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Feilschen um Platz für Geschichte
Verfahren des Senats zur Neugestaltung des Areals am Checkpoint Charlie stößt auf Kritik
Die deutsche Hauptstadt läuft Gefahr, im Run auf die letzten Baugrundstücke in der Innenstadt einen ihrer geschichtsträchtigsten Orte einzubüßen. Am Montag hatte das »städtebauliche Workshopverfahren Checkpoint Charlie« eine weitere Hürde zu nehmen: Ein Gutachtergremium hatte über Entwürfe von sieben Architekturbüros zur Randbebauung, städtebaulichen Neugestaltung und künftigen Nutzung des historischen Areals zu befinden. Sie waren am Ende eines von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen initiierten Beteiligungsprozesses ausgewählt und in der vergangenen Woche öffentlich präsentiert worden. Von diesem Dienstag an werden die Entwürfe bis zum 21. August im Raum 101 der Senatsverwaltung in der Württembergischen Straße 6 in Wilmersdorf gezeigt.
In ganz Berlin gibt es nur wenige Orte, deren Authentizität bis heute einen realitätsnahen Eindruck von der Teilung der Millionenstadt auf dem Höhepunkt der Ost-West-Konfrontation vermitteln. Der einstige US-Kontrollpunkt Checkpoint Charlie an der Sektorengrenze in der Friedrichstraße ist einer der wichtigsten - und ein Touristenmagnet. Hier, an der Trennlinie zwischen dem Hoheitsgebiet der Westalliierten und der DDR-Hauptstadt, in der die sowjetische Besatzungsmacht stets mitentschied, standen sich im Oktober 1961, kurz nach dem Mauerbau, sowjetische und amerikanische Panzer kampfbereit gegenüber. Das Foto davon ist ein Symbol für den Kalten Krieg.
Die im Workshopverfahren des Senats ausgewählten Architekturbüros haben Entwürfe zur Neubebauung der an der Zimmer- und Friedrichstraße bis heute erhaltenen Freiflächen - vom Krieg hinterlassene Brachen, die dort den Mauerstreifen markierten - vorgelegt. Vom Donnerstag bis zum Samstag vergangener Woche wurden sie im Rohbau Charlie Living in der Zimmerstraße 92-94 ausgestellt. Besucher hatten die Möglichkeit, einen Meinungsbogen auszufüllen und diesen vor Ort abzugeben. Rückmeldungen seien ausdrücklich erwünscht, hatte Manfred Kühne, Leiter der Abteilung Städtebau und Projekte der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bei der Vernissage erklärt. Der Senat müsse einen Spagat schaffen, schließlich gebe es widersprüchliche Ansprüche an den Ort. Die Reaktionen der Bürger*innen würden auch in die Bewertung der Entwürfe einfließen. Das letzte Wort werde jedoch im Abgeordnetenhaus gesprochen. Bis Weihnachten soll das Ganze in trockenen Tüchern sein.
Schon 2015 hatte der Berliner Investor Trockland die beiden insgesamt 91 000 Quadratmeter großen Flächen gekauft. Für das östliche Grundstück stehen die Pläne längst fest. Dort wird der Immobilienentwickler ein von Graft Architekten entworfenes »Hard Rock Hotel« mit 400 Zimmern bauen lassen. Die sieben Entwürfe der Architektenbüros für die Westseite sehen unter anderem Platz für Gewerbe und Wohnraum vor - und ein Museum des Kalten Krieges, für das aus Berliner Sicht indes viel mehr Platz vorgesehen werden müsste. Für die Entwürfe erhielten die Büros je 20 000 Euro Honorar.
Das Vorgehen des Senats war schon früh bei einer Expertengruppe um die Architektin Theresa Keilhacker auf Kritik gestoßen. In einem Positionspapier, das auch Ex-Kultursenator Thomas Flierl und Landeskonservator Jörg Haspel unterzeichnet hatten, warnten die Experten vor einer »Kommerzialisierung« des geschichtsträchtigen Ortes. Die geplante Bürgerbeteiligung drohe zudem »zur Farce« zu werden. Denn in einem »Letter of Intent«, einer gemeinsamen Absichtserklärung, hatten die Senatsverwaltung und der Investor schon vorab wesentliche Eckpunkte festgelegt. »Das ist kein richtiger Wettbewerb«, sagte Keilhacker dem »nd«. Der Investor habe großen Einfluss auf das Verfahren, so Keilhacker. Das Land Berlin müsse daher von seinem Vorkaufrecht Gebraucht machen.
Die sieben Entwürfe seien dennoch ein wichtiger Debattenbeitrag. »Danach müssten wir jedoch intensiv über die Nutzung sprechen«, so Keilhacker. Geklärt werden müsse etwa, ob das geplante Museum dann in privater Hand bliebe und das Land Miete zahlt oder ob es ein öffentliches Museum wird, das dem Land Berlin gehört und dessen Eintritt frei ist. »Man muss noch eine Menge Arbeit und Hirnschmalz in das Projekt stecken«, sagte die Architektin. Der Checkpoint Charlie sei einer der letzten Orte des Mauergedenkens, daher müsse über seine Zukunft »eine öffentliche Debatte geführt werden«.
Auch die Bundesstiftung Aufarbeitung plädiert dafür, den Checkpoint Charlie als Erinnerungsort zu erhalten. »Was für die East Side Gallery gilt, sollte auch für den Checkpoint Charlie gelten: Die wenigen verbliebenen Zeugnisse der Teilung Berlins müssen erhalten werden«, sagte Anna Kaminsky. Es sollten Erinnerungsorte geschaffen werden, die mehr sind als reine Touristenmagnete.
Im Anschluss an die Ausstellung übten Mitglieder verschiedener Parteien Kritik an dem Hauruck-Verfahren des Senats. »Mitten in den Sommerferien und für insgesamt nur elf Stunden sollen die Architekturentwürfe zur dort geplanten Bebauung der Öffentlichkeit zugänglich sein, schon am nächsten Montag soll eine Jury darüber entscheiden«, monierte Stefan Evers, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der CDU. »Nach jahrzehntelangem Warten muss nun auf einmal alles ganz schnell gehen, möglichst ohne störende öffentliche Debatte.« Warum der Senat darauf verzichtet habe, die Entwürfe online zur Diskussion zu stellen, bleibe sein Geheimnis. Evers fordert nun Akteneinsicht und eine Besprechung der Angelegenheit bei der nächsten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses im Abgeordnetenhaus.
Auch die Grünen sind verärgert über das rätselhafte Vorgehen des Senats. »Offensichtlich wurden Weichen gestellt, die einen privaten Investor und seine Interessen bevorzugen, aber aus unserer Sicht nicht die Belange der Stadt«, sagte Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek im RBB.
Nach längerem Schweigen hat sich auch Bausenatorin Katrin Lompscher (LINKE) zum Thema geäußert. In einer Pressemitteilung schreibt sie: »Für diesen besonderen Ort haben wir nicht die klassische Form des Wettbewerbs gewählt, sondern wir verzahnen städtebauliche Verfahren und Partizipationsverfahren miteinander.« Es gehe darum, in Verhandlungen mit dem privaten Investor, den Interessen der Stadt »bestmöglich Geltung« zu verschaffen. Das Ergebnis des Gutachtergremiums solle als »Grundlage für den anschließenden Realisierungswettbewerb« dienen, kündigte sie an.
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