Wie gefährlich ist die Polizei für Fußballfans?

Gesetzesmissbrauch und Kriminalisierung: Nach dem Kölner Angriff auf einen Fanbus des 1. FC Union werden Berliner zu Tätern gemacht

Der 20. Februar 2013 war wahrlich kein guter Tag für Fußballfans. Damals entschied der Bundesgerichtshof, dass so genannte Drittortauseinandersetzungen, also verabredete Schlägereien, strafbar sind. Vorausgegangen waren einige Verfahren, in denen Hooligans nicht verurteilt werden konnten. Denn bis dahin galt nach Paragraf 228 des Strafgesetzbuches, dass eine Körperverletzung nicht strafbar ist, wenn der Verletzte hierin eingewilligt hat. Ob eine verabredete Schlägerei sittenwidrig ist, wird noch immer kontrovers diskutiert. Immerhin wissen Kampflustige jetzt, was sie erwartet. Gravierende Auswirkungen hat die Entscheidung des Bundesgerichtshofs jedoch auch für friedliche Fußballfans, weil die Polizei seitdem das Gesetz massiv missbraucht - mit teils schwerwiegenden Konsequenzen für die Betroffenen.

Der aktuellste Fall stammt aus Köln. Dass am vergangenen Montag nach dem Zweitligaspiel des 1. FC Union ein Fanbus der Berliner von Anhängern des 1. FC Köln angegriffen wurde, hatte schnell die Runde gemacht. Befeuert von medialer Hysterie mit den üblichen Schlagworten wie »Gewalt«, »Ausschreitungen«, »Chaoten«. Auch der Weg der Informationsverbreitung war der übliche. Am frühen Dienstag um 2:31 Uhr meldete die Pressestelle des Polizeipräsidiums Köln: »Polizei verhindert Drittortauseinandersetzung.« Sechs Stunden später titelte der »WDR« auf seiner Nachrichtenplattform: »Fußballfans verabredeten sich zur Schlägerei«, auch von »Berliner Hooligans« und »gewalttätigen Anhängern beider Vereine« ist die Rede.

Nach nd-Recherche stellt sich das meiste davon als Dichtung und eben nicht als Wahrheit dar. Dieser Widerspruch scheint aber bewusst erzeugt worden zu sein. Natalie Stach ist Pressesprecherin der Kölner Polizei. Dass »Drittortauseinandersetzung« eine juristische Formulierung ist, sei ihr nicht bewusst. So formulierte es Stach am Dienstagvormittag, im ersten Telefonat mit »nd«. In der Pressemitteilung habe die Polizei damit lediglich ausdrücken wollen, dass es Auseinandersetzungen eben nicht im Stadion oder drum herum gegeben habe. Gleichzeitig betonte sie, »dass es noch Bestandteil der Ermittlungen ist«, ob es überhaupt eine Verabredung zur Schlägerei gegeben habe. Dieser Darstellung widersprechen die Informationen des »WDR«. Auf Nachfrage teilte der Sender mit, dass sein Reporter in der Nacht von Montag zu Dienstag am Ort des Geschehens war. »Die Polizei hat ihm in der Nacht gesagt, dass es sich um eine verabredete Schlägerei handelt.«

Warum die Polizei so agiert, erklärte Natalie Stach präzise. »Bei einem Verdacht auf eine verabredete Auseinandersetzung dürfen alle strafprozessualen Maßnahmen getroffen werden.« Und genau das tat die Polizei dann auch. Die in ihrem Bus von Kölner Fans mit Steinwürfen angegriffenen Berliner Anhänger verbrachten mehrere Stunden auf dem Polizeipräsidium, wurden komplett erkennungsdienstlich behandelt - samt Foto mit zugeordneter Nummer -, all ihre Mobiltelefone wurden konfisziert und liegen noch immer in Köln. Warum? »Ich nehme an, dass die wegen Zeugenaussagen festgehalten wurden«, erklärte die zuständige Staatsanwältin Natalie Neuen gegenüber »nd«. Ihr sei aber nicht bekannt, ob etwas gegen die Berliner vorliege, sagte sie am Dienstagnachmittag. Da waren die Union-Fans schon wieder auf dem Heimweg - ausgestattet mit einem Polizeiformular, in dem alle Maßnahmen gegen sie mit dem Verdacht auf Landfriedensbruch begründet werden.

