Rinder-Pension statt Schlachtung
Sachsen-Anhalt: Landwirt schickt Kühe nach Thüringen
Für seine 600 Jungrinder musste Soeren Rawolle vorübergehend ein neues Zuhause finden. »Schon Anfang Juli war klar, dass wir nicht genug Futter haben, um bis zum nächsten Jahr zu kommen«, sagt der Geschäftsführer der Agrargenossenschaft Tucheim in Sachsen-Anhalt. Die Silos, wo sonst das Futter lagert, sind leer. Wie so viele kämpft auch der Betrieb im Jerichower Land mit den Folgen der Dürre. Auf den Grünlandflächen sei nur ein Drittel der üblichen Menge geerntet worden, sagt Rawolle. »So etwas hatten wir noch nie. Das ganze Grünland ist mausetot.«
Der Betrieb verfolgt deshalb eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Idee: Er suchte einen Partnerbetrieb, bei dem er einen Teil seiner Tiere quasi in Pension geben kann. Rawolle fand einen Partner in der Nähe von Erfurt in Thüringen. »Das war purer Zufall«, gibt er zu. Ein Viehhändler half bei der Vermittlung. Der gefundene Betrieb in Thüringen habe die Milchwirtschaft gerade aufgegeben, aber noch Futter übrig gehabt, sagt Rawolle. Er sei ohnehin auf der Suche nach einem Partner gewesen.
Rawolles Plan: Bis zum kommenden Frühjahr bleiben die Jungrinder - derzeit zwischen sechs und 22 Monate alt - in Thüringen, kommen dann als Milchkühe in seinen Betrieb zurück. Der Partner übernimmt die komplette Versorgung der Tiere, die Kosten beziffert Rawolle auf 300 000 bis 400 000 Euro. »Eine wirkliche Alternative haben wir nicht.« Rawolle hofft, so seine Milchproduktion aufrechtzuerhalten, weil er sich nur noch um die Versorgung seiner rund 1000 Milchkühe kümmern muss und die Jungrinder in guten Händen weiß. Für die Milchkühe reiche das Futter noch aus, sagt er. Sein Betrieb habe dafür auch etwas Mais zugekauft.
Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) spricht von einer sehr ernsten Lage für die Landwirte. »Durch die Trockenheit fehlt jede Menge Futter«, sagt Sachsen-Anhalts BDM-Landeschef Peter Schuchmann. Betriebe müssten ihre Kühe immer häufiger zur Schlachtung bringen, weil sie sie nicht mehr versorgen können. »Das hat in den letzten Wochen deutlich zugenommen.« Es werde auch Betriebe geben, die aufgeben müssten, sagt Schuchmann. Verkaufen ließen sich die Tiere kaum, da auch anderen Landwirten das Futter fehle.
Das Konzept von Rawolle, Tiere vorübergehend in anderen Regionen in Pflege zu geben, hält Schuchmann nur in Einzelfällen für möglich. »Hier im Umkreis ist es ja überall trocken.« Es sei sehr schwierig, einen passenden Betrieb zu finden, der die Tiere aufnehmen könne. »In Sachsen-Anhalt kenne ich keine weiteren Fälle, wo das geklappt hat«, sagt Schuchmann.
Ähnliches ist von Sachsen-Anhalts Bauernverband zu hören. Der Fall der Agrargenossenschaft Tucheim sei in dieser Größenordnung ungewöhnlich, sagt Sprecher Christian Apprecht. Die Lage sei für viele Landwirte wegen der Dürre sehr ernst. Der Verband rechnet mit großen Ausfällen bei der Ernte und sieht auch die Lage für die Viehhalter zunehmend kritisch. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) stellte zuletzt eine rasche Unterstützung für die Tierhalter in Aussicht - sieht aber zuerst die Länder in der Pflicht. dpa/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.