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Der talentierte Mr. Farrow
Der Sohn von Woody Allen hat die Debatte über sexuelle Gewalt verändert.
Im vergangenen Dezember ist Ronan Farrow 30 Jahre alt geworden. Da war es gerade zwei Monate her, dass in dem Magazin »New Yorker« seine Reportage über die sexuellen Übergriffe des Filmmoguls Harvey Weinstein erschienen war. Zehn Monate lang hatte der Sohn von Regisseur Woody Allen und der Schauspielerin Mia Farrow mit Opfern sowie mit Angestellten der Weinstein Company gesprochen und nicht nur die Mechanismen des Missbrauchs durch den mächtigen Filmproduzenten, sondern auch die sie umgebende Kultur des Schweigens akribisch aufgearbeitet.
Der Artikel traf einen Nerv. In den folgenden Wochen teilten unzählige Frauen unter dem Hashtag MeToo Erlebnisse sexueller Belästigung, das Thema beherrschte die Schlagzeilen über Monate. Angespornt durch den Mut der Frauen, die Farrow ihre Leidensgeschichte erzählten, fühlten sich Frauen auch außerhalb der Filmbranche dazu ermutigt, ihre eigenen Erfahrungen zu teilen. Die durch Farrows Enthüllungen ausgelöste Bewegung veränderte den Diskurs über sexuelle Gewalt, wahrscheinlich für immer. Dafür erhielt er am 16. April gemeinsam mit zwei Kolleginnen der »New York Times« den renommierten Pulitzer-Preis in der Kategorie »Dienst an der Öffentlichkeit«.
Seitdem gilt Farrow als eine Art Wunderkind des US-amerikanischen Journalismus. Ein Label, das er nur zu gut kennt. Denn die Lebensgeschichte des schmalen 30-Jährigen mit den jugendlichen Gesichtszügen ist alles andere als gewöhnlich. Schon früh nimmt ihn seine Mutter Mia Farrow mit auf Reisen nach Afrika, wo sie ihren Prominentenstatus für humanitäre Zwecke einsetzt. Gleichzeitig wächst Farrow zu Hause in New York mit 13 Geschwistern auf, viele von ihnen kommen aus verschiedenen Krisenregionen der Welt und sind adoptiert worden. »Die Probleme der Welt waren bei uns zu Hause allgegenwärtig«, sagt er später.
Auch um dem familiären Chaos und den übermächtigen Elternfiguren zu entfliehen, beginnt der hochintelligente Farrow bereits mit elf Jahren ein Studium am Bard College. Mit 15 wird Farrow an der Jurafakultät der Yale University angenommen, verschiebt sein Studium aber, um sich für einige Jahre humanitärer Arbeit im Rahmen der Vereinten Nationen zu widmen. Er wird Jugendbotschafter des UN-Kinderhilfswerks UNICEF und veranstaltet gemeinsam mit seiner Mutter zahlreiche Benefizveranstaltungen zu Gunsten der Vereinten Nationen.
Nach Abschluss seines Jurastudiums 2009 arbeitet Farrow unter dem legendären US-Diplomaten Richard Holbrooke in Afghanistan. In dieser Zeit beginnt er, Meinungsartikel in größeren US-Zeitungen zu veröffentlichen. Vor allem für Kinderrechte macht er sich stark. Auch deswegen wird er 2011 von Hillary Clinton zum Chef eines neu eingerichteten Büros für globale Jugendfragen der US-Regierung gemacht. Nach seiner Zeit beim Außenministerium beginnt Farrow mit Mitte 20 seine journalistische Karriere. Zwei Episoden dieser Zeit haben ihn geprägt. 2014 sollte er für den Fernsehsender NBC den Autor einer neuen Bill-Cosby-Biographie interviewen. Anschuldigungen über sexuelle Übergriffe durch den legendären Komiker gab es damals schon zuhauf, doch die Biographie ließ diesen Teil von Cosbys Leben außen vor. Farrow wollte nachhacken. NBC übte Druck aus, Farrow stellte nur ein einzige Frage zu dem Thema, die der interviewte Autor abwürgte. »Ich schäme mich für dieses Interview«, schrieb Farrow 2016, als das ganze Ausmaß der sexuellen Verbrechen Cosbys klar wurde, in einem sehr persönlichen Artikel für den »Hollywood Reporter«.
Kurz zuvor war Farrows eigene Schwester Dylan mit Vorwürfen an die Öffentlichkeit getreten, ihr Vater Woody Allen habe sie als Kind sexuell missbraucht. Als Teil der Medien konnte Farrow die PR-Maschine beobachten, die sein Vater in Gang setzte, um die Beschuldigungen abzuwürgen. In dem Artikel äußerte er sich erstmals zu der Sache. Bedingungslos unterstützt er seine Schwester und bricht endgültig mit seinem Vater. »Wir sehen einen Wandel in der Art und Weise, wie wir über sexuelle Übergriffe und Missbrauch sprechen. Aber es braucht noch viel Arbeit, bis Frauen wie meine Schwester nicht länger so behandelt werden, als seien sie unsichtbar. Es ist Zeit für schonungslose Fragen«, schreibt Farrow am Ende des Artikels, der erschien, als er gerade seine Recherchen für die Weinstein-Story begann.
Seitdem hat Ronan Farrow nicht mehr aufgehört, schonungslos nachzufragen. Nicht in der Causa Weinstein und auch nicht bei anderen Fällen sexueller Belästigung, die er seitdem ans Licht der Öffentlichkeit gebracht hat. Anfang dieser Woche erschien wieder ein Artikel von Farrow im »New Yorker«. Darin veröffentlichte er seine Recherchen über Anschuldigungen gegen Les Moonves. Dem 68-jährigen Chef des US-Medienkonzerns CBS wird sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen.
Dafür, dass ihm der Ruf als Wunderkind, nicht abhanden kommt, sorgt Farrow derweil selbst. Neben seiner journalistischen Arbeit hat er die Zeit gefunden, ein hochgelobtes Buch über den Niedergang der US-Diplomatie zu schreiben, für das er alle noch lebenden ehemaligen Außenminister der USA interviewt hat. »Ich bin eben ein Nerd,« meint Farrow, zuckt mit den Achseln und lacht.
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