So schnell können Opfer zu Täter werden. Zum Verständnis, hier noch mal eine kurze Schilderung des Vorfalls. Drei Fanbusse des 1. FC Union befanden sich nach dem Spiel auf dem Weg zur Autobahn. Der letzte Bus musste verkehrsbedingt anhalten. Plötzlich stürmten rund 100 Kölner, vermummt mit FC-Sturmhauben, die später sichergestellt wurden, auf den Bus zu und warfen nach Augenzeugenberichten zwei Steine in die Fenster des oberen Sitzplatzbereichs. Die Polizei war jederzeit dabei, denn sie eskortierte den Bus. Die Beamten griffen auch schnell ein, woraufhin die Kölner flüchteten. Dabei sollen sie laut Polizeiangaben ihre Autos in der Dunkelheit ohne Licht auf einige Einsatzkräfte zugesteuert haben. Verletzt wurde niemand. 28 Kölner konnte die Polizei festnehmen, gegen einen 24-Jährigen wurde am Mittwochabend Haftbefehl erlassen. Die 27 anderen durften wieder gehen.

Am Dienstagnachmittag gab die Polizei eine Pressekonferenz in Köln. Ein eher ungewöhnliches Vorgehen. Harte Worte wie »Hass« oder eine »neue Dimension der Gewalt« fielen dort. Öffentlichkeitswirksam präsentierte sie auch sichergestellte Gegenstände wie Sturmhaube, Schlagstock, Mundschutz, Reizgas, Pyrotechnik oder ein Ortungsgerät. Zweifellos ist das Verhalten der Kölner Fans zu verurteilen. Gewalt darf und soll auch nicht verharmlost werden. Und deren teilweise Zunahme macht die Bemühungen von Fanarbeitern und -vertretern nicht leichter. »Der Zuwachs von gewaltsuchenden Fans in Teilen der Ultraszene ist durchaus Anlass zur Sorge«, sagte Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte.

Ebenso besorgt muss man aber auch die bewusste Eskalation der Polizei verfolgen. Zu einer Drittortauseinandersetzung gehören immer zwei Parteien. Diesen Verdacht begründete Polizeisprecherin Natalie Stach am Dienstag damit, dass sich die Berliner bereits im Bus »Vermummungsgegenstände übergezogen« hätten: »Sie waren vorbereitet.« Laut übereinstimmenden Augenzeugenberichten waren es nur zwei Union-Fans, die ihr Gesicht teilweise verdeckt haben.

Am Mittwoch war die Kölner Polizei schon nicht mehr ganz so auskunftsfreudig. Immerhin erhärtete Annemarie Schott, ebenfalls Pressesprecherin, gegenüber »nd« den Vorwurf gegen die Union-Fans: »Die Berliner sind gewaltbereit den angreifenden Kölnern entgegengelaufen.« Dem widersprechen wiederum mehrere Augenzeugenberichte. Rund 20 Unioner sind, nach dem der erste Stein im Fenster eingeschlagen war, aus dem Bus getreten - Schreck und Panik werden als Gründe genannt. Und sie sind ohne Aufforderung der Polizei allein und recht schnell wieder in den Bus zurückgekehrt.

Einzige Zeugen, die eine Drittortauseinandersetzung gesehen haben wollen, sollen Zivilbeamte sein. Aber: Gegen die Theorie einer verabredeten Auseinandersetzung spricht fast alles. In dem Berliner Bus saßen vorwiegend junge Union-Fans, viele davon noch minderjährig. Auch Frauen waren dabei. So fährt man nicht zu einer verabredeten Schlägerei. Auch nicht mit einem Bus, der bei einem Reiseunternehmen gemietet worden ist und von einem Berufskraftfahrer dieser Firma gelenkt wird. Und schon gar nicht in einem Bus, der von der Polizei eskortiert wird. Wenn dann noch 100 Angreifer kommen, stellt man sich bestimmt nicht mit nur 20 Mann dagegen.

