Boris Johnson hetzt gegen Nikab-Trägerinnen

Mit seinen Äußerungen spricht der britische Ex-Außenminister rechte Wähler an. Er will noch immer Premier werden

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

In Dänemark tritt ein Burka- und Nikab-Verbot in Kraft, ähnliche Gesetze gelten in Frankreich und Österreich. Dazu hat sich der gerade als Außenminister zurückgetretene Boris Johnson in seiner »Daily Telegraph«-Kolumne zu Wort gemeldet - gegen das Verbot. Aber wie immer auf umstrittene Art und Weise: indem er Nikab-Trägerinnen, die nur einen Augenschlitz freilassen, mit Bankräubern und Briefkästen vergleicht. Für Theresa May und den Konservativen Generalsekretär Brandon Lewis ist der Witz nichts zum Lachen, sie verlangen eine Entschuldigung für die Beleidigung. Der Gescholtene verweigert jede Selbstkritik: Tory-Rechte wie Jacob Rees-Mogg und Andrew Bridgen verteidigen ihn.

Johnson ist ein Schlagzeilen-Junkie. Als junger Journalist wurde er wegen erfundener Zitate von der »Times« ausgebootet, bekam aber beim weiter rechts stehenden »Telegraph« einen Job als Brüsseler Korrespondent. Dort erfand er Märchen über die EU-Regulierungswut, die zu den Vorurteilen der Leserschaft passten, gab sich in Fernsehquizsendungen als freundlicher, zerstreuter Witzbold, gewann mithilfe der Wähler reicher Außenbezirke die Londoner OB-Wahl - und galt danach als allgemein beliebt. Johnson wollte David Cameron, wie er Zögling der Elite-Schule Eton, als Premier beerben, setzte sich dafür an die Spitze der Brexit-Bewegung. Log, dass der EU-Austritt für das Land ein Gewinn-Geschäft sein werde. Für den Nationalen Gesundheitsdienst würde der Brexit weitere 350 Millionen Pfund pro Woche abwerfen, verbreitete Johnson. Er schaffte den Sprung nach ganz oben im ersten Anlauf nicht, wurde jedoch von May befördert. Blamierte sich an jedem Amtstag: Vielleicht am schlimmsten, als er die von iranischen Hardlinern inhaftierte Nazanin Zaghari-Ratcliffe fälschlich als Ausbilderin von Journalisten ausgab und damit ihren Anklägern recht zu geben schien - die Britin iranischer Abstammung schmachtet immer noch im Teheraner Haft. Trotzdem schielt Johnson schamlos aufs höchste Amt, lieber heute als morgen.

Nun ist der Nikab als Kleidungsstück kontrovers, gilt vielen als Symbol weiblicher Unterdrückung. Nur eine winzige Minderheit britischer Musliminnen trägt das schwarze Gewand. Was die Frage nahelegt: Was geht die Bekleidung einiger Hundert britischer Frauen den Politiker überhaupt an? Schließlich kritisiert ihn keiner, wenn er bei 35 Grad Hitze Anzug und Schlips trägt und dementsprechend schwitzt. Zwar stellt sein innerparteilicher Gegner Dominic Grieve säuerlich fest, Johnson habe durch den schnellen Wechsel zurück zum gut bezahlten Journalistenberuf gegen den Verhaltenskodex für ehemalige Minister verstoßen; aber das sind vor allem Brexit-Scharmützel. Wichtiger ist die Frage: Was führt Johnson mit dieser Attacke im Schilde?

Das wird am besten mit der englischen Redensart »dog whistle politics« beschrieben. Eine unterschwellige Botschaft wird signalisiert, die die Betreffenden wahrnehmen sollen, die meisten aber nicht, so wie das hohe Pfeifsignal nur dem Hund gilt. Konkret: Johnson glaubt zu wissen, dass es viele in seiner Fraktion und unter den knapp 100 000, meist betagten Tory-Mitgliedern gibt, die ihn als notorischen Lügner und als Niete ablehnen. Sie hat er als Unterstützer abgeschrieben. Aber er spekuliert auf die Zustimmung der Muslim-Gegner, die am Stammtisch in den Tory-Klubs sitzen. In der Tat lehnt eine Mehrheit der Briten den Nikab ab, obwohl es für sie keine ernst zu nehmende Sorge bereitet. Es geht also um rechte »Identitätspolitik«, wie vom Johnson-Freund Steve Bannon gepredigt und bei der Trump-Wahl erfolgreich praktiziert: Man ruft rechtsstehende Anhänger mit einer Dosis Islamophobie an und hofft so auf Wählermassen.

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