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Halbtags ist das nicht zu schaffen

Abgeordnetenhauspräsident Ralf Wieland über seinen Vorstoß für eine Parlamentsreform

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 6 Min.

Sie haben vor Kurzem den Vorschlag unterbreitet, das Abgeordnetenhaus zu reformieren. Die Reaktionen fielen bescheiden aus. Ist der Vorstoß verpufft?

Nein, das ist ein Thema, das Zeit braucht. Angesichts der schneller und komplizierter werdenden Welt stellt sich weiter die Frage, mit welcher Ausstattung soll ein Landesparlament, sollen seine Parlamentarier angesichts der veränderten gesellschaftlichen Anforderungen arbeiten?

Ralf Wieland


Ralf Wieland ist seit 2011 Präsident des Abgeordnetenhauses. Der Sozialdemokrat wurde 1956 in Wilhelmshaven geboren. Der ehemalige Speditionskaufmann und Niederlassungsleiter arbeitete vor seiner Karriere im Abgeordnetenhaus zuletzt als Sachgebietsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Dem Abgeordnetenhaus gehört Wieland seit 1999 an. Im Parlament war er als Haushaltspolitiker zwischen 2004 und 2011 Vorsitzender des wichtigen Haushaltsausschusses. Als Parlamentspräsident agiert Wieland überparteilich. Über notwendige Reformen, die Vorzüge eine Vollzeitparlaments und Mehrheiten für eine Verfassungsänderung sprach mit ihm für »neues deutschland« Martin Kröger. 

Können Sie kurz darlegen, was Ihr Vorschlag beinhaltet?

Es geht darum, dass ich sage, wir sollten uns von der »Lebenslüge des Teilzeitparlamentariers« verabschieden. Bestimmt die Hälfte der Mitglieder des Parlaments arbeiten ausschließlich als Abgeordnete.

Es ist nirgends festgeschrieben, dass das Abgeordnetenhaus ein Teilzeitparlament ist, oder steht das irgendwo?

Nein, das leitet sich von der Diätenregelung ab. Ursprünglich waren das 50 Prozent der Vergütung eines Stadtrats in den Bezirken. Zudem war der Sitzungsbeginn des Abgeordnetenhauses um 13 Uhr, weil man ja vorher noch arbeiten musste. Inzwischen ist es aber so, dass die Ausschusstermine von montags bis freitags von morgens bis nachmittags stattfinden, weil wir es anders gar nicht mehr managen können. Und die Plenarsitzungen beginnen um 10 Uhr.

Mit »Lebenslüge« meinen Sie also, dass die meisten Abgeordneten seit Langem Vollzeit im Landesparlament tätig sind?

Das trifft auf sehr viele zu. Eigentlich profitieren die Freiberufler vom Teilzeitparlament, also die Anwälte und Steuerberater, die Einfluss darauf haben, wie sie ihre Termine legen.

Zurzeit gibt es wegen Überhangmandaten 160 Abgeordnete. Welche Zielgröße schwebt Ihnen bei einem Vollzeitparlament vor, das ja sicherlich kleiner wäre?

Ich hatte angeregt, die in der Verfassung vorgegebene Sitzzahl von 130 auf 100 zu reduzieren. Am Ende dürften es wegen der Überhang- und Ausgleichsmandate mehr werden. Jetzt sind es ja auch 160 real. Nur am Rande: Die prozentuale Überschreitung ist größer als im Deutschen Bundestag. Das sind ja fast 25 Prozent mehr Parlamentarier im Abgeordnetenhaus, als nach der Verfassung als Mindestanzahl vorgegeben ist.

Berlin ist aber auch eine wachsende Metropole.

Das ist richtig.

Allein in dieser Legislatur werden wahrscheinlich 200.000 Menschen zusätzlich nach Berlin ziehen. Wenn man das jetzt umrechnet und mit anderen Bundesländern im Osten vergleicht, dann liegt Berlin mit einem Abgeordneten pro 22.000 Einwohner auf einer ähnlichen Ebene.

Nicht ganz: Sachsen etwa kommt bei vier Millionen Einwohnern auf einen Abgeordneten pro 31.000 Einwohner. Es gibt aber auch andere Flächenländer und Stadtstaaten, wo sich die Zahlen anders darstellen. Von 130 auf 100 zu gehen, was die verfassungsrechtliche Vorgabe betrifft, halte ich für weniger dramatisch. Zumal es auch noch den Vorteil der annähernden Kostenneutralität hätte. Denn die Mittel, die ich einspare, kann ich für die Diätenerhöhung ausgeben. Am Ende sagen wir also nicht, wir wollen nur mehr Geld für das Parlament haben.

Aber Ihr Ziel ist doch, das Parlament zu stärken, um die Regierung besser kontrollieren zu können?