Warum all das der Polizei egal ist? »Bei rechtmäßiger Vorgehensweise würde sie niemals solche Informationen bekommen, die sie auf diesem Weg bekommt«, erklärt der Berliner Fananwalt René Lau. Der Verdacht einer Straftat reiche aus, um umfangreiche Durchsuchungen durchzuführen und Daten zu sammeln. »Ob später ein Gericht die Rechtswidrigkeit der Maßnahme feststellt, ist der Polizei dabei egal.«

Diese Vorgehensweise erlebten die Union-Fans auch in Köln. Laut Augenzeugenberichten erklärte die Polizei den rund 80 Insassen des Berliner Busses, dass sie Zeugen seien und nur zur Personalienfeststellung auf das Präsidium müssten. Als sie dort angekommen waren, wurde ihnen dann der Vorwurf einer Drittortauseinandersetzung gemacht. In dieser Sache zuständigen Vereinsverantwortlichen wurde die Maßnahme zudem mit »versuchtem schweren Landfriedensbruch« erklärt.

Als Indiz für eine mögliche Straftat gehörte für Polizei und Medien auch, dass Mönchengladbacher Fans im Berliner Bus gesessen haben. Einerseits sind sich die Borussia der 1. FC Köln spinnefeind. Mehr muss man scheinbar nicht wissen. Man könnte aber auch wissen, dass es andererseits seit ein paar Jahren zwischen einigen Gruppen aus Berlin und Mönchengladbach eine Fanfreundschaft gibt. Und so holte der Berliner Bus schon auf der Hinreise die Borussen-Fans aus Neuss ab. Dort hatten sie ihre Autos geparkt, um nicht mit einem Kennzeichen »MG« in Köln stehen zu müssen. Und natürlich waren sie auch auf der Rückfahrt dann im Bus.

Nach eingehender Prüfung forderte der 1. FC Union Berlin am Mittwoch eine Aufklärung durch die Kölner Polizei - für die Täterbehandlung seiner Fans. Und die ereignete sich teilweise wie folgt: Minderjährige hatten Probleme ihre Eltern zu benachrichtigen, weil sie nicht mehr an die Nummern in ihren konfiszierten Handys kamen, auch auf Anfrage nicht. Und weil sie noch bei der Ankunft im Hof des Polizeipräsidiums davon ausgegangen sind, dass sie nur schnell als Zeugen identifiziert werden, ließen viele Berliner ihre Jacken im Bus. Später konnten sie diese nicht mehr bekommen, weil der Bus komplett durchsucht wurde. Also standen viele Fans mehrere Stunden nur im T-Shirt im Hof - bei 15 Grad und Regen. Auf dem Formular, dass sie bei ihrer Entlassung bekamen, stand jedoch als Dauer der Maßnahme eine Zeit von 20 Minuten.

Andreas Hüttl kennt diese Vorgehensweise der Polizei nur allzu gut. Er arbeitet als Fananwalt in Hannover. »Der nicht selten unbegründete Verdacht einer Drittortauseinadersetzung hat zwei Zielrichtungen: Zufallsfunde über andere Vergehen oder Straftaten in den beschlagnahmten Sachen und Gewinnung von Strukturerkenntnissen der Fanszene«, erzählte er »nd«. Ohne den Verdacht einer Straftat wäre dies nicht möglich. Es ist auch kein Einzelfall, dass Fans auf ihren konfiszierten Handys später Überwachungssoftware finden.

Es stellt sich nicht nur die Frage, wie gefährlich die Polizei für Fußballfans ist? Betrachtet man den aktuellen Kölner Fall, in dem auch Minderjährige ohne Grundlage kriminalisiert werden, stellt sich auch die Frage, ob die Polizei die Eskalation in dem eh schon stark belasteten Verhältnis bewusst forciert? Um ihren immergleichen Forderungen nach mehr Geld und Vollmachten Nachdruck zu verleihen? Fest steht: Wenn einer der in Köln festgehaltenen Berliner Fans bislang ein normales Verständnis vom Rechtsstaat hatte und die Polizei respektierte, könnte er nun ein neues Feindbild haben.

Selbst wenn es nicht zu den angedrohten Strafanzeigen wegen »Widerstand« oder »schwerem Landfriedensbruch« kommen sollte, bleibt zu hoffen, dass es eine Sammelklage der Union-Fans gegen das Vorgehen der Polizei gibt. Denn eines droht noch immer: Stadionverbote. Wie schnell das gehen kann, mussten einige Unioner 2014 ebenfalls in Köln erfahren. Als ihr Bus von der Polizei vor die Südtribüne, Heimat der Kölner Ultras, geleitet wurde und sie ausstiegen, wurden sie sofort wieder einkassiert. Die Folge: 88 Stadionverbote. Erst nach anderthalbjährigem Kampf wurden sie wieder aufgehoben - weil sie zu Unrecht erteilt wurden.

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