große Umweltgefahren birgt.

Dabei war Trump in seiner ersten Amtszeit vielen Vietnamesen sympathisch. Das lag an seinem strikten Kurs gegen China, das – vorsichtig formuliert – in Vietnam nicht sonderlich beliebt ist. Vietnam profitierte vom Anti-China-Kurs der USA, viele internationale Investoren zogen von China in das südliche Nachbarland, in dem die Löhne noch niedriger sind. Doch die US-Handelszölle würden Vietnam besonders hart treffen: 46 Prozent sollen sie für das Land betragen. Die USA sind für Vietnam der wichtigste Exportmarkt. Die Regierung in Hanoi will deshalb verhandeln. Ihre Erfolgsaussichten möchte sie offenbar nicht durch »antiamerikanische« Plakate in der Öffentlichkeit verringern.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.