Leben auf strittigem Grund

Ungeklärte Vermögensansprüche aus der Nazizeit reichen in Ostdeutschland bis in unsere Tage

  • Anna Ringle
  • Lesedauer: 4 Min.

Jeden Tag gehen einige Anwohner einer kleinen Siedlung im brandenburgischen Cottbus mit einem mulmigen Gefühl zum Briefkasten. Seit Jahren. Sie warten auf Behördenbescheide, die Rentner-Ehepaare bangen um ihr Zuhause. Der Ursprung des Ganzen liegt in der Zeit des Nationalsozialismus. Jüdische Bewohner wurden damals aus der Siedlung vertrieben, ihr Eigentum fiel an Deutsche.

Es bestehen deshalb Ansprüche auf einen Ausgleich ihrer Vermögensverluste. Die ungeklärten Grundstücksfragen in Cottbus sind keine Einzelfälle in Ostdeutschland. Auch andernorts stehen noch Entscheidungen aus. Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) ist für Anträge zu unrechtmäßigen Vermögensverlusten in der NS-Zeit (1933-1945) zuständig. Die größte Anzahl der Anträge entfalle auf jüdische Verfolgte beziehungsweise deren Rechtsnachfolger, heißt es von der Behörde. Darüber hinaus werden auch Ansprüche von Gewerkschaften und anderer verfolgter Personen oder Organisationen bearbeitet. Weil zu DDR-Zeiten solche Vermögensverluste mit wenigen Ausnahmen nicht ausgeglichen wurden, habe sich die Bundesrepublik verpflichtet, die alliierten Rückerstattungsprinzipien auf die neuen Bundesländer auszuweiten, heißt es vom BADV.

Anträge auf Rückübertragung oder Entschädigung von Vermögensverlusten konnten demnach grundsätzlich bis Ende 1992 und für bewegliches Vermögen wie zum Beispiel Hausrat, Kunstgegenstände oder Konten bis Mitte 1993 gestellt werden. Das Ganze ist gesetzlich geregelt. Auf etwa 5000 Vermögenswerte in Ostdeutschland gebe es in Bezug auf die NS-Zeit noch Ansprüche, über die noch nicht abschließend entschieden worden ist. Dazu zählen neben Flurstücken auch Unternehmen, Unternehmensbeteiligungen und bewegliche Sachen. Manche Ansprüche zielen auf eine Rückübertragung von Grundstücken ab, manche auf eine Entschädigung. Dabei bleiben die Grundstücke beim jetzigen Eigentümer, und stattdessen wird durch einen Fonds des Bundes eine Entschädigung gezahlt - wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind.

Eine genaue Anzahl der noch unerledigten Anträge auf Rückgabe von Grundstücken kann die Behörde nicht nennen. Die zuletzt veröffentlichte Gesamtstatistik geht auf das Jahr 2015 zurück. Damals seien gut 82 Prozent der Ansprüche auf Rückübertragung sowie Entschädigung von Vermögensverlusten während der NS-Zeit erledigt gewesen. Fast 154 000 Flurstücke (ohne Unternehmen) waren in der Statistik aufgelistet, auf die Ansprüche auf eine Rückübertragung angemeldet worden waren. Das Bundesamt verweist darauf, dass die Fälle sehr unterschiedlich gelagert sein können und der Ausgang von Ansprüchen nicht pauschal vorhergesagt werden kann.

Die Cottbuser Rentnerin Monika Freier sitzt neben ihrem Wohnhaus auf einem Gartenstuhl und sagt: »Ich möchte mal wieder so fröhlich sein wie ich früher war.« Ihr Mann Günther Freier beschreibt den Zustand des Wartens auf die Behördenpost so: »Das kann sich kein Mensch vorstellen«. Die Grundstücke, so erzählen es die Rentner, seien von ihren Vorfahren noch zu NS-Zeiten erworben worden und dann später auf sie übergegangen. Andere betroffene Nachbarn aus der Straße pflichten dem Ehepaar bei. Sie haben selbst Aktenordner voller Schriftverkehr daheim stehen. Sie verstehen nicht, wieso es noch keine Entscheidung gab. Ortsvorsteher Dieter Schulz fasst den Unmut zusammen: Es müsse endlich Klarheit für alle geschaffen werden.

In der Siedlung ist das Ganze schon seit vielen Jahren Thema. Es kochte aber vor mehreren Monaten wieder hoch, als die Rentner Infoschreiben über eine Eintragung im Grundbuch erreichten. Hintergrund ist eine Änderung der Grundstücksverkehrsordnung zum 1. Juli 2018. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« berichtete unlängst darüber. Nach Angaben des Bundesamtes musste bis zu dem Zeitpunkt vor jedem Verkauf eines ostdeutschen Grundstücks ein Genehmigungsverfahren eingeleitet werden. Damit sollte geklärt werden, ob noch vermögensrechtliche Ansprüche von Alteigentümern bestehen.

Weil der Großteil der Ansprüche abgearbeitet sei und solche Verfahren hohen Verwaltungsaufwand bedeuteten, habe man nach einer anderen Regelung gesucht. Von Behördenseite sei man dazu übergegangen, Anmeldevermerke in Grundbüchern zu veranlassen. Sie zeigen an, wenn es noch offene Rückgabeansprüche gibt. Ein Anmeldevermerk bedeutet nicht automatisch, dass es zu einer Rückübertragung kommt. Grundstücke ohne einen solchen Vermerk seien für den Grundstücksverkehr dagegen freigegeben, ein Genehmigungsverfahren entfalle prinzipiell in diesen Fällen. Damit sollte auch der Grundstücksverkehr in Ostdeutschland vereinfacht werden. dpa/nd Kommentar Seite 4

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