Natürlich! Nur darum geht es. Es geht um die Unabhängigkeit der Abgeordneten, es geht darum, die Qualität der Regierungskontrolle zu erhöhen. Qualität ist keine Frage von Masse. Und bei den Diäten müssen wir uns nicht an Baden-Württemberg orientieren ...

...In Berlin verdienen Abgeordnete derzeit 3840 Euro, außerdem gibt es Sachmittel für Büros und Mitarbeiter.

So ist es. Wenn Sie in andere Landtage schauen, gehen die Diäten bei 4500 Euro und aufwärts los. Wenn man jetzt - grob - sagen würde, 25 Prozent oder 30 Prozent weniger Abgeordnete, dann könnten die Diäten entsprechend erhöht werden. Dann wäre ich bei der Größenordnung, die ich mir vorstelle.

Wenn Sie an die Zahl der Abgeordneten ranwollen, müssen Sie die Verfassung ändern. Dafür brauchen Sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die hat Rot-Rot-Grün nicht. Sie brauchen also Partner aus der Opposition wie etwa die CDU. Würden Sie denn bei einer solchen Verfassungsänderung auch Möglichkeiten wie die Bezirkslisten streichen oder Ähnliches?

Das ist vermintes Gelände, weil die Bezirkslisten auch in den Statuten der Volksparteien CDU und SPD verankert sind. Ich will meinen Reformvorschlag damit nicht überfrachten, auch wenn der Vorteil von Landeslisten wäre, dass eine bestimmte Zahl von Überhangmandaten nicht entstehen würde.

Die nächsten Wahlen 2021 rücken näher. So eine Verfassungsänderung, die braucht Verhandlungsvorlauf - ist es nicht bereits zu spät, weil die Legislatur fortgeschritten ist?

Nein, man könnte die Verfassungsänderung ja für die übernächste Wahlperiode beschließen. Das könnte die Sache einfacher machen, weil die persönliche Betroffenheit derjenigen, die es beschließen müssen, nicht im Vordergrund stehen würde.

Die Reaktionen aus den Fraktionen waren - wie erwähnt - bescheiden. Die Grünen waren eher skeptisch, die LINKE zustimmend, die AfD ebenfalls. Wie sah es denn bei SPD, CDU und FDP aus?

Bei der CDU ist das traditionell am schwierigsten. Der FDP fällt es ebenfalls nicht leicht. Beide Parteien haben zudem Bezirkslisten. Wir könnten es trotzdem jetzt beschließen, nicht für 2021, aber für die darauffolgende Wahlperiode. Klar ist aber auch: Ohne die CDU wird es nicht gehen. Ich setze aber auch bei diesen Parteien auf die jüngeren Abgeordneten, die bei den heutigen Anforderungen sehen, dass die Abgeordnetentätigkeit halbtags nicht zu schaffen ist.

2013 war die letzte kleine Parlamentsreform. Warum stärken Sie nicht erneut die Abgeordneten mit mehr finanziellen Mitteln für Mitarbeiter?

Theoretisch könnten wir die Abgeordneten noch besser ausstatten. Wir könnten auch einfach die Diäten erhöhen und sagen, jetzt sind wir aber ein Ganztagsparlament.

Warum gehen Sie nicht diesen einfacheren Weg?

Davor zucken viele zurück, weil die Öffentlichkeit eher die Erhöhung der steuerfreien Pauschale oder der Personalkostenpauschale akzeptiert. Beim Thema Diätenerhöhung dagegen sind die Abgeordneten sofort unter Beschuss - auch der Medien. So war es auch 2013.

Die Populisten würden das wahrscheinlich auch angreifen.

So ist es.

Kurze Erinnerung: Die kleine Parlamentsreform 2013 sollte die Debatten im Abgeordnetenhaus verbessern, wurde das Ziel aus Ihrer Sicht als Abgeordneter und Parlamentspräsident in der Zwischenzeit erreicht?

Vor Kurzem hieß es, im Bundestag gab es einen Riesenquantensprung, weil Abgeordnete Fragen an die Kanzlerin richten durften. Diese Spontanfragestunde haben wir schon längst. Sie wurde 2013 sogar zeitlich ausgeweitet. Das ist zwar kein Alleinstellungsmerkmal für das Abgeordnetenhaus, aber dadurch unterscheiden wir uns von den meisten Landtagen. Die spontane Fragestunde ist auch ein guter Einstieg für die Plenartage.

Abschließend noch eine Ausblicksfrage: Werden Sie Ihren Vorstoß nach der Sommerpause erneuern und auf die Parteien, die im Parlament vertreten sind, zugehen?

Ich werde mir die Stellungnahmen anschauen und sie einordnen. Es macht keinen Sinn, gegen eine Betonwand zu laufen. Mir geht es darum, einen Anstoß zu geben, damit diese Debatte geführt wird. Ich alleine werde die Diskussion nicht bestimmen können, und wenn es ansonsten in der Gesellschaft keinen gibt, der das für wichtig hält, dann muss ich das auch akzeptieren.